"Ein Florentinerhut" im Hoftheater Bergkirchen:Zügelloses Vergnügen

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Der junge Diener Felix (Jonathan Kramer) erliegt den Reizen der Frauen nur allzu gerne. Auf die Zofe Virginie (Annalena Lipp) hat er ebenfalls ein Auge geworfen. Aber das mit der Liebe ist halt immer furchtbar kompliziert: Leidenschaften entbrennen und verglühen. (Foto: Toni Heigl)

Hoftheater-Regisseur Herbert Müller inszeniert die fast 170 Jahre alte Erfolgskomödie "Ein Florentinerhut" von Eugène Labiche in der Tradition des Vaudeville mit Musik und Gesang

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Jean, Jacques, Jules und Joseph spielen eine tragende Rolle im Musikalischen Sommertheater Bergkirchen, dienen doch die Serviertabletts der vier Herren in strenger schwarz-weißer Dienerlivree als Ablage für allerlei Requisiten. Das Quartett existiert jedoch nicht im wirklichen Leben, sondern ist Teil der üppigen, fantastischen Bühnen- und Kostümausstattung von Ulrike Beckers für "Ein Florentinerhut". Um dieses längst nicht mehr angesagte Accessoire dreht sich die total verrückte gleichnamige Komödie von Eugène Labiche aus dem Jahr 1851. Das Stück ist keineswegs so vergilbt wie es ein Strohhut nach längerer Zeit wird, sondern strahlt in der frech-fröhlichen Inszenierung von Herbert Müller taufrisch wie die künstlichen Mohnblüten auf besagter Kopfbedeckung.

Müller hat sich eng an Labiches Bühnenstück gehalten und sich an der Tradition des Vaudeville-Theaters orientiert. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts waren diese bissig-satirischen Komödien ein Hit beim bürgerlichen Publikum, nicht zuletzt, weil sie dessen Doppelmoral und Scheinheiligkeit aufs Korn nahmen. Viele Stücke sind inzwischen in der Versenkung verschwunden, der Florentinerhut hat überlebt - auch als Oper von Nino Rota. Doch nicht dessen eingängige Melodien haben Müller und Robert Scheingraber, musikalischer Leiter des Theatersommers, als unverzichtbaren musikalischen Part einer Vaudeville-Komödie ausgesucht. Sie entschieden sich vielmehr für die Hits von Jacques Offenbach - die ideale Begleitung für eine Reise in die Belle Époque, die Zeit hemmungslosen Genusses - zumindest für die Reichen und Schönen. Labiche reißt im "Florentinerhut" mit einer überbordenden Handlung und gnadenlosem Witz die brüchige Fassade bürgerlicher Wohlanständigkeit ein. Das Hoftheater setzt noch eins drauf, karikiert und überzeichnet, dass es nur so eine Lust ist. Das Salonorchester (Robert Scheingraber, Ludwig Mittelhammer, Maximilian Müller, Günter Holzhausen) rockt die TSV-Halle. Jessica Dauer, Annalena Lipp und Helena Schneider sind fabelhafte Schauspielerinnen, tolle Sängerinnen, Tänzerinnen und kreative Choreografinnen in Personalunion. Das gesamte Ensemble verwächst mit seinen Rollen, spielt mit ansteckender Lust und Leidenschaft, kostet jede Szene, jeden Gag aus. Das Rennen um den Florentinerhut endet nach mehr als zwei Stunden ungebremster Heiterkeit in einem furiosen Finale. Bis es soweit ist, muss der etwas in die Jahre gekommene Playboy Fadinard (Ansgar Wilk) jede Menge Hürden überwinden. Eigentlich will er nach Jahren ambulanter Liebeleien die ländlich-sittliche Gärtnertochter Hélène (Helena Schneider) heiraten. Ein netter Plan, hätte nicht am Vorabend der Hochzeit sein Kutschpferd im Park den Florentinerhut von Madame Jacqueline (Lisa Wittemer) verspeist. Diese ist mit einem Hypochonder von Ehemann (Jürgen Füser) geplagt und mit einem flotten Leutnant als Liebhaber (Stephan Roth) gesegnet. Das Pärchen will den Hut zurück, Fadinard begibt sich auf die Jagd nach einem identischen Exemplar - immer die künftige Verwandtschaft im Schlepptau. Diese besteht aus der unwilligen Braut, ihrem schwer in sie verliebten Cousin Bobin (Patrick Brenner), dem stets einen Myrthenbusch mit sich schleppenden Brautvater Nonancourt (Herbert Müller), der schwerhörigen Tante Marthe und der kurzsichtigen Tante Elise (umwerfend komisch: Ingrid Scheingraber und Annette Thomas). Auf seinem Weg durch fremde Wohnungen und Geschäfte trifft Fadinard seine Ex-Geliebte Clara (Jessica Dauer), den ewig vor sich hin transpirierenden Buchhalter Tardiveau (Tobias Zeitz) und die Baronesse de Champigny (Christina Schäfer). Diese ist eine weitere Ex-Geliebte Fadinards - und eine äußerst selbstbewusste Frau, die sich nimmt, wen sie will. Zum Beispiel Fadinards jungen Diener Felix (Jonathan Kramer), der sich nur zu gerne verführen lässt, obwohl er doch eigentlich ein Auge auf die Zofe Virginie (Annalena Lipp) geworfen hat. Es geht drunter und drüber. Leidenschaften entbrennen und verglühen, die Irrungen und Wirrungen nehmen kein Ende. Tante Elise sucht und findet einen Nachttopf, Vater Nonancourt hält seinen Myrthenbusch fest umklammert, Männerhemden werden von kundigen Frauenhänden aufgeknöpft. Offenbachs "Pariser Leben", Cancan inklusive, sprengt die Bühne - und reißt das hingerissene Publikum von den Stühlen. Könnten Jean, Jacques und Jules am Ende dieses turbulenten Abends reden, würden sie nur sagen: Chapeau, das ist Sommertheater vom Feinsten. Die weiteren Aufführungstermine gibt es online auf www.hoftheater-bergkirchen.de.

© SZ vom 14.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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