Flüchtlinge:Helfen macht glücklich

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Peter Barth hat eine neue Lebensaufgabe gefunden: Der 67-jährige Rentner aus Hebertshausen setzt sich wie ein Vater für Flüchtlinge ein. Aus dem ehrenamtlichen Vollzeitjob zieht er innere Zufriedenheit.

Von Benjamin Emonts, Hebertshausen

Es ist gemütlich im Büro von Peter Barth. Die polsterbezogenen Stühle, die Couch, der Teppich, die bunten Bilder und seine angenehme, dunkle Stimme geben einem das Gefühl, im Sprechzimmer eines Psychologen zu sitzen. Lässt man den Blick aber auf den Schreibtisch und den Bereich dahinter schweifen, sieht man Stapel von Akten, in einer Ausziehschublade hängen unzählige Mappen, links auf dem Schreibtisch türmen sich Briefe. Nach viel Arbeit sieht all das aus - es könnte genauso der Arbeitsplatz eines Anwalts sein.

In gewisser Weise ist Peter Barth beides: Anwalt und Psychologe. Einer, der ohne Honorar arbeitet, aber mit viel Empathie. Barths Klienten sind Asylbewerber, 43 Personen, die seit 2013 in einem ehemaligen Altersheim fünf Gehminuten entfernt von seiner Eigentumswohnung in Hebertshausen leben. Der 67-Jährige ist einer von mehr als 250 Ehrenamtlichen, die sich im Landkreis Dachau zu Asylhelferkreisen zusammen geschlossen haben. Als Barth gefragt wird, ob er der Öffentlichkeit einen Einblick in sein Innenleben geben würde, braucht er mehrere Tage Bedenkzeit. "Es gibt zig Personen, die genauso gute Arbeit leisten. Wenn sich jemand in den Vordergrund drängt, wird das nicht gern gesehen", lauten seine Zweifel. Schließlich aber willigt er ein: "Wenn ich mit meiner Geschichte Leute zum Helfen animieren kann, dann hat es sich gelohnt."

Bevor die Flüchtlinge in Hebertshausen ankamen, hatte Barth an einer Informationsveranstaltung der Gemeinde teilgenommen - er war neugierig und wollte wissen, was da zukommt auf sein Dorf. Eine Woche später gab Barth den Asylbewerbern aus Schwarzafrika bereits Sprachunterricht. Mittlerweile klingelt das Telefon in seinem Büro im Halbstundentakt. Die Stühle in seinem Büro ließ er erst neulich frisch beziehen. "Sie waren abgenutzt."

Barths Engagement hat sich längst zu einem Vollzeitjob entwickelt, seine Frau sagt: "Er arbeitet mehr als früher." Die Asylbewerber gehen bei dem 67-Jährigen und seiner Frau Christa, die sie nur "Mister Peter" beziehungsweise "Maman" nennen, ein und aus: Sie sitzen mit ihnen am Esstisch, lassen sich im Büro beraten, schauen fern im Wohnzimmer, trinken in der Küche Kaffee. Der Gedanke, dass die Flüchtlinge nur fünf Minuten entfernt unter ganz anderen Umständen leben, stimmt Barth manchmal nachdenklich. Er blickt in sein bürgerlich eingerichtetes, warmes Wohnzimmer und sagt: "Ich verdiene als Rentner fünfmal so viel wie ein Asylbewerber. Es gibt keine soziale Gerechtigkeit auf dieser Welt."

Peter Barth wird von den Flüchtlingen "Mister Peter" oder "Papa" genannt. Einer der Asylbewerber hat ihm einen selbst gebauten Spiegel geschenkt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Als er noch Verkaufsleiter bei einem belgischen Textilunternehmen war, hat sich Barth auf solche Gedanken nur selten eingelassen. "Familie und Kinder zu versorgen - das war mein Leben." Inzwischen haben seine Kinder selbst Familie. Vielleicht nennt er auch deshalb die 40 Asylbewerber "meine neuen Kinder" und bezeichnet sie als "eine neue Lebensaufgabe, die ich mir vielleicht unterbewusst gesucht habe."

Barth zieht für sich selbst Gewinn aus seinem ehrenamtlichen Engagement, daraus macht er kein Geheimnis: "Die Arbeit mit den Flüchtlingen gibt mir Selbstbewusstsein, Mut, Verantwortung, innere Zufriedenheit und das gute Gefühl, gefragt zu sein." Und doch muss es auch Nächstenliebe sein, die ihn antreibt. Schließlich hat seine Arbeit auch viele unangenehme Seiten. Die sich türmenden Briefe zeugen vom ausufernden Schriftwechsel mit Behörden. Barth kümmert sich um die Asylverfahren der Flüchtlinge, eine Angelegenheit, die hoch komplex und zeitraubend, doch selten erfolgreich ist. Denn Barth weiß: "Nur zwei Prozent bekommen Asyl und vielleicht 14 bis 15 Prozent werden geduldet." Seine Frau Christa und er haben ein ums andere Mal schon geweint, wenn ein Asylbewerber nach Hause geschickt wurde. Aber nicht nur Trauer, auch das Gefühl der Wut und der Ohnmacht sind Barths ständige Begleiter. In diesem Moment sitzt Mohammed, ein freundlicher Mann Anfang 30, in seinem Büro. Er ist drei Mal innerhalb weniger Wochen schwarz gefahren. Weil 120 Euro Strafe sehr viel für ihn sind, handelt Barth mit der Bahn eine Ratenzahlung aus. Belastende Post und Telefonate mit patzigen Gesprächspartnern sind sein täglich Brot. Viele der Flüchtlinge unterschreiben kostspielige Handyverträge. So hat ein Afrikaner Schulden von 1800 Euro angesammelt. Die Schreiben des Inkassounternehmens liegen nun bei Barth. "In einigen Fällen kann ich auch nichts mehr machen", sagt er deprimiert.

Doch fallen lassen würde er keinen der Flüchtlinge. "Wenn wir die Menschen nicht beschäftigen und beschulen, dann führen sie ein tristes Leben: Sie trinken Alkohol, nehmen Drogen, werden kriminell." Und es ist nicht so, dass Barth nichts bewirken würde. Im Gegenteil. Einem jungen Mann namens Makou, der zurück nach Ungarn geschickt werden sollte, hat Barth Kirchenasyl im Kloster Schönbrunn verschafft. Oder Josef, dem er Sprachunterricht gegeben hat, macht nun eine Ausbildung und spricht von Tag zu Tag besser Deutsch. Überhaupt ist die Arbeitsvermittlung zum Steckenpferd des 67-Jährigen geworden. Stolz erzählt er: "18 Flüchtlinge waren schon oder sind in Arbeit. Wenn sie eine Ausbildung haben, können sie das Leben meistern, egal ob hier oder anderswo. Das ist mein Bestreben. Und wenn es funktioniert, gibt mir das ein fantastisches Gefühl."

Doch ist das alles, was ihn antreibt? Barth glaubt, dass sein Engagement auch daher kommt, dass er als junger Mensch selbst viel Solidarität erfahren hat. Als kleines Kind flüchtete er 1949 von Berlin weitestgehend zu Fuß mit seiner Familie gen Süden, weil sie nicht genügend zu essen hatten. Nachdem Barth zunächst im Dulag in Dachau untergekommen war, wurde er als Siebenjähriger mit dem Zug nach Ungarn geschickt und verbrachte später den Großteil seiner Schulzeit alleine in Belgien. Egal, wo er auch hinkam, "es gab immer Leute, die mir geholfen haben. Sonst bist du verloren."

© SZ vom 07.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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