Dachau:Streit um Hausbau an KZ-Gedenkstätte

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Blick aus der Gedenkstätte auf die Häuser in der Karl-Riemer-Straße. Links vom Turm befindet sich hinter der Mauer das letzte freie Grundstück. (Foto: Niels P. Jørgensen)
  • Ein Bauantrag für ein Zweifamilienhaus an der Mauer der KZ-Gedenkstätte sorgt in Dachau für Aufregung.
  • Oberbürgermeister und der Stadtrat von Dachau befinden sich in einer schwierigen Situation, denn das Baurecht dort besteht.
  • Denkmalschützer und Gedenkstättenleiterin glauben, dass eine Bebauung die Wahrnehmung empfindlich störe.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Auf dem Weg zum Besucherzentrum der KZ-Gedenkstätte Dachau rückt ein Wachturm ins Blickfeld. Rechts davon steht eine Reihe von Zweifamilienhäusern. Sie grenzen direkt an die Betonmauer des ehemaligen Konzentrationslagers an. Einzig das Areal, an dem direkt die Würm entlang fließt, ist noch unbebaut. Nur deswegen ist der freie Blick auf den Wachturm möglich. Würde es aber bebaut, wäre er nicht mehr zu sehen.

Jetzt liegt der Stadt Dachau für eben dieses Grundstück ein Bauantrag auf ein Zweifamilienhaus vor. Das Landesamt für Denkmalschutz und die KZ-Gedenkstätte wollen den Neubau verhindern. Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann fürchtet um die Topografie des früheren Konzentrationslagers. Die Wahrnehmung der Besucher würde "empfindlich gestört".

"Man ist sensibler geworden"

Seit dem 60. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers im April 2005 betreten die Gedenkstättenbesucher das Gelände nicht mehr von Osten her, sondern über das Jourhaus, den historischen Zugang. "Die Irritation vieler Besucher ist schon jetzt groß, wenn sie sich mit der fast an die ehemalige Lagermauer angrenzenden Bebauung konfrontiert sehen", sagt Hammermann. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege teilt die Sorge: "Der Sichtbezug auf die Gedenkstätte ist auch in der Außenwirkung zu berücksichtigen - immerhin befindet sich hier der Hauptzugang zur Gedenkstätte", heißt es in einer Stellungnahme. Die Behörde kommt zu dem Schluss: "Einer Bebauung in unmittelbarer Nähe zu Wachturm und Mauer kann aus denkmalfachlicher Sicht nicht zugestimmt werden."

Michael Raz steht in seinem Garten, der direkt an die Mauer der KZ-Gedenkstätte grenzt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Da Dachau eine Große Kreisstadt mit einem selbstständigen Bauamt ist, entscheidet allein der Stadtrat über das Bauvorhaben: Er muss es genehmigen oder ablehnen. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) hält sich bedeckt und sagte der SZ, man müsse vor einer Entscheidung die Einzelinteressen des Grundstückeigentümers gegen jene des Denkmalschutzes und der Gedenkstätte abwägen. Aber er sagte auch: "Heute würde man so eine Siedlung nicht mehr erlauben. Der Umgang mit Geschichte hat sich gewandelt: Man ist sensibler geworden."

Eine Sensibilität, welche die politisch Verantwortlichen in den Achtzigerjahren vermissen ließen - deswegen nähern sich Häuser bis auf fünf Meter an die Gedenkstätte. "Es gab damals keine Einsprüche gegen den Bau, weil niemand von der Gedenkstätte wusste, dass die Pläne im Rathaus vorliegen", erinnert sich der Holocaust-Überlebende und Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees Max Mannheimer.

Der Eigentümer hat das Recht zu bauen

Hartmann und der Stadtrat befinden sich in einer schwierigen Situation, denn das Baurecht dort besteht. "Das ist eine Tatsache, die man nicht wegdiskutieren kann", sagt der OB . Der Leiter des städtisches Bauamts, Michael Simon, spricht von einem "Dilemma". Weil für das umstrittene Grundstück kein Bebauungsplan vorliegt, würde, rechtlich gesehen, Paragraf 34 des Baugesetzbuchs zum Greifen kommen. Demnach darf nach dem Bestand der Umgebung gebaut werden.

Die Baugenehmigung für das Haus wurde in den Achtzigerjahren erteilt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Frage ist nun, worin die Umgebung besteht. Stadt und Gedenkstätte interpretieren sie unterschiedlich. OB Hartmann sagt: "Wie der Nachbar baut, so darf ich das auch." Der Grundstückseigentümer hätte also das Recht - ebenso wie seine Nachbarn - bis auf wenige Meter an die Mauer der Gedenkstätte heranzubauen. Nun heißt es in besagtem Paragrafen aber auch, dass Bauvorhaben sich "nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen" müssen. Aber wie passt ein Wohnhaus, das den Blick auf den Wachturm verdecken würde, in die historisch bedeutsame Umgebung? Für Hammermann: gar nicht. Deswegen lehnt sie das Bauprojekt ab. OB Hartmann und Stadtbaurat Simon rechnen mit einem Prozess gegen die Stadt, egal, wie die Entscheidung letztlich ausfällt. Simon: "Gegen beide Positionen kann geklagt werden - von allen Beteiligten."

Michael Raz würde dem Bau nicht zustimmen. Der Pastoralreferent wohnt seit 17 Jahren in einer der Doppelhaushälften in der Karl Riemer Straße. "Sie wurde mir damals als Dienstwohnung angeboten", sagt er. Anfangs sei das nicht leicht gewesen, direkt am ehemaligen KZ zu wohnen. "Ich musste mich erst daran gewöhnen." Über seine eigenen vier Wände hat Raz eine klare Meinung: "Das Haus hätte niemals gebaut werden dürfen. Nicht so."

Der KZ-Überlebende Mannheimer wüsste eine Lösung, die eine Klage und damit auch den Bau verhindern helfen könnte: "Auf alle Fälle sollte die Stadt versuchen, dem Bauherrn ein anderes Grundstück anzubieten."

© SZ vom 17.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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