Dachau:So gut wie noch nie

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Auf dem Herbstkonzert im Schloss hat die Sinfonietta Dachau ihren musikalischen Durchbruch zu einem veritablen Orchester erlebt. Der Traum des Dirigenten Victor Bolarinwa ist in Erfüllung gegangen

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

"Angekommen!" Wenn man das sagen kann, etwa nach einer langen Fahrt, ist man zumindest erleichtert und entspannt - vor allem wenn die Fahrt nicht nur lang, sondern auch schwierig war. Noch mehr Gewicht hat der Ausruf "Angekommen!" im übertragenen Sinn, wenn nach stetem Bemühen, Verkraften einiger Rückschläge und nicht zuletzt auch mit Glück ein fernes Ziel erreicht worden ist. Wenn wir heute von der Sinfonietta Dachau sagen können, sie sei angekommen, so bedeutet das nichts weniger, als dass sich ihre kühnen Hoffnungen erfüllt haben. Im Dachauer Schloss zum Herbstkonzert war die Sinfonietta so gut wie noch nie.

Dieser Qualitätssprung ist aber auch nötig gewesen, um sich an eine der großen Beethoven-Sinfonien von der "Eroica" aufwärts wagen zu können. Es ging um die Vierte. Wenn man von dem eigentlich überwundenen, aber noch heute weit verbreiteten Beethoven-Bild des 19. und 20. Jahrhunderts ausgeht, zählt diese Sinfonie vermeintlich zu den leichteren, weniger bedeutenden Werken. Sie wurde sogar als schöpferische Pause zwischen der "Erocia" und der zur "Schicksalssymphonie" hinaufstilisierten Fünften gesehen. Dabei wurde das Bemühen Beethovens unterschätzt, das stets auf die Erhaltung und Weiterbildung der künstlerischen Gestalt gerichtet war. "In jedem Werk wird die Gestalt neu erobert und so gefestigt, dass sie sich über die Zeiten weg unerschütterlich behauptet", sagte der Münchner Musikforscher Walter Riezler über Beethoven.

Das Orchester war so gut vorbereitet, dass es wie ein professionelles wirkte

Ein solcher Anspruch verlangt aber von den Interpreten, das Werk adäquat nachzugestalten. Außerdem ist das äußerlich Leichte oft besonders schwer zu realisieren, was auf Beethovens B-Dur-Sinfonie aus dem Jahr 1812 voll zutreffen dürfte. Kurz und knapp gesagt: Die Sinfonietta Dachau unter ihrem Dirigenten Victor Bolarinwa überzeugte. Bolarinwa war in seinem Dirigieren absolut souverän, und das Orchester war so gut vorbereitet, dass es sicher wie ein professionelles Sinfonieorchester wirkte. Riezler sah in den als "Nebenwerke" verkannten Schöpfungen Beethovens Werke voll seliger Gelöstheit und kaum getrübter Heiterkeit, die nicht weniger den "wahren" Beethoven verraten als die pathetischen. Diese Gelöstheit auch in der Wiedergabe zu erreichen, war der größte Erfolg der Sinfonietta, und das war an diesem Abend besonders beglückend.

Die Konzertouvertüre "Die Hebriden" von Mendelssohn, mit der dieser Abend begann, ist im Vergleich zu den Ouvertüren und Sinfonien der Wiener Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven ein geistig- musikalisch leichter zugängliches romantisches Werk. Man mag daraus ein Programm heraushören, etwa den Wellenschlag des Meeres oder sogar das Stampfen des kleinen Dampfers - für Mendelssohn, der sich für die technischen Errungenschaften seiner Zeit heftig interessierte, eine höchst beeindruckende Neuigkeit. Man kann aber diese Ouvertüre auch als überaus schöne Musik einfach genießen - aber nur wenn sie so frei von Schlacken und scheinbar mühelos gespielt wird, wie es der Sinfonietta an diesem Abend gelang. Schon hier gab es, wie bei Beethoven und später bei Mozart, überhaupt keine Frage nach dem richtigen Tempo, nach klanglicher Balance zwischen den einzelnen Instrumentalgruppen, nach richtiger Agogik und Dynamik - das war alles wie selbstverständlich. Überdies waren bei Mendelssohn wie später bei Beethoven sehr schöne Klarinettensoli zu genießen.

Eine junge Solistin: Die 25-jährige Elisabeth Heuberger aus Bad Tölz glänzte bei Mozart. (Foto: Toni Heigl)

Die Sinfonietta wollte immer als "Orchester der Stadt Dachau" anerkannt sein. De facto ist sie es

Das Instrumentalkonzert des Abends war das A-Dur-Konzert für Violine und Orchester KV 219 von Mozart. Dabei trat eine junge Solistin auf, die gerade 25-jährige Geigerin Elisabeth Heuberger aus Bad Tölz. Sie spielte das Mozart-Konzert sehr sauber mit ausgesprochen feinem Geigenton, ohne die geringsten solistischen Allüren, bescheiden hinter Mozarts Werk zurücktretend. Ein Musizieren dieser Art ist aber für das begleitende Orchester eine Herausforderung, denn es muss auf den sehr feinen Ton der Solistin eingehen. Die dafür eigentlich zu stark besetzte Sinfonietta Dachau zeigte sich aber auch dieser Aufgabe gewachsen, sie trug die Solistin und vermied die Gefahr, sie klanglich zuzudecken. Elisabeth Heuberger glänzte am meisten bei den großen Solokadenzen, die sie in Mozarts Konzert einlegte und bei ihrer faszinierenden Zugabe, der Solosonate "Obsession" von Eugene Ysaye.

Victor Bolarinwa hat von Anfang an das Ziel verfolgt, dass seine Sinfonietta als "Orchester der Stadt Dachau" anerkannt wird. Darauf hat er mit den teils professionellen Musikern und sehr begabten Laien und Semiprofis hingearbeitet. Und deswegen war er auch bestrebt, dafür Orchestermusiker weitgehend aus Stadt und Landkreis Dachau zu gewinnen. Daraus ist ein Klangkörper entstanden, der die Erfahrungsvielfalt der Mitglieder als seinen besonderen Reiz beim Musizieren empfindet. Am vergangenen Samstag hat Bolarinwa sein großes Ziel zwar nicht de jure erreicht, aber jetzt endgültig de facto. Denn das Herbstkonzert war mehr als nur das übliche Ereignis eines ambitionierten, aber doch nur aus heterogenen Elementen zusammengestellten Klangkörpers. Dachau hat mit der Sinfonietta ein veritables Orchester.

Die Sinfonietta Dachau sucht beständig nach Nachwuchs. Sie wirbt dafür auf ihrer Homepage: www.sinfoniettadachau.de

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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