Dachau nach der WM:Im Trikot der Nationalelf

Lesezeit: 3 min

Tausend Dachauer feiern den deutschen WM-Sieg auf der Fanmeile in der Münchner Straße. Viele Mitarbeiter von Landratsamt und Rathaus kommen am Tag danach im Dress der Weltmeister zur Arbeit.

Von Benjamin Emonts und Marco Fieber

Mitternacht auf der Münchner Straße in Dachau. Vor dem Gasthof Drei Löwen brennen Bengalische Feuer, Böller explodieren, Hunderte Menschen - gehüllt in schwarz-rot-goldene Tücher - hüpfen und springen. Fahnen werden geschwenkt und Sprechchöre angestimmt. Nicht weit entfernt schlängelt sich ein langer Autokorso durch die Altstadt. Die Beifahrer lehnen sich aus den Fenstern, laute Musik schallt aus den Wagen, noch lauter ist das unablässige Hupen. Eigentlich alles verboten. Doch nach dem WM-Sieg am Sonntagabend herrscht in Dachau Ausnahmezustand. Bis halb vier Uhr morgens hat die Polizei die Münchner Straße gesperrt, rund 1000 Menschen verwandeln sie in eine jubelnde Fanmeile. Alles bleibt friedlich. "Wir hatten keine Einsätze", freut sich Polizei-Pressesprecher Werner Kretz.

Der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann ("Ich bin kein richtiger Fußballfan, außer bei der WM.") gibt am Montag Vormittag eine Order aus: "Wir hängen alle deutschen Fahnen auf, die wir haben." Gekleidet im Trikot der deutschen Elf und mit einem breiten Grinsen im Gesicht hisst der Oberbürgermeister gemeinsam mit Hausmeister Rainer Seuss eine große Deutschlandfahne vor dem Rathaus. Der Dachauer OB findet: "Nationalstolz darf man schon zeigen, wenn man Weltmeister wird" - trotz der Geschichte der Kreisstadt als Standort des ehemaligen KZ.

Fröhliche Stimmung auch im Dachauer Landratsamt: "Es sind alle begeistert, einige Kollegen sind im Deutschland-Trikot gekommen", sagt Pressesprecher Wolfgang Reichelt. Ob sie auch pünktlich waren? "Wir haben keine übermäßigen Ausfälle zu verzeichnen. Und Alkoholfahnen habe ich auch keine bemerkt - wir haben aber auch keine Kontrollen durchgeführt." Fest steht, dass sich sowohl im Rathaus als auch im Landratsamt die Gespräche überwiegend um den Fußball gedreht haben. "Wir haben das Spiel auf der Amtsleiterbesprechung heute Morgen analysiert und aufgearbeitet", sagt OB Hartmann.

Im Mittelpunkt der Gespräche stand selbstredend die 113. Spielminute: André Schürrle setzt sich auf der linken Außenbahn durch, flankt auf Mario Götze, der nimmt den Ball mit der Brust an und schießt das erlösende Tor. Die Koproduktion eines 23-Jährigen und eines 22-Jährigen haben das WM-Finale entschieden. Das zeigt: Die nachhaltige Nachwuchsarbeit des DFB - alle 36 Bundesligisten sind verpflichtet, ein eigenes Leistungszentrum zu haben - hat sich ausgezahlt.

Nach dem kläglichen Ausscheiden des DFB-Teams bei der Europameisterschaft im Jahr 2000 "sind neue Strukturen von der untersten bis zur obersten Ebene geschaffen worden. Wir haben von anderen Ländern gelernt und uns die dortigen Erfolgsmodelle abgeschaut", erklärt Alexander Plabst, der DFB-Stützpunktleiter in Ampermoching ist. Der 44-Jährige zieht den Schluss: "Mannschaft und Trainer sind die großen Weltmeister - alle anderen, Nachwuchstrainer und Jugendmannschaften, die Verbände und Stützpunkte sind die kleinen Weltmeister." Zwar werde das deutsche Modell womöglich nun von anderen Nationen kopiert werden. Trotzdem bleibt für ihn die DFB-Elf "Favorit in den nächsten Jahren", da das "Potenzial von unten noch nicht erschöpft ist", so Plabst. Ihm zufolge steigt jährlich die Zahl der Nachwuchsspieler, insbesondere nach großen Turnieren gebe es immer eine erhöhte Nachfrage.

Siegfried Frost, Erster Vorsitzender der Jugendfördergemeinschaft (JFG) TaF Glonntal, bestätigt diese Tendenz. In der JFG haben sich 2004 mehrere Vereine des Landkreises zusammengeschlossen, um junge Fußballtalente zu entwickeln und schrittweise in den höherklassigen Fußball zu führen. Wie Frost erklärt, kommt neben der DFB-Talentsichtung oder den Stützpunkten des Bayerischen Fußballverbands den vielen kleinen Vereinen eine große Bedeutung zu. Schließlich kickt dort die große Mehrheit der Jugendfußballer, gewissermaßen die Zukunft des deutschen Fußballs. Und zwar nicht ohne Beobachtung: "Die Profivereine, vor allem hier im Münchner Raum, haben ein immenses Scouting-Netz - die finden jedes Talent", sagt Frost.

Von den Veränderungen, die seit mehr als zehn Jahren verfolgt werden, "wird man auch noch künftig profitieren. Es ist ein kontinuierlicher Fluss, der da an sehr guten Fußballern nachkommt". Verbesserungswürdig sei einzig die Bereitschaft lokaler Unternehmer, den Amateursport stärker zu fördern. Letztendlich beflügele der WM-Titel nicht nur die deutschen Nationalspieler, sondern die gesamte Basis des Fußballsports: "Das gibt uns Ehrenamtlichen einen Kick, uns weiterhin und noch mehr zu engagieren", freut sich Frost.

© SZ vom 15.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: