Dachau:Fesselndes Festival

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Rüdiger Oppermann feiert in der Friedenskirche mit acht herausragenden Musikern 25 Jahre Klangwelten.

Anna Schultes

In der Wüste Gobi bringt eine Kamelmutter ihr Junges zur Welt. Sie weigert sich, das Jungtier zu säugen. Erst die Klänge einer Pferdekopfgeige bringen sie dazu. Der Dokumentarfilm "Die Geschichte vom weinenden Kamel" begleitet eine Nomadenfamilie, die zwischen Tradition und Moderne lebt. Ein Stück dieser Geschichte liegt auch im Spiel von Enkh Jargal. Er ist ein Virtuose an der Pferdekopfgeige Morin Khoor. Lange schon ist Jargal fester Bestandteil des Weltmusik-Festivals Klangwelten. Deshalb braucht ihn Harfenist und Organisator Rüdiger Oppermann gerade in diesem Jahr, denn er feiert 25 Jahre Klangwelten. Acht herausragende Musiker brachte Oppermann am vergangenen Samstag mit zum Konzert, das die Dachauer Kleinkunstbühne Leierkasten in der Friedenskirche präsentierte.

Enkh Jargal (links) ist ein Virtuose an der mongolischen Pferdekopfgeige. Er arbeitet schon lange mit Rüdiger Oppermann. (Foto: DAH)

Seit 25 Jahren arbeitet Oppermann mit Musikern aus aller Welt zusammen. Die Klangwelten bedeuten eine Mischung aus traditioneller und zeitgenössischer Musik. Für das Jubiläumsjahr hat Oppermann seine Lieblinge vereint: den Jazztrompeter Terrence Ngassa aus Kamerun, Jatinder Thakur, der auf den indischen Tablas trommelt, den bekannten Jazzharfenisten Park Stickney aus New York, die Trommler Agus Supriawan und Wahyu Rochewandy aus Java, Enkh Jargal aus der Mongolei und den gambischen Koraspieler Tata Dindin, der aus gesundheitlichen Gründen am Samstag nicht auftreten konnte.

Begeistert sind die gut 300 Zuhörer vor allem von Annie Aningmiuq und Cynthia Pitsiulak. Die jungen Frauen, die aus dem Tundragebiet Nunavik an der Hudson Bay im arktischen Norden der kanadischen Provinz Québec kommen, fesseln das Publikum mit dem archaischen Kehlkopfgesang Katajaq, einer alten Tradition der Inuit. Sie stehen sich gegenüber, greifen mit einer Hand an den Ellbogen der anderen. Mit kaum geöffnetem Mund erzeugen sie ein Keuchen, Klänge, die an heulende Wölfe, zwitschernde Vögel oder Geisterstimmen erinnern. Die Melodie entsteht aus den beiden Einzelstimmen, die abwechselnd einen hohen und einen tiefen Ton singen. Aningmiuq und Pitsiulak verschmelzen miteinander, es ist unmöglich zu differenzieren, wer gerade welchen Ton erzeugt. "Wahnsinn", sagt eine Frau. Es sind fremde Klänge, die die Zuhörer beim Klangwelten-Festival hören. Dennoch geht die landestypische Musik aus sieben Nationen auf Anhieb so nah, dass man in ihr versinkt, sich einfach fallen lässt.

Wenn Enkh Jargal die Morin Khoor spielt, kann man das weinende Kamel hören, die Weite der mongolischen Steppe, die galoppierenden Pferde vor sich sehen. Für die Menschen dort spielen die Tiere eine wichtige Rolle. Deshalb ist die Pferdekopfgeige das Nationalinstrument der Mongolei. Jargal beherrscht nicht nur verschiedenste Stile auf der Morin Khoor, seine Stimme reicht über fünf Oktaven, vom tiefen Schamanengesang bis zum Obertongesang, bei dem der Sänger über die Grundmelodie zeitgleich eine zweite, flötenartige Melodie legt. Und der zunächst zurückhaltend anmutende Mann packt an diesem Abend noch ein besonderes Talent aus: Enkh Jargal springt über die Bühne - und rappt.

Es ist ein Wunder für die Ohren, wenn das Ensemble den Abend nach einem zweieinhalbstündigen Konzert mit der "Karawane" gemeinsam beschließt. Für die Musiker ist es der letzte Auftritt der Jubiläumstour. 37 Konzerte haben sie in den vergangenen eineinhalb Monaten gespielt. Getragen vom Applaus fallen sie sich in die Arme. Für die Zuhörer ist es ein unvergesslicher Abend: bezaubernd und schlicht wunderbar.

© SZ vom 19.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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