Dachau:Altstadt verliert den einzigen Grundversorger

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Das Franziskuswerk Schönbrunn schließt seine Lebensmittelläden in der Kreisstadt. Das finanzielle Defizit ist zu groß.

Von Wolfgang Eitler, Dachau

"Wer denkt an die alten Menschen in Dachau-Süd?" Peter Hartmann ist ziemlich aufgebracht, weil die Süddeutsche Zeitung bereits am Donnerstag meldete, dass das Franziskuswerk in Schönbrunn seine beiden Lebensmittelläden in Dachau-Süd am Klagenfurter Platz und in der Altstadt spätestens zum 1. Juli 2017 auflöst. Damit endet eine seit 2008 andauernde Hängepartie, ob sich das gemeinnützige Unternehmen für etwa 1400 geistig behinderte Menschen zwei Geschäfte leisten kann, die von Beginn an in den roten Zahlen lagen. Das Jahresdefizit hat sich auf 450 000 Euro getürmt. Aber Peter Hartmann, der vor 44 Jahren aus München nach Dachau gezogen ist, sorgt sich um sich und um die älteren Menschen in Dachau-Süd: "Wir verlieren einen sozialen Treffpunkt." Und er fragt: "Was wird aus uns?"

Die Antwort darauf kann das gemeinnützige Franziskuswerk ihm nicht geben. Auch nicht für die Altstadt, die ihren letzten großen Lebensmittelladen verliert. Aus Schönbrunner Sicht stellt sich die Sachlage so dar: 2008 beschloss der damalige Vorstand, zwei Lebensmittelläden in Dachau zu eröffnen. Er wollte gleich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. In den Geschäften sollten Arbeitsplätze für geistig behinderte Menschen entstehen. Parallel dazu wollte sich das Unternehmen als maßgeblicher sozialer Partner der Stadt Dachau qualifizieren. Und es wollte es sich imagemäßig als Sozialkonzern profilieren, der in Nischen einsteigt, vor denen sich die sonstigen Supermärkte scheuen.

Der Supermarkt in Dachau-Süd ist für die Bürger mehr als nur ein Laden. Entsprechend aufgebracht haben viele auf den Beschluss reagiert, ihn zu schließen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein hohes Defizit - wofür?

Tobias Utters, Pressesprecher des Franziskuswerks, wertet das Experiment als gescheitert. Bei 19 Arbeitskräften auf 14 Vollzeitstellen könnten gerade vier behinderte Menschen beschäftigt werden. Mit anderen Worten: Vier Integrationsstellen kosten demnach 450 000 Euro. Für den gleichen Betrag gelingt es ansonsten, etwa das Vierfache an Stellen zu schaffen. Dazu muss man wissen, dass das Unternehmen die Aufgabe vom Staat übernommen hat, möglichst viele behinderte Menschen in den ersten oder zweiten Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese werden von Fachkräften begleitet, die pädagogisch ausgebildet sind. Utters sagt: "Unser Ziel ist es nicht, Unternehmen aufzubauen, sondern Menschen in die Gesellschaft und ins Arbeitsleben einzubinden." Und er fragt rhetorisch, warum das Franziskuswerk ein so hohes Defizit in Kauf nehmen soll, wenn es mit dem gleichen Betrag viel bessere Erfolge erzielen kann.

Um der Schließung zu entgehen, ließ sich Schönbrunn von Fachleuten beraten. Anscheinend vergeblich. Die Miete vor allem in der Altstadt müsste gekürzt werden. Die Gehälter ebenfalls. Diesen Einschnitt scheut das Franziskuswerk. Denn bei den Mitarbeitern handelt es sich zum größten Teil um Fachpersonal, das nach dem Tarif der Caritas bezahlt wird. Die Einkommen im Einzelhandelsbereich sind wesentlich geringer. Aber das Franziskuswerk will an der "Gleichbehandlung" (Utters) der Belegschaft festhalten. Außerdem würden die Mitarbeiter in Schönbrunn für neue Projekte benötigt, sagt Utters. Als Beispiel führt er das Bürgerhaus mit Bistro und Kino an, das in Schönbrunn am 8. Dezember offiziell eröffnet wird.

Falsche Strategie

Aus Sicht der jetzigen Geschäftsführung um Markus Tolksdorf erweist sich die Entscheidung seiner Vorgänger somit als falsch. Die Schließung der beiden Läden in Dachau ist bereits die zweite Korrektur. Denn auch das Blumengeschäft in Schönbrunn wird zugemacht. Die Gärtnerei bleibt nach Utters Auskunft unter der bisherigen Führung des Münchner Kartoffelkombinats erhalten.

Bleibt die Sorge von Peter Hartmann aus Dachau-Süd. Was passiert? Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) sagte der SZ, dass er vom Franziskuswerk über die Entscheidung informiert worden sei. Er will die städtische Wirtschaftsförderung damit beauftragen, eine Lösung zu finden. Peter Hartmann sagt: "Wer denkt an uns Alte? Man könnte seine Frage ergänzen: Wo soll man in der Altstadt künftig Lebensmittel einkaufen? Zwar gibt es das Feinkostgeschäft Glück in der Wieninger Straße. Aber es ist kein sogenannter Vollsortimenter. Die gesamte Geschichte der Lebensmittelversorgung der Dachauer Altstadt ist eine des Scheiterns. Keiner konnte sich halten, nicht das Franziskuswerk am Widerstandsplatz und auch nicht die Supermärkte im Untergeschoss des Hörhammer-Kaufhauses (jetzt Rübsamen).

© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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