Theater:Der Chef dreht ab

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Thomas Bernhards Studien über Claus Peymann im Hoftheater

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

"Ein Regisseur ist eine Verirrung. Überhaupt ist das Theater der Gipfel der Unsinnigkeit", lamentiert Claus Peymann, dieses Urgestein der Theaterwelt, auf der Sulzwiese, einem beliebten Ausflugsziel der Wiener. Ob er das je im wirklichen Leben getan hat, ist noch nicht abschließend erforscht. Der große, böse Österreicher Thomas Bernhard jedenfalls lässt ihn in seinem Dramolett "Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese" zwischen zwei Bissen ins Schnitzel und mehreren Gläsern Wein zu gigantomanischer Hochform auflaufen. Herbert Müller - als Peymann in seinem Element - und Jürgen Füser als Beil machten daraus den Höhepunkt der gelungenen Premiere dieses und zwei weiterer Dramolette von Bernhard im Hoftheater Bergkirchen: Peymann will seinem Dramaturgen Beil die Idee schmackhaft machen, den gesamten Shakespeare einschließlich der Sonette mit 1834 Personen in fünf Stunden aufzuführen. Selbstverständlich am Wiener Burgtheater, dem "Alltheater" des realen Peymann von 1986 bis 1999.

Der Kommentar des meistens still vor sich hin essenden, zwischendurch gequält lächelnden Beil zu den überbordenden Fantasien seines Chefs: "Ein herrliches Schnitzel". Womit im Grunde schon klar ist, wie es in den drei zwischen 1986 und 1990 entstandenen Einaktern (Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheater-Direktor nach Wien, Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen, Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese) des Alpenrepublik-Kritikers Bernhard zugeht. Komisch bis zynisch, total überdreht, abgründig-böse. Bernhards messerscharfe Charakterisierungen der österreichischen Gesellschaft setzte das Hoftheater als Spiegelbild des Theater-Wahnsinns in einer gelungenen szenischen Lesung um. Passgenau: das witzige, mit einer Portion Wiener Schmäh gewürzte Bühnenbild von Ulrike Beckers.

Ulrike Beckers ist auch die liebreizende, mit leicht genervtem Augenaufschlag hinter der Nickelbrille auf die Monologe ihres Chefs reagierende Sekretärin. Sie packt vor der Abreise des einmal zweifelnden, dann wieder hochmütig-elegant die Haare zurückwerfenden Peymann nach Wien ein und aus: Hemden, Schauspieler, Dramaturgen. Hier haben die wunderbaren Puppen aus der märchenhaften "Der Mond"-Inszenierung des Hoftheaters noch einmal ihren großen Auftritt. Auch das Bochumer Publikum würde Peymann am liebsten mit nach Wien nehmen. Schließlich entscheiden die Zuschauer - und die "norddeutschen Kritiker" - über Erfolg oder Misserfolg. So wie im wirklichen Theaterleben. Mag sein, dass die real existierende Freundschaft zwischen Peymann und Bernhard ihren Niederschlag im berühmten Hosenkauf und anschließenden "Rindssuppen"-Essen gefunden hat. Müller tänzelt mit der neuen Luxushose über die Bühne. Bernhard (Ansgar Wilk) ist der äußerlich geduldige Zuschauer und Zuhörer bei diesen Körper- und Gedankensprüngen. Sein Mienenspiel allerdings spricht Bände und ersetzt locker jeden Kommentar.

Die Quintessenz dieses irrsinnig-sinnigen Theater-im-Theater-Abends: Hinter den Kulissen geht es im Theater und im wirklichen Leben oft chaotisch zu, Leidenschaft kann sich zur Besessenheit steigern, aber nur in der Zusammenarbeit mit "Realos" entsteht gutes Theater - und mehr.

© SZ vom 26.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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