Amtsgericht Dachau:Aus Not fremden Strom angezapft

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Um Heizung und Kühlschrank zu betreiben, legte ein 29-Jähriger von seiner Wohnung ein Verlängerungskabel zu einem Baucontainer. Keine gute Idee.

Walter Gierlich

Das Delikt Mundraub wurde im Zuge der Strafrechtsreform 1975 zwar abgeschafft, doch das Urteil von Richter Lars Hohlstein gegen einen Stromdieb wirkte in seiner Milde ein wenig so, als wäre der Paragraf noch in Kraft. Angeklagt war ein 29 Jahre alter Dachauer wegen "Entziehung elektrischer Energie" - einem Delikt, das laut Hohlstein im Jahr 1900 ins Strafgesetzbuch eingefügt wurde und das denselben Strafrahmen hat wie Diebstahl. Der Angeklagte hatte im vergangenen Winter einmal für zwei und einmal für drei Tage ein Verlängerungskabel von seiner Wohnung zu einem Baucontainer der Hypovereinsbank gelegt, die gerade saniert worden war. Während die Anklage von einem Schaden von rund 100 Euro ausging, rechnete Hohlstein mit maximal zweimal zehn Euro.

Er habe aus purer Not gehandelt, um kochen sowie den Kühlschrank und einen Heizlüfter betreiben zu können, sagte der Angeklagte, der den Stromklau unumwunden einräumte. Der Mann, der die Förderschule ohne Abschluss verlassen, nie einen Beruf erlernt und sich stets nur mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hatte, lebte damals von einem gekürzten Hartz-IV-Satz. Deshalb konnte er seine Stromrechnungen nicht mehr bezahlen, so dass ihm im Frühjahr 2011 der Saft abgedreht wurde. "Wie haben Sie denn die ganze Zeit gekocht?", fragte der Richter etwas konsterniert. Er habe auswärts oder kalt gegessen, lautete die lapidare Antwort.

Ob er nicht gewusst habe, dass es Überwachungskameras gebe und dass die Bank ihn wegen des Stromdiebstahls belangen werde, wollte Hohlstein wissen. Das sei ihm schon klar gewesen, aber er habe den Kühlschrank gebraucht, damit seine Einkäufe nicht verkämen. Nun war das nicht die erste Straftat: Acht Vorstrafen zählte der Richter auf, darunter knapp zwei Monate zuvor eine Haftstrafe von zwei Monaten auf Bewährung wegen eines Ladendiebstahls. 5,77 Euro hatte der Wert der gestohlenen Lebensmittel betragen. "Ich hatte Hunger", sagte der Angeklagte, der mittlerweile in einer Obdachlosenunterkunft lebt und einen 400-Euro-Job als Reinigungskraft hat. Von Februar bis Mai ist er allerdings im Gefängnis gesessen, weil er mehrere Geldstrafen nicht hatte bezahlen können.

Für die Staatsanwältin sprachen die Vorstrafen und die offene Bewährung, unter der er beim Stromklau stand, gegen den Angeklagten. Sie forderte fünf Monate Haft ohne Bewährung, weil ihm diese beim letzten Mal nicht Warnung genug gewesen sei. Doch Hohlstein, der dem Mann, der immer nur von der Hand in den Mund gelebt habe, eine "offensichtlich verminderte Intelligenz" bescheinigte, sah das anders. Der Angeklagte brauche nicht noch einmal ins Gefängnis: "Einen Hafteindruck hatte er schon." Er verhängte drei Monate mit Bewährung und 60 Sozialstunden.

© SZ vom 03.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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