Bogenhausen:Von Bonzen und Besatzern

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Das Buch "Amis in Bogenhausen" versammelt Zeitzeugenberichte aus der Nazi- bis zur Nachkriegszeit

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Es gibt Häuser in München, an denen lässt sich die deutsche Geschichte der vergangenen 80 Jahre mit all ihren Umbrüchen ablesen. Das Gebäude an der Prinzregentenstraße 28 ist so eines: Errichtet wurde es 1937/38 als Sitz des Luftgaukommandos VII im Monumentalstil der NS-Zeit, woran bis heute stilisierte Hakenkreuze in Fenstergittern erinnern. Nach dem Krieg zog ausgerechnet dort der Main PX der amerikanischen Besatzer ein, die Zentrale der Einkaufszentren für US-Soldaten und ihre Angehörigen. Später dann übernahm das Wirtschaftsministerium die gesamte weitläufige Anlage.

Häuser können nicht sprechen, ihre Bewohner schon. Die Generation, die den Zweiten Weltkrieg und die erste Nachkriegszeit bewusst miterlebt hat, stirbt aber aus. Die Historiker Karin Pohl und Willibald Karl haben jetzt Erinnerungen von Zeitzeugen zusammengetragen und mit Fotos und Berichten aus Archiven ergänzt. Sie beleuchten eigentlich nur einen begrenzten Abschnitt Zeitgeschichte in einem Stadtviertel, greifen aber zeitlich und räumlich auch darüber hinaus.

So entfalten sich in ihrem Buch "Amis in Bogenhausen" in fünf chronologischen Kapiteln die Facetten des Alltagslebens in einer kriegszerstörten, besetzten Stadt. Die Herausgeber lassen ihre Zeitzeugen auf Deutsch und Englisch ausgiebig zu Wort kommen und zeigen viele, zum Teil bisher unveröffentlichte Bilder. Da ist Christian Huebeners Geschichte von dem quergestellten Trambahnwagen, der die Tivolibrücke blockieren sollte, als die Amerikaner einmarschierten, aber von einem Panzer einfach zur Seite geschoben wurde. Oder - aus den Fünfzigerjahren - das Privatfoto von weidenden Schafen und spielenden Kindern vor der US-Siedlung Grüntal im Herzogpark.

Karin Pohl und Willibald Karl beginnen ihre Geschichte schon mit der NS-Zeit, mit der Enteignung jüdischer Hausbesitzer, von denen es im großbürgerlichen Bogenhausen viele gab; mit den Bomben, die gerade an den Villen im Herzogpark große Zerstörungen anrichteten, weil die Geschwader sich an der Isar orientierten, um die Industrieviertel im Münchner Norden zu treffen. Die Zeitzeugen erzählen vom Hauptquartier der Militärregierung, das zunächst im Gebäude der Landesversicherungsanstalt an der Holbeinstraße untergebracht war, ehe es nach Giesing verlegt wurde; von den meist jüdischen Hilfseinrichtungen, die in beschlagnahmten Villen in Altbogenhausen ihren Sitz hatten; von der Entwicklung des Schwarzmarkts an der Möhlstraße. Sie richten ihren Blick auch auf die Westseite des Flusses, berichten von der Reeducation, von Radio Free Europe an der Oettingenstraße im Lehel, vom Soldatensender AFN, dessen Redaktion an der Kaulbachstraße in der Maxvorstadt untergebracht war.

Im Fokus aber stehen Geschichten aus Bogenhausen, die sich ganz nebenbei zu Geschichte verdichten. Eiskunstläufer Manfred Schnelldorfer erinnert sich an die beiden schwarzen Soldaten, die vor dem Haupteingang des von der US Army besetzten Prinzregentenstadions Wache standen, ihn aber bald passieren ließen und mit Kaugummi und Schokolade versorgten. Ute-Maria Denk erzählt von einer Vorrichtung, mit der sich amerikanischer Kaffee rösten ließ, der gegen Schnaps eingetauscht worden war. Konstruiert hatte diese Maschine ein Lokomotivführer und gelernter Schlosser aus einem Ofenrohr.

Und Heimar Tombergs, dessen Vater Josef Küchenmanager bei den Amerikanern war, berichtet, wie er als kleiner Bub bei einer Weihnachtsfeier im Offiziers-Casino in der Generalsvilla an der Maria-Theresia-Straße einem Lebkuchenhaus entstieg, frohe Weihnachten wünschte und dafür Erdbeeren und Cola bekam - "mitten im Dezember!"

Willibald Karl, Karin Pohl, Amis in Bogenhausen, München 1945-1992, 132 Seiten, 17,90 Euro, ISBN 978-3-86222-198-1

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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