Bogenhausen:Grauzonen der Meinungsfreiheit

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Nach der Informationsveranstaltung zur geplanten Flüchtlingsunterkunft am Schimmelweg berichtet Christiane Hacker auf der Website der SPD Bogenhausen, alle Anwohner lehnten die Einrichtung ab. Eine Aussage, über die im Bezirksausschuss heftig gestritten wird

Von Nicole Graner, Bogenhausen

Es stand da. Schwarz auf Weiß. "Die Anwohner lehnen samt und sonders die Unterkunft für maximal 200 Flüchtlinge ab. Sie haben Angst vor kriminellen Übergriffen, die Frauen befürchten ständige sexuelle Übergriffe." Und: "Die Anwohner um den Schimmelweg wollten nicht überzeugt werden, sie wollen keine positiven Statistiken hören."

Auf der Webseite der Bogenhausener SPD stand bis Freitagabend ein Text von Bezirksausschuss-Mitglied Christiane Hacker (SPD). Er polarisierte. Vor allem, weil die Beschreibung der Informationsveranstaltung zur geplanten Flüchtlingsunterkunft am Schimmelweg am 20. Januar nicht ganz so verlaufen sein muss - wie CSU und Bürger betonen, die sich seit der Veröffentlichung des Textes via Mail an die CSU gewandt haben. "34 Mails haben wir bekommen von Bürgern, die nicht verstehen, was diese Zeilen sollen", sagt CSU-Sprecher Xaver Finkenzeller. Einzelne Bürger hätten bei der Veranstaltung Ängste geäußert, aber zu keinem Zeitpunkt seien "sämtliche Anwohner des Schimmelweges gegen die Unterkunft" gewesen, heißt es in dem Papier, das die CSU in der Sitzung des Bezirksausschusses Bogenhausen vorlegt. Gerade in einer Zeit, in der das Thema Flüchtlinge so brisant ist, seien Hackers Behauptungen, wie Finkenzeller weiter ausführt, nicht haltbar und nicht "akzeptabel". Die CSU fordert deshalb umgehend eine "sofortige Klarstellung" - und Christiane Hacker auf, sich bei den Bürgern zu entschuldigen und den "Beitrag umgehend von der Webseite zu entfernen".

Auf der Webseite steht der Text jetzt nicht mehr. Allerdings sieht die SPD in dem Text nach wie vor eine freie Meinungsäußerung. Aber wo beginnt Meinungsfreiheit? Und wo hört sie auf? Beruft man sich auf Artikel fünf des Grundgesetzes - was die SPD gleich einen Tag nach der Sitzung auf ihrer Webseite auch tut -, dann hat jeder das Recht, seine Meinung zu äußern und auch zu verbreiten. Es sei, erklärt SPD-Fraktionssprecherin Karin Vetterle in der BA-Sitzung, ihre ganz persönliche Meinung, die Christiane Hacker bei der Informationsveranstaltung gewonnen habe. So etwas zu schreiben, sei mutig und rüttle auf. Und: Solche Zeilen zeigten, dass es auch Bürger gebe, die Angst hätten.

Was aber, wenn dieser Meinung falsche Tatsachen zugrunde gelegt werden? Im Gremium, das nach einer hitzig geführten Debatte über die Notwendigkeit einer öffentlichen Aussprache nach Abstimmung dann doch diskutiert, geht es auch um diese Frage. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass man die Meinungsfreiheit so missbraucht", betont Fraktionssprecher Xaver Finkenzeller (CSU). Hier würden Unwahrheiten als gegeben betrachtet. Das, was Christiane Hacker in ihrem Text behaupte, sei einfach falsch, so Finkenzeller weiter. Den Eindruck, den Christiane Hacker von der Informationsveranstaltung gewonnen hatte, zu der an die 260 Bürger gekommen waren, kann auch die Bezirksausschuss-Vorsitzende Angelika Pilz-Strasser (Grüne) nicht teilen. "Das Sozialreferat und ich waren uns einig, dass es sich um eine konstruktive Veranstaltung gehandelt hat."

Klar wird in der allgemeinen Diskussion um das Thema, dass einzelne Bürger wohl kaum das Gefühl der ganzen Bürgerschaft widerspiegeln. Und Meinungen können andere auch verletzen. Zum Beispiel die Bürger, die sich mit Engagement für eine gelingende Integration von Flüchtlingen am Schimmelweg einsetzen wollen. Fördern solche Sätze, wie Petra Cockrell (CSU) nachfragt, das bürgerliche Engagement? "Damit hat Hacker der Sache einen Bärendienst erwiesen", sagt Cockrell.

Ein Lösung für eine Veröffentlichung auf der Webseite hätte auch sein können, den Text mit der Überschrift deutlich als Kommentar zu kennzeichnen - auf der Webseite unter dem Stichwort Archiv zum Beispiel findet man Kommentare. In der Sitzung äußert sich Christiane Hacker nicht zu den Vorwürfen der CSU, aber am Donnerstag nimmt sie auf SZ-Anfrage Stellung. "Es tut mir leid, dass der Text nicht als Kommentar gekennzeichnet worden ist. Das ist ein Versäumnis. Aber es ist definitiv einer. Es ist meine ganz persönliche Meinung, zu der ich auch immer noch stehe." Auch weiß Hacker, die sich in Bogenhausen intensiv für die Flüchtlingsbetreuung stark macht, dass der Text natürlich "pointiert" geschrieben sei. Aber man lasse sich deswegen doch nicht einfach einen "Maulkorb verpassen". Geschrieben habe sie den Text vor allem unter dem Eindruck, wie sehr sie selbst in der Informationsveranstaltung über die Forderung nach einer Bürgerwehr erschrocken war. Und fügt hinzu: An diesem Abend hätten viele Bürger auch an den falschen Stellen geklatscht. Die Ängste zu benennen, die die Bürger offensichtlich hätten, auch das gehöre, so Hacker, zu einer "guten Betreuung" im Vorfeld dazu. Wenn man Ängste ernst nehme und sich auch darum kümmere, könne man viel Positives erreichen.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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