Bogenhausen:Auf gute Nachbarschaft

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Hausleiter Bortz, Bauknecht von der Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen und die Vorsitzende des Bezirkasusschusses, Pilz-Strasser mit zwei Flüchtlingen. (Foto: Florian Peljak)

Bei einem Informationsnachmittag im ehemaligen Siemens-Komplex, der jetzt als Notunterkunft dient, beantworten der Hausleiter sowie Mitarbeiter der Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen Fragen und erklären die Situation

Von Ulrike Steinbacher, Bogenhausen

Einfach ist es nicht, für niemanden hier. Nicht für die 155 Asylbewerber, die jetzt in den ehemaligen Großraumbüros im Siemens-Komplex an der Richard-Strauss-Straße leben, von ihren Nachbarn nur durch 1,60 Meter hohe Stellwände getrennt. Und auch nicht für die haupt- und ehrenamtlichen Helfer, die versuchen, diesen Flüchtlingen einen Weg in den deutschen Alltag zu bahnen, vorbei an den Klippen aus unverrückbaren Vorschriften einerseits und jähen Kurswechseln von Behörden und Politik andererseits.

"Es kann sein, dass das, was ich jetzt sage, nur fünf Minuten Bestand hat", warnt Hausleiter Gerold Bortz vom Münchner Sozialreferat gleich zu Beginn, "die Halbwertszeit ist manchmal sehr gering." Die 70 Nachbarn, die an diesem sonnigen Nachmittag in den Aufenthaltsraum der Unterkunft an der Richard-Strauss-Straße gekommen sind, wollen dennoch etwas hören. Informationen hat ihnen die Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen, eine Initiative von ehrenamtlichen Helfern, versprochen. Konkrete Informationen über dieses Haus und seine Bewohner und über die Möglichkeiten, zu helfen.

Ein durch und durch pragmatischer Ansatz also, den Hausleiter Bortz und Christiane Hacker von der Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen verfolgen. Eineinhalb Stunden lang erklären sie die Situation und beantworten Fragen. Seit dem 18. Juni ist das ehemalige Siemens-Bürohaus eine Unterkunft, genutzt werden soll es voraussichtlich bis zum 30. Juni 2016. Es bietet Platz für 198 Menschen, ist zur Zeit aber nicht voll belegt: Transferstopp - zuerst wegen der Windpocken, jetzt wegen der Masern. Die größten Gruppen im Haus kommen aus Albanien, Afghanistan, Eritrea und Somalia, vereinzelt sind auch Westafrikaner und Syrer unter den Bewohnern. Auf der untersten der drei Wohn-Etagen leben die alleinstehenden Männer, darüber die Familien mit Kindern vom Baby bis zum Teenager, ganz oben die Frauen. Die Küche im Keller darf aus Brandschutzgründen nicht benutzt werden und dient als Waschküche. Das Essen liefert ein Caterer, der insgesamt knapp 8000 Asylbewerber versorgt.

Das größte Problem, sagt Gerold Bortz, sei die Verständigung. Mit Englisch oder Französisch, auch mit Türkisch komme man nicht weit, aber Arabisch sei "eine große Klammer", ebenso Farsi, das auch Afghanen sprechen. Eine echte Hilfe seien die Leute vom Sicherheitsdienst: "Das sind nicht irgendwelche Dumpfbacken", erklärt er, "die haben Sprachkompetenz." Richtig schwierig sei es nur mit den Eritreern, ergänzt Christiane Hacker. Über ihre Kirchengemeinde habe sie aber eine Frau aufgetrieben, die Tigrinya spricht.

Hacker berichtet auch von der medizinischen Betreuung der Flüchtlinge, bei der die Ehrenamtlichen die Hausleitung unterstützen. Als die Windpocken ausbrachen, fand die Initiative - "nach 40 Absagen" - eine Kinderärztin, die die Babys untersuchte und impfte. Die benachbarte Apotheke besorgt unbürokratisch Medikamente, das Schwabinger Krankenhaus hat die Betreuung von Geburten zugesagt, ein Allgemeinmediziner hält am Mittwochnachmittag im Haus Sprechstunde. Damit Arzt und Patient einander verstehen, sucht Thomas Bauknecht von der Initiative jeweils Dolmetscher. Er ist es auch, der die Besuche bei anderen Ärzten organisiert. Dafür werden noch Begleiter gesucht, auch ein Medikamenten-Bote wäre hilfreich.

Ehrenamtliche werden außerdem gebraucht, um mit den Asylbewerbern ein bisschen Deutsch zu lernen - ohne Studium, nur "mit gesundem Menschenverstand und viel Fantasie", sagt Christiane Hacker. Für den Unterricht können zwei Aufenthaltsräume genutzt werden, die Gerold Bortz trotz aller Brandschutzauflagen den Behörden abgerungen hat. Zudem möchte die Initiative Mal- und Musikkurse anbieten, Sportmöglichkeiten und Spieleabende. Auch da fehlen Betreuer.

Die Wortmeldungen der Zuhörer zeigen dann einerseits den Wunsch zu helfen, andererseits die Verwirrung über Begriffe und Verfahrensweisen. Nach dem Unterschied zwischen einer Gemeinschafts- und einer Notunterkunft wird gefragt (das Siemens-Gebäude gilt als Notunterkunft, die erst belegt wird, wenn anderswo kein Platz mehr ist), nach der Aufenthaltsdauer (bis zum Abschluss des Asylverfahrens), nach der Höhe des Taschengeldes (im Durchschnitt 165 Euro im Monat). Eine Frau will wissen, ob sie eine Kiste mit Obst spenden darf (darf sie nicht, weil das Gesundheitsamt vorschreibt, dass Nahrungsmittel lückenlos kontrolliert sein müssen), eine andere hat frisch gewaschene Kuscheltiere, eine dritte möchte wissen, ob es Bücher für die Deutschstunden gibt.

Zum Schluss hat Christiane Hacker 14 neue potenzielle Deutschlehrer, und auch auf den Listen für Musik, Sport, Kunst und Spiele haben sich Freiwillige eingetragen. Nebenbei sind gut 900 Euro Spenden zusammengekommen, die für MVV-Karten, Sportausrüstung, Unterrichtsmaterial und Ausflüge verwendet werden sollen. Nur einmal an diesem Nachmittag ist Hacker von ihrem strikt pragmatischen Ansatz abgewichen und hat etwas Grundsätzliches gesagt: "Wir werden diesen Flüchtlingszustrom nicht stoppen können. Und die Menschen bringen alle ein Päckchen mit aus ganz fürchterlichen Erlebnissen. Wir können sie wenigstens anständig behandeln."

Auskunft zur ehrenamtlichen Arbeit der Flüchtlingsbetreuung Bogenhausen geben Christiane Hacker, Telefon 95 720 494, Yvonne Möller vom Freiwilligen-Zentrum Ost St. Rita, Telefon 9200-4630, und Brigitte Stengel, Telefon 95 720 220.

© SZ vom 04.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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