Bizarres Wohnrecht:Wer rein darf - und wer nicht

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  • Eine Frau lebt seit 2009 mit ihrem Mann in einer Wohnung der Baugenossenschaft München-West des Eisenbahnpersonals.
  • Nun lässt sich das Paar scheiden, die Frau muss Mitte Juni ausziehen und hat laut Genossenschaft keine Chance, Mitglied zu werden - also an eine günstige Wohnung zu kommen.
  • Die Frau ist wegen einer Krankheit seit Jahren arbeitsunfähig und bezieht Hartz IV.
  • Das Problem: Weder Stadt noch Genossenschaft fühlen sich offenbar zuständig, jede Seite verweist auf die andere.

Von Bernd Kastner

Wohnungsbaugenossenschaften sind überaus beliebt, weil sie als soziale Vermieter gelten. Sie verlangen meist geringere Mieten als auf dem freien Markt üblich, und wer einmal drin ist, genießt lebenslanges Wohnrecht. Es sei denn, er lässt sich scheiden. Frauke Meier (Name geändert), 53, macht diese Erfahrung gerade. Und wenn nicht schnell etwas passiert, steht sie mit ihrer Tochter in ein paar Wochen auf der Straße, ist dann wohnungslos.

Seit 2009 lebt sie mit ihrem Mann in einer Wohnung der Baugenossenschaft München-West des Eisenbahnpersonals. Ihr Mann arbeitet bei der Deutschen Bahn, so sind sie reingekommen in die Genossenschaft. Inzwischen aber stehen die Eheleute Meier kurz vor der Scheidung. In der Wohnung darf der Mann bleiben, die Frau muss nicht nur ausziehen. Sie habe laut Genossenschaft auch keine Chance, in einer anderen Wohnung der Eisenbahner unterzukommen, weil sie keine Eisenbahnerin ist.

Wer rein darf - und wer nicht

"So ein Fall ist nicht ungewöhnlich", sagt Stefan Roth vom VdW Bayern, dem auch für Genossenschaften zuständigen Verband der Wohnungsunternehmen. Entscheidend sei, was in der Satzung steht, und bei vielen berufsständischen Genossenschaften sei die Mitgliedschaft nun beschränkt, sei es auf Eisenbahner oder Postler. Man könne den Eisenbahner-Genossen also keinen Vorwurf machen. Wenn man nachfragt, ist es dann aber doch nicht so eindeutig, wer rein darf und wer nicht. Verschiedene Akteure zeigen jeweils mit dem Finger auf andere: Ihr seid zuständig, ihr müsst entscheiden.

Reto Berndt, Prokurist der Eisenbahner-Genossenschaft München-West mit etwa 1200 Wohnungen, verweist zunächst auf das Familiengericht. Das habe im Scheidungsverfahren entschieden, dass der Mann in der Wohnung bleiben dürfe. Hätte das Gericht anders geurteilt, sagt Berndt, hätte man Frauke Meier die Wohnung überlassen. Zuvor aber hatte die Genossenschaft dem Gericht geschrieben: "Wir vermieten grundsätzlich nur an unsere Mitglieder"; dass Frau Meier Mitglied werde, sei "ausgeschlossen". Wie also hätte das Gericht anders entscheiden sollen?

Was der Oberbürgermeister rät

Als nächstes verweist Berndt auf die Stadt München, die ja, sagt er, genügend Sozialwohnungen zur Verfügung habe. Würde die Stadt die Frau für eine der etwa 150 Sozialwohnungen der Genossenschaft vorschlagen, dann, sagt Berndt, würde man sie doch aufnehmen. Nun gibt es in München aber nicht genügend, sondern viel zu wenige Sozialwohnungen, auf 12 500 wartende Haushalte kämen 3400 Vermittlungen pro Jahr, schreibt Oberbürgermeister Dieter Reiter. An ihn hatte sich Frau Meier in der Verzweiflung auch gewandt. Auf der städtischen Warteliste steht sie längst.

Reiter wiederum bat im November um Verständnis, dass im Wohnungsamt wegen der "schwierigen Personalsituation" die Anträge gerade länger liegen blieben. Und dann verweist Reiter auf Meiers Eisenbahnergenossenschaft, die ihm bestätigt habe, "dass sich grundsätzlich auch Externe für Wohnungen bewerben können und die Interessenten nicht zwingend Mitglieder sein müssen". Es folgt als Tipp: die Internetseite der Genossenschaft.

"Die Satzung muss nicht zwingend eine Logik haben"

So verweist also einer auf den anderen, und so wird Frau Meier zusammen mit ihrer jüngsten Tochter, die noch zur Schule geht, Mitte Juni ausziehen müssen. Anders ihre beiden älteren Töchter, die ihr Noch-Ehemann angeheiratet hat. Als Kinder eines Eisenbahners, auch als nicht leibliche, haben sie das Recht, Mitglied der Genossenschaft zu werden, sie wohnten, berichtet die Mutter, in einer Genossenschaftswohnung.

Nur die bald geschiedene Ehefrau soll keine Chance haben? Ja, so sei es, sagt Berndt. "Die Satzung muss nicht zwingend eine Logik haben." Und überhaupt, erklärt er, fühle sich seine Genossenschaft nicht für solche Probleme zuständig: "Es gibt einfach Dinge, wo man froh sein sollte, wenn man sich nicht reinhängen muss." Man sei "zu klein", um sich "private Sorgen auf den Tisch zu ziehen".

Frau Meier berichtet, dass sie von Hartz IV lebe, weil sie wegen einer Krankheit seit Jahren arbeitsunfähig sei. Mitte Juni muss sie ausziehen. OB Reiter hat ihr noch einen Tipp gegeben: "Bei drohender Wohnungslosigkeit wenden Sie sich bitte umgehend an Ihr zuständiges Sozialbürgerhaus."

© SZ vom 27.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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