Bahnhofsviertel während der Wiesn:"Es gibt auch schöne Momente"

Lesezeit: 3 min

Gäste im Jugendhotel Wombats zur Oktoberfestzeit. (Foto: lok)

Bierselige Italiener, übermütige Australier und eine Nackte im Taxi: Fünf Erwerbstätige erzählen, was sie während des Oktoberfests im Viertel zwischen Hauptbahnhof und Festgelände erlebt haben. Protokolle aus dem Wiesn-Alltag.

Von Martin Moser

"Wiesnzeit bedeutet Ausnahmezustand bei uns im Hostel. Wir haben viele junge Australier im Haus, die ziehen alle ganz begeistert Dirndl und Lederhose an. Die Mädels vergessen bloß öfters die Bluse. Wir versuchen ihnen zu erklären, dass man sich hier ein bisschen anders anzieht als in Australien, wenn man auf das Oktoberfest geht.

Die Australier vertragen zwar das bayerische Bier, wissen aber oft nicht genau, wo ihre Grenze ist. Kurz vor der Wiesn besorgen wir deshalb eine große Ladung an Streu. Damit wir das Erbrochene im Haus aufsaugen können. Wir planen auch extra Putzschichten für die Nacht ein und sorgen für mehr Security.

Unsere Gäste bekommen zur Sicherheit Armbänder mit der Adresse und der Zimmernummer. Damit sie nach dem Feiern noch wissen, wo sie hingehören, oder damit wir wissen, in welches Zimmer wir sie stecken sollen - nicht, dass am Ende einer noch im falschen Bett landet."

Manuela Habenicht, Managerin im Jugendhostel Wombats

"Im Taxi bekomm ich viel mit und wundere mich schon gar nicht mehr über die Leute. Bei einem Kollegen ist mal eine junge Dame eingestiegen und hat sich hinten im Taxi komplett ausgezogen. Die war wohl betrunken und dachte, sie sei schon zu Hause.

Eigentlich fahre ich nur am Wochenende Taxi. Zur Wiesn nehm ich mir aber zwei Wochen Urlaub von meinem normalen Job. Jedes Jahr wieder eine Attraktion für sich, die Wiesn-Zeit. Man muss sehr viel Geduld als Taxifahrer haben.

Taxifahrer Hakan Sali Oglou während seiner Mittagspause in der Schwanthalerstraße. (Foto: Martin Moser)

Während der Wiesn arbeite ich nur bis zum Nachmittag. Nachts will ich nicht mehr, da sind zu viele Besoffene unterwegs. Neulich war eine Gruppe Mädels aus Garmisch bei mir im Taxi, die wollten mehr Party machen als Taxi fahren. Bei denen hieß es dann: Musik laut drehen. Die kreischen rum, machen das Fenster auf. Dann stehen andere Taxis neben mir mit netten jungen Männern drin. Den Rest kann man sich ja denken.

Der Flirtfaktor ist in einem Taxi sehr groß. Sobald die Mädels was getrunken haben, sind die ganz schön locker. Manchmal bekommt man ganz eindeutige Angebote. Als Taxifahrer bin ich das gewohnt und gehe nicht darauf ein."

Hakan Sali Oglou, Taxifahrer

"Besonders wenn Kinder kommen, ist der Job hier sehr schön. Die springen die Wendeltreppe hinauf und zählen die Stufen. Einmal ist ein kleiner Stöpsel gekommen und hat gesagt: Das sind keine 252 Stufen, ich habe nur 250 gezählt. Da hat er aber die beiden da unten am Eingang übersehen.

Nur zum Oktoberfest und zum Frühlingsfest können die Leute den Turm besteigen. Ansonsten ist er geschlossen. Oft kommen Leute, die schon Jahre in München gelebt haben und sagen: Jetzt muss ich auch mal auf den Turm der Paulskirche schauen. Aber auch viele Touristen wollen die Wiesn einmal von oben sehen: Italiener zum Beispiel oder Franzosen. Aber Französisch kann ich nicht und Italienisch auch nicht. Ich sage einfach auf Englisch: Hier sind einige Informationen auf dem Tisch. Das Wort "information" verstehen fast alle.

Ich selbst war in diesem Jahr noch gar nicht oben. Aber der Blick auf München und die Wiesn ist wunderbar. Wenn Föhn ist, kann man bis in die Berge sehen."

Schwester Marie-Edith, Turmwächterin in der Paulskirche

"Viele junge Leute sind dieses Jahr unterwegs, aber auch viele Italiener. Die schreien rum, es gibt Schlägereien vor unserem Schaufenster. Teilweise randalieren die auch in den Geschäften, wie nebenan im Döner-Laden.

In der ersten Wiesn-Woche macht man noch viele Späße mit. Aber zum Ende hin will man nur, dass es endlich vorbei ist. Die vielen Leute, auch die Betrunkenen, sind sehr anstrengend. Doch es gibt auch schöne Momente: Einmal kam ein Inder, der mich gleich zu sich nach Indien eingeladen hat. Ein anderer wollte, dass ich ihn in Rimini besuche.

Das Problem ist die Verständigung - vor allem wenn die Italiener da sind. Die gehen davon aus, dass ich Italienisch kann und legen sofort los. Aber ich versteh nichts. Normalerweise kaufen die Leute bei uns Gebäck und Brote. Zur Wiesn ist das ganz anders. Da verkaufen wir hier am Abend nur noch Bier: In Dosen, Krügen oder Fünf-Liter-Fässern, die meistens die Italiener kaufen - manche sogar vier Stück auf einmal. Als Geschenk für die Familie. Soweit ich sie verstehen konnte."

Emir Temizsoy, Verkäufer in der Bäckerei Weiß-Blau

"Meistens kommen Mädels zu mir rein, weil sie nach einer Toilette suchen oder sich ein bisschen ausruhen wollen. Ich hatte mal eine Dame, die hier in unserem Raucherraum eingeschlafen ist. Die war fix und fertig. Und ich habe sie nur mit Mühe und Not wieder rausbekommen. Andere vermuten bei mir einen Geldautomaten oder wollen Bier kaufen. Gibt es beides nicht im Gewerkschaftshaus - die Leute kommen trotzdem immer wieder.

In einem Viertel zu arbeiten, wo alle zum Partymachen vorbeilaufen, ist schon spannend. Ich schaue mir das Treiben da draußen an und lache darüber. Es passiert so viel auf der Straße: Geschrei, Randalier, Schimpferei auf die Autofahrer, weil die nicht halten wollen.

Ich musste leider auch während des Wiesn-Einzugs arbeiten. Das ist schon ein komisches Gefühl, wenn alle zum Feiern an einem vorbeigehen - und du hier drin stehst und vielleicht noch ein paar Fotos vom Festzug machst, der draußen an dir vorüber zieht."

Volkan Akkoyun, Pförtner im Gewerkschaftshaus

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: