Ausstellung:Die Schönheit der Taumelfackel

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Für den Kameramann Hans Albrecht Lusznat haben Dinge Sammlerwert, die andere wegwerfen. Eine Ausstellung im H-Team

Von Jutta Czeguhn

Charlie Rivel, wer kennt ihn noch, den größten aller Clowns? Hier hätte man ihn jedenfalls nicht erwartet: ein schmaler Kellergang in Schwabing mit Rivels Porträtfoto an der Wand: Der kalkweiße Riesenmund hängt ihm wie ein Hufeisen im Gesicht. Da sind die wirren Haarbüschel und die Clownsnase, die berühmte. Sie hatte eine komische Vierkantform, war aus Aluminium und natürlich feuerrot. "Charlie Rivel hat mich mal gefragt, ob ich mit ihm auf Tournee gehen will, aber die Bühne war nie mein Ding!", ruft es aus einem kleinen Raum herüber. Die Stimme gehört Hans Albrecht Lusznat, der den Clown fotografiert hat. Der Kameramann hat in diesem Keller sein Atelier, sein Lager und sein privates Museum. Wegen Letzterem kommt man ihn besuchen, eigentlich.

Erhabenheit strahlt für Sammler Lusznat diese Badewannenarmatur von 1956 aus. (Foto: Hans Albrecht Lusznat)

Lusznats Museum fristet ein Dasein in Kisten. Nun allerdings wird es zum allerersten Mal öffentlich zu sehen sein, genauer gesagt: Fotografien davon. Vernissage ist am Donnerstag, 23. November, 18.30 Uhr, beim H-Team an der Plinganserstraße 19. Das ist der gemeinnützige Verein, der Menschen hilft, die nicht mehr allein in ihrer Wohnung zurechtkommen, darunter auch jene, denen ihre Sammelwut über den Kopf gewachsen ist. Die Gesellschaft nennt sie Messies. Auch Hans Albrecht Lusznat ist ein unorthodoxer, stiller Sammler. In Jena geboren, in Krefeld aufgewachsen, Studium in München und Hamburg, sammelt er seit den Siebzigerjahren von Berufs wegen und aus Berufung Motive, Perspektiven, Geschichten - und eben diese speziellen Dinge. Man könnte die mehr als 100 Objekte in seinem Museum als merkwürdig, einzigartig, nostalgisch beschreiben, aber das trifft's nicht. Sie sind, was sie sind: Dinge.

Die Taumelleuchte erwarb er in Italien. (Foto: Hans Albrecht Lusznat)

Lusznat sitzt also - es ist sein freier Drehtag - im Schwabinger Keller zwischen sehr, sehr geordneten Regalen, in denen alle möglichen Kameramann-Utensilien liegen und große Stativ-Hüllen wie dunkle Fledermäuse von der Decke hängen. Er nutzt die Zeit, um die Ausstellung vorzubereiten: Fotografien seiner Objekte mit kurzem Begleittext. Das Porträt von Charlie Rivel hätte eine Warnung sein sollen, denn bereits die Antwort auf die harmlose Frage, "was drehen Sie denn gerade?", lässt einen heillos vom Weg abkommen: "Einen Film über Roland Berger!" Ach, nee, wie ist der denn so? Allein das wäre Gesprächsstoff für Stunden. Und weil Menschen vom Niederrhein bekanntlich sehr gradheraus sind, lässt Lusznat - in aller Beiläufigkeit - ein paar heitere Anekdoten hören. Als Kameramann der BR-Dokureihe "Lebenslinien" etwa und auch sonst bei seinen vielen Projekten sind ihm so unterschiedliche Zeitgenossen über den Weg gelaufen wie der Brei-Hersteller Claus Hipp, der Dirigent Kent Nagano, Rupert Neudeck, Konstantin Wecker oder Hans Söllner ... Und auch der Gerhard Polt, in dessen Film "Und Äktschn!" er mal - was sonst - einen Kameramann spielen durfte.

Die Anstoßkappe gehörte mal einem BMW-Arbeiter. (Foto: Hans Albrecht Lusznat)

Da Lusznat aber keiner dieser Trophäenjäger ist, die Berühmtheiten brauchen, um sich selbst wichtig zu machen, redet er deutlich lieber über all jene unbekannten Menschen, denen er in den vielen Dokumentarfilmen begegnet ist. Fallhöhen scheint es da keine zu geben, ob er nun den Unternehmensberater Roland Berger vor der Kamera hat oder zwei rumänische Biss-Verkäufer per Flixbus in ihre Heimat begleitet.

Und so findet sich der Weg zurück zum Privatmuseum und den Dingen. Rot lackiert wie die Clownsnase von Charlie Rivel ist das runde Metallding, das auf dem Tisch im Kellerraum steht. Lusznat selbst nennt es "Taumelfackel", ein wunderbares Wort, das man ebenfalls sofort in ein Museum gegeben oder besser dreimal täglich benutzen sollte, damit es nicht ausstirbt. Die Laterne mit dem Textildocht und einer Brennerkapsel sehe doch aus wie ein "überdimensionales Teelicht", findet Lusznat. Er habe sie wohl in den Achtzigerjahren in Italien gekauft, wo Leuchten wie diese an den Straßen vor Baustellen warnten. "Wenn sie von einem Auto gestreift wurden, richteten sie sich selbst wieder auf", erklärt er und führt's auch gleich mal im Ansatz vor. "Toll, was?" Bewunderungswürdig ist auch der Verstärkungslocher der Marke Veloma. Lusznat vermutet, dass bei einer Entrümpelungsaktion der Nymphenburger Porzellanmanufaktur sein Auge darauf fiel. Der alten Büroweisheit folgend, "gelesen, gelacht, gelocht", gelang mit der Maschine Lochen und Lochverstärken in einem Aufwasch.

Stiller Sammler: Hans Albrecht Lusznat (Foto: Florian Peljak)

Im Jahr 1984 drehte Lusznat für BMW einen Arbeitssicherheitsfilm, die türkische Belegschaft war die Zielgruppe, für die eigens ein türkischer Pantomime engagiert wurde. Als Requisit hat er sich eine Anstoßkappe mitgenommen, wie sie Arbeiter bei der Montage am Band trugen. Eine Gasflasche mit Ventil, Gewicht 1,21 Kilogramm, wiederum erinnert an Josef, einen verurteilten Betrüger, den Lusznat mal über einen Zeitraum von drei Jahren während seiner Bewährungszeit mit der Kamera begleitet hat. "Ein irrer Typ", sagt er anerkennend. Völlig mittellos habe Josef damals seiner neuen Liebe einen Bauernhof schenken wollen. Und als genialem Scharlatan sei ihm das auch gelungen, bis er dann mal wieder Schiffbruch erlitt. Ob aus Josef mittlerweile ein ehrbarer Bürger geworden ist, vermag Hans Albrecht Lusznat nicht zu sagen. Josefs Geschenk, die alte Pressluftflasche, hält er jedenfalls in Ehren. Ebenso wie die Akku-Grubenlampe, die von Menschen in der walisischen Bergarbeiterstadt Blaenau Ffestiniog stammt. Ein Postsackanhänger wiederum bringt Lusznat zurück in die Gaststätte "Die Bleibe" in Zschopau, wo er den historischen 3. Oktober 1990 verbrachte.

Warum sammelt jemand alte Badewannenarmaturen, Bunsenbrenner oder Fahrkarten aus bedrucktem Pappkarton aus der rumänischen Stadt Copșa Mică, die wegen ihrer Rußfabrik nur die "Schwarze Stadt" genannt wurde? Als Fotograf hätte er die Dinge auch einfach nur abzulichten brauchen, wie er es nun für die Ausstellung im H-Team getan hat, weil dort aus Platzmangel keine Vitrinen aufgestellt werden können. Er selbst vergleicht sein Museum augenzwinkernd mit Claes Oldenburgs "Mouse-Museum", in das der Künstler 1972 für die "Documenta 5" allen möglichen Kitsch packte. Oder mit Herbert Distels "Schubladenmuseum", einem Nähseidenspulenkasten mit 500 Miniaturobjekten. Im Grunde aber braucht Hans Albrecht Lusznat die Referenzen an die Kunstgeschichte gar nicht. "Ehrlich gesagt, ich finde diese Dinge einfach nur schööööön." Und das klingt nun fast wie ein kleines Charlie-Rivel-Echo von der Wand draußen im Kellerflur.

"Sammeln und Ansichten", Hans Albrecht Lusznat, in den Räumen des H-Teams, Plinganserstraße 19, Vernissage 23. November, 18.30 Uhr. Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag von 9 bis 12 Uhr und 13 bis 16 Uhr sowie Freitag von 9 bis 12 Uhr.

© SZ vom 18.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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