Ausstellung:Das innere Bild von Gott

Lesezeit: 4 min

Der Berliner Kurator und Galerist Alexander Ochs setzt sich im Klohäuschen mit dem Zweiten Buch Mose auseinander

Von Jutta Czeguhn

Der Berliner Dom, diese mächtige, fünfschiffige Basilika, ist die größte Kirche der Hauptstadt. Wie oft würde wohl das ehemalige Pissoir an der Thalkirchner Großmarkthalle mit seinen gerade mal acht Quadratmetern in dem neobarocken Monumentalbau Platz finden? Man ertappt sich bei diesem abstrusen Gedanken, während Alexander Ochs durch seine Installation im Klohäuschen führt, was im Westlichen bedeutet, sich auf dem Absatz einmal um die eigene Achse zu drehen. Wenn man dabei aber gut zuhört, dann eröffnet einem der Berliner Sammler, Kurator und Galerist einen riesigen Raum. "Du sollst Dir kein Bild machen" heißt seine Schau, die noch bis Mitte Januar in und an diesem ungewöhnlichen, kleinen Kunstort erfahrbar ist. Im Berliner Dom hatte Ochs einen beinahe gleichlautenden Ausstellungszyklus 106 Tage lang gezeigt, dort allerdings mit zwei Klammern im Titel: "Du sollst Dir (k)ein Bild machen". Ein nicht unwesentliches Detail, wenn es um das biblische Bilderverbot geht.

Um zu verstehen, wie sich das miteinander verhält, der Berliner Dom und das Münchner Pissoir, muss man bei Alexander Ochs selbst anfangen: Im Klohäuschen steht ein bärtiger Mann jenseits der Sechzig. Gegen die Kälte trägt er einen auffällig groß karierten Mantel, den er entweder schon sehr lange im Schrank hat oder sich neulich erst in einem dieser Hipster-Läden in Mitte gekauft hat. Für einen Berliner sind seine Konsonanten zu butterweich, das R zu rollend. Ochs stammt aus Bamberg, war dort vor Jahr und Tag mal in der freien Musikszene unterwegs und dann Betreiber eines alternativen Buchladens, ehe er seiner Berufung folgte. Ochs wurde als Galerist zu einem Pionier auf dem chinesischen Kunstmarkt. So war er es, der Ai Weiwei für Europa entdeckte. 1997 gründete er den "White Space", eine Galerie in Peking, die er erst 2012 aufgab. Hauptsächlich wegen der Repressalien der Machthaber dort, die weniger ihm selbst galten als den chinesischen Künstlerfreunden. Heute - auch die Berliner Galerie hat Ochs inzwischen geschlossen - führt er in seiner Charlottenburger Altbauwohnung eine Art Salon. Dorthin lädt er ungewöhnliche Gäste ein wie etwa den Experimental-Musiker John Rose, der im Salon als Uraufführung auf seiner Roboter-Bratsche Aktienkurse von Google und Facebook vertonte. Einer der Salon-Abende an der Berliner Schillerstraße führt wieder zurück zum Klohäuschen. Und zum Zweiten Buch Mose.

Es riecht nach Weihrauch in der ehemaligen Männertoilette. "Ich habe vorhin geräuchert, zur Klärung...", sagt Ochs. Die zweite Hälfte des Satzes aber geht unter im vielsprachigen Stimmengewirr, das aus kleinen Lautsprecherwürfeln über dem Eingang kommt. "Du sollst dir kein Bild machen you shall not make for yourself an image in the form of anything in the heaven above or on the earth beneath..." Man hört das mosaische Abbildungsverbot als Litanei gesprochen, gesungen, geflüstert, auch auf Französisch, Hebräisch, Arabisch, Italienisch. Für Alexander Ochs sind es nicht irgendwelche Stimmen, sondern die von Freunden; von Künstlern, Diplomaten, von Musikern des Migranten-Orchesters Babylon. Vorige Woche waren sie seine Gäste im Salon. "In einem ruhigen Zimmer haben wir das dann aufgenommen", sagt er über die Sound-Installation, die auch nach draußen in die Thalkirchner Straße getragen wird.

An ein Chorgestühl erinnern Alexander Ochs die geschwungenen Bögen der ehemaligen Urinale. Ein guter Platz für Meditationskissen, sagt er. (Foto: privat)

An die 30 Ausstellungen in Kirchen hat Alexander Ochs mittlerweile kuratiert. Ein Projekt, das er demnächst in einem Hamburger Gotteshaus mit der Münchnerin Regina Baierl plant, führte ihn ins Klohäuschen, wo Baierl gerade ausstellte. "Ich war sofort von diesem Ort fasziniert." An ein Chorgestühl erinnern ihn die sechs geschwungenen Urinale. Dort, wo einst die Notdurft der Männer abfloss, liegen nun Meditationskissen, die Ochs aus einem Ashram im indischen Kerala mitgebracht hat - billige Schaumstoff-Blocks, die mit bunten Stoffen überzogen sind. "Auf denen haben Anja und ich vorhin meditiert." Er meint Anja Uhlig, die seit Jahren interessante Künstler ins Klohäuschen holt.

In der Schau im Berliner Dom, respektive in einer dort hineingesetzten schlichten Raumskulptur, zeigte Ochs als Auseinandersetzung mit dem Bilderverbot Sakralkunst wie etwa das Elfenbein-Kruzifix aus dem Bamberger Dom, das aus dem elften Jahrhundert stammt, aber auch Werke von Hans Arp, Max Beckmann, Ai Weiwei und Marina Abramovic. Im Klohäuschen an der Großmarkthalle, das nur durch ein schlichtes Türschloss gesichert ist, muss die Marktwertigkeit der Kunst eine andere sein. Ochs hat Bahnen aus grobem Stoff, beige-fleischfarben gestreift, aufgehängt. An einer Wand kleben verschattete Polaroids. Es sind Hinweise auf teils persönliche Gottesbeziehungen. Ochs nennt sie "Versatzstücke": ein Reh als Kraftwesen aus der Natur, eine Holzschnitz-Madonna aus Tschechien, die Hindu-Gottheit Ganescha mit dem Elefantenkopf, Buddha und ein Foto von Julia Krahn, die sich als Maria inszeniert. Man sieht auch eine Holzskulptur aus China, die einen Fisch darstellt - "ICHTHYS", das Jesus-Symbol.

"Wir hören überall, dass die Menschen nicht mehr in die Kirchen gehen, doch wenn wir ihnen näher kommen, dann ist da überall eine Sehnsucht nach Gott, und jeder glaubt irgendwas", sagt Alexander Ochs. Das Phänomen der Bilderlosigkeit, formuliert in den Zehn Geboten, finde sich in allen großen Weltreligionen, im Islam, Judentum und im Christentum. "Im Endeffekt geht es um die Frage: Brauche ich ein Bild, um mich diesem Mysterium anzunähern? Wir brauchen Stücke, Artefakte, Erinnerungen, die uns von dem äußeren Bild immer wieder ins Innere führen."

Schlichte Polaroids an der Kachelwand thematisieren Darstellungsformen des Göttlichen und Heiligen. (Foto: privat)

Das Christentum, sagt er, habe sich im vergangenen Jahrhundert aus der Kunstgeschichte verabschiedet, die Moderne quasi verschlafen. Nun aber, beobachtet er, kehre die Kunst in die Kirchen zurück. "Wir haben einen ziemlich verkommenen Kunstmarkt, viele Künstler finden dort keinen Platz mehr. Auch Künstler haben diese Sehnsucht nach einem anderen Ort, an dem sie gut aufgehoben sind, das macht unter Umständen diese Renaissance aus." Den Einwand, dass das Klohäuschen nicht eigentlich ein Sakralraum sei, lässt Alexander Ochs nicht gelten. Auch dieses alte ehemalige Pissoir sei durchaus ein beseelter Ort. "John Cage, mit dem ich mal arbeiten durfte, sprach gegen Ende seines Lebens immer von der Seelenhaftigkeit des Materials. Am Klohäuschen liegen Zettel aus. Ochs lädt die Menschen ein, ihre Gedanken aufzuschreiben und zu hinterlassen. Es gibt Raum für viele Gottesbilder.

"Du sollst Dir kein Bild machen", Alexander Ochs, im Klohäuschen an der Großmarkthalle, Thalkirchner/Ecke Oberländerstraße, von außen jederzeit einsehbar.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: