Aus für Münchens letztes Moorbad:Schlamm drüber

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Einst suhlten sich Prominente wie Fassbinder und Strauß in der trüben Brühe im Hotel "Wetterstein" - jetzt muss Münchens letztes Moorbad schließen.

Christina Warta

Die Wanne ist gut zwei Meter breit, knapp vier Meter lang und bis zum Rand gefüllt, sie ist braun gekachelt und steht in einem niedrigen, fensterlosen Raum. Erdbraune Spuren von nackten Füßen führen nach hinten in einen Gang, aus dem dichter weißer Dampf wabert.

Wer ins Moorbad geht, darf keine Angst vor Dreck haben. (Foto: Foto: Rumpf)

Hier seien sie alles gesessen, erzählt Feliciano Cachado: Ministerpräsident Franz Josef Strauß zum Beispiel und seine Parteikollegen von der CSU - bis zum Hals im Schlamm, der auf angenehme 38 bis 40 Grad Celsius temperiert war. "Strauß kam regelmäßig", erzählt der frühere Bademeister, "er kam auch mit Stoiber, aber der ging nie mit ins Bad."

Das Moorbad im Hotel "Wetterstein" an der Grünwalder Straße ist für viele Münchner eine Institution. Man ging zur Rezeption, bezahlte Eintritt und setzte sich schließlich mit Gleichgesinnten in die rechteckige Wanne mit Moorerde - ohne Arztrezept und ohne viel Geld zu bezahlen. Doch damit ist nun Schluss: Das einzige Moorbad Münchens wird am Samstagabend seine Pforten schließen und nicht wieder öffnen.

Der Kurbereich mit Fünfziger-Jahre-Charme muss einem modernen Wellnessareal und einigen neuen Hotelsuiten weichen. "Das Moorbad ist nicht mehr wirtschaftlich", sagt Geschäftsführerin Marie-Anne Tapper und schiebt nach: "Schon lange nicht mehr."

Bademeister mit Diskretion

Die überdimensionale Gruppenwanne stammt aus dem Jahr 1958, als das Hotel sehr viel größer war als heute. "Das Gebäude reichte bis zum Wettersteinplatz, es war nach dem Krieg eines der führenden Kurhotels", sagt Marie-Anne Tapper. Sechs Masseure arbeiteten im Haus, es gab Kneippbäder, Mani- und Pediküre sowie einen Friseursalon, in dem sich die Damen das Haar für den Abend ondulieren ließen.

Schnell sprach sich überdies herum, wie erquickend die trübe Brühe auf das Wohlbefinden wirken konnte. "An manchen Tagen kamen 400 Besucher", sagt Bademeister Cachado, den alle im Hotel nur "Herr Felix" nennen. "Sie saßen vor der Tür und warteten, dass ein Spind frei wird."

Seine beste Zeit erlebte das Moorbad in den sechziger und siebziger Jahren. Pro Tag drängten sich durchschnittlich 250 Menschen in dem Saunabereich, unter ihnen allerlei Prominenz. Schauspieler Heinz Rühmann kam zum Kuren, und auch Regisseur Rainer Werner Fassbinder tauchte hin und wieder begeistert im Moorbad unter. "Einmal musste ich ihn um halb zwei Uhr morgens aus dem Aufzug holen", erzählt der frühere Hausmeister Emanuel Eckert.

Nach einer intensiven Badekur, bei der angeblich nicht nur das Moor, sondern auch allerhand alkoholische Getränke ihre erhebende Wirkung entfaltet hatten, habe die Fassbinder-Clique die Belastbarkeit des Lifts getestet - bis an dessen Grenzen. Es gäbe sicherlich noch viele Anekdoten zu erzählen, doch mehr wollen die ehemaligen Hotelangestellten nicht ausplaudern - Diskretion gehört zum Geschäft.

"Im Moorbad habe ich viel gehört und gesehen", sagt der 75-jährige Portugiese Cachado, der seit 1959 als Moorbademeister arbeitete, "aber man muss das vergessen und wie blind und taub sein."

Aus für Münchens letztes Moorbad
:Schlamm drüber

Einst suhlten sich Prominente wie Fassbinder und Strauß in der trüben Brühe im Hotel "Wetterstein" - jetzt muss Münchens letztes Moorbad schließen.

Christina Warta

Die Enttäuschung der Moorbad-Liebhaber darüber, dass ihre Lieblingswanne nach 51 Jahren nicht mehr gefüllt wird, ist nun riesig. Das Bad war zuletzt übrigens ausschließlich für Männer geöffnet - 1990 schloss das Hotel die Frauensauna mangels Interesse, auch ein gemischter Saunatag war nicht sonderlich gefragt.

Männercliquen trafen sich wie Stammtsischbrüder an bestimmten Wochentagen, manche hatten ihre Brotzeit dabei und verbrachten den ganzen Tag im altmodischen Kurbereich. Rund 90 Prozent der Besucher waren Stammgäste, sie kamen aus München und der Umgebung, aber auch aus Freiburg, Belgien, Hollandoder den USA.

"Ich vermisse das Bad schon jetzt", sagt Frits de Lange. Der agile 80-Jährige sitzt in der Lobby, eingewickelt in einen weißen Bademantel, und schaut traurig drein. Seit 25 Jahren kommt der Holländer einmal im Jahr für drei Wochen eigens zum Moorbaden nach München, dreimal am Tag setzt er sich für 20 Minuten in den Schlamm, "und um halb zehn fallen mir die Augen zu". Oder Alexander Brodt aus Miami: "Münchens Jungbrunnen versiegt", sagt er, demselben soeben entstiegen, "in Zukunft muss ich nun ans Tote Meer fahren."

Vom Laster in die Wanne

Die Besucher sind über die Jahre immer weniger geworden. "Die Generation der Moorbader bricht weg, und die junge Generation stellt sich unter Wellness etwas ganz anderes vor", sagt Geschäftsführerin Tapper. Das Deftige, glaubt sie, sei in der heutigen Zeit nicht mehr so gefragt. "Wellness muss eher sauber und steril aussehen" - und nicht braun und schlammig.

Außerdem ist der Moorbade-Betrieb teuer: Zweimal pro Woche lädt ein Lkw im Hinterhof, dem sogenannten "Moorhof", einen Berg Moor aus Weilheim ab. Ein Mitarbeiter schaufelt die Heilerde in die Moormühle, wo sie gemahlen und von Steinen und Ästen befreit wird. Dann wird das Naturprodukt mit Wasser aufgequirlt, erhitzt und schließlich in die Wanne gepumpt. 400 Euro kostet eine Ladung Moor, vom Unterhalt des Bades ganz zu schweigen.

Marie-Anne Tapper ist hin- und hergerissen. Die Geschäftsführerin hätte das Moorbad gerne erhalten, andererseits, so sagt sie, sei ein zeitgemäßer Wellnessbereich für die Wirtschaftlichkeit des Hotels wichtig. "Die Zahlen waren eindeutig, man hätte unglaublich viel investieren müssen, um das Bad zu erhalten."

Nun ist die Entscheidung gefallen, am Montag werden die Bauarbeiten beginnen. Wehmut hat all jene ergriffen, die jahrelang mit dem Bad zu tun hatten: die treuen Moorbad-Fans, Herrn Felix, Hausmeister Eckert und Geschäftsführerin Tapper. "Ich hatte es mir leichter vorgestellt", sagt sie, "am Samstag wird es ganz schwer." Schnittchen soll es geben und Sekt für all jene, die ein letztes Mal im Moor untertauchen wollen. Dann wird die große Wanne abgelassen - und nicht mehr aufgefüllt.

© SZ vom 26.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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