Aubing:Werkeln im Biotop

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Die Deutsche Bahn AG lässt das moderne Innenleben ihrer Züge im neuen Elektronikzentralwerk in Neuaubing prüfen und reparieren. Zwischen den stillgelegten Gleisen der alten Werkstätten hat sich die Natur mit seltenen Arten prächtig entwickelt

Von Charlotte Schulze, Aubing

Zwischen den Grasbüscheln und dem Klee schimmern die Schienen hindurch, auf denen einst die Züge in die Werkstatt rollten. Hie und da huscht eine Eidechse durchs Bild, an einer Orchidee vorbei, von der gerade ein Schmetterling emporflattert. Die Natur hat sich hier in Neuaubing, an der westlichen Stadtgrenze, wieder genommen, was ihr immer schon gehörte.

Noch aber hat der Mensch das Gelände, auf dem die Züge gewartet wurden, noch nicht ganz aufgegeben. Zwischen Fabrikhallen mit zerbrochenen Scheiben und verrosteten Schienen steht nun ein neues Gebäude: das Elektronikzentralwerk München (EZW) der Fahrzeuginstandhaltung GmbH, einer Tochter der Deutschen Bahn. Jetzt wurde es feierlich eröffnet.

EIn Blick in die Werkstätten der Bahn. (Foto: Florian Peljak)

Seit dem Umzug im März wird hier die Elektronik der Bahn instand gehalten und repariert. Es lässt sich mit einer Art Krankenhaus vergleichen. Nur dass hier keine Menschen fit gemacht werden, sondern elektronische Bauteile. Defekte Tür-Elektronik, Anzeigetafeln oder Klimaanlagen werden in das EZW gebracht, wenn sie nicht mehr einwandfrei funktionieren. Mitarbeiter erstellen eine Diagnose, machen die Teile, wenn möglich, wieder leistungsfähig. Anschließend erfolgt je nach Bedarf die Rückkehr an den früheren Einsatzort.

Um kaputte Platinen zu reparieren, ist der Mensch auf die Zuverlässigkeit der Maschinen angewiesen. (Foto: Florian Peljak)

Die Diagnose erfolgt unter anderem mithilfe des "Flying-Proper", einer Testmaschine, die Fehler auf einer Platine, dem Träger der elektronischen Bauteile, automatisch erkennt. Während zuvor Menschenhände in Kleinstarbeit die vielen einzelnen Komponenten auf der Platine auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüfen mussten, übernehmen das bei der neuesten Elektronik Roboterarme, die sich mit einem mechanischen Geräusch hin und her bewegen. Ein paar Meter vom Roboter entfernt, sitzen Männer in blauer Arbeitskleidung und reparieren die defekten Platinen, nachdem ihnen die Technik gezeigt hat, wo der Fehler liegt. Wenn sie aus dem Fenster blicken, sehen sie einen Industrie-Schornstein, der an jene Zeiten erinnert, als es in den Zügen weder Klimaanalagen noch Wlan gab.

Ersatzteile finden sich im Hochregallager. (Foto: Florian Peljak)

Nur etwa 300 Meter entfernt von dem neuen Gebäude steht das alte. "Das war wohl der kürzeste Umzug der Firmengeschichte", sagt Mitarbeiter Michael Tönnies. Die alte Werkstätte hatte den Anforderungen, die die Digitalisierung der Züge mit sich brachte, nicht mehr gerecht werden können. "Wir hatten dort keine Zukunft, die Räume waren viel zu eng," sagt Thomas Mehlstäubler, der Produktionsleiter. Man braucht aber viele Mitarbeiter, um die wachsende Zahl der elektronischen Zug-Komponenten in den Griff zu bekommen. Platz gibt es nun nach dem Umzug genug, genügend Räume auch für die Lehrlinge. Vorher wurden die Bahn-Elektroniker bei der Stadt ausgebildet. "Die Ressource Mensch wird immer wichtiger. Unser Ziel ist es, die Mitarbeiter an uns zu binden", erklärt Herbert Scheller, der Werksleiter.

Die Verlagerung der Ausbildung ins eigene Haus soll dabei helfen. Die größeren Räume haben aber auch Nachteile, wie der 28-jährige Elektroniker Stefan Benkenstein in der Werkstatt für Fahrgastinformationssysteme feststellt: "Die Wege sind jetzt deutlich länger". Um ihn herum leuchten Anzeigetafeln in LCD und LED. "EZW" steht auf manchen. Als wolle die Tafel die Mitarbeiter darauf aufmerksam machen, wo sie nach dem Umzug gelandet sind.

Trotz der längeren Wege sind die Arbeitsabläufe laut Mehlstäubler effizienter. So bringen zum Beispiel Aufzüge, sogenannte Shuttles, die eingelieferten defekten Teile vom Lager in die Werkstätten. Das Lager, zuvor auf acht Räume aufgeteilt, ist nun eine Halle, in der sich Regale aneinanderreihen, die so hoch sind wie ein senkrecht aufgestellter Waggon. Effizienter soll jetzt auch der Energieverbrauch sein: Der CO₂-Ausstoß hat sich laut Werksleiter Scheller um 44 Prozent verringert. Wärmerückgewinnung und intelligente Beleuchtungstechnik machen es möglich. "Wir haben uns viel Mühe gegeben, nicht nur ein neues Werk hinzustellen, sondern auch unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern," führt Scheller aus.

Ihr Eigen kann die Deutsche-Bahn-Tochter ihr neues Heim allerdings nicht nennen. Grundstück und Gebäude gehören der Aurelis GmbH - 2003 hatte diese das Areal von der Deutschen Bahn erworben, die auf dem 400 000 Quadratmeter großen Gelände schon um 1900 herum Bierwagen reparierte. Nachbarn des neuen Elektronikzentralwerks auf dem Aurelis Gelände sind die DHL und eine Boulder-Halle. Auch deren Gebäude wirken etwas verloren auf dem weiten Gelände. Es bleibt also noch genügend Platz für Eidechsen, Schmetterlinge und Co. Und einen Teil des Geländes hat der Mensch der Natur ohnehin vermacht und es zum schützenswerten Biotop erklärt.

© SZ vom 01.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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