Aubing:Spuren des Milchschäumers

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Blumen, Berge, Bäume: Oramas liebt es, in seinem Atelier immer Neues auszuprobieren, zu experimentieren mit Farbe und Material. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Blaue Bilderrätsel auf Alu: Carmelo Oramas kombiniert Metall und Acryl

Von Ellen Draxel, Aubing

Da ist dieses fokussierende Farbenspiel. Tiefes Blau. Strahlendes Gelb. Grelles Rot. In allen Regenbogentönen leuchten Carmelo Oramas' Bilder. Es ist diese Farbintensität, die einen, kaum dass man den Raum betritt, fast magisch anzieht. Mal bilden die Farbnuancen nur den Hintergrund für kühle, konturierte Alu-Szenerien. Einen oftmals unruhigen Hintergrund - mit zerfaserten Kurven und Strichen. Es kann aber auch umgekehrt sein: Dann sind die Hingucker plötzlich bunte, akkurat positionierte Farbkleckse auf grauen Aluminiumbildern. Die Wirkung ist in beiden Fällen dieselbe: Das Objekt beginnt zu leben - so, als blühten tatsächlich Blumen auf der Wiese. Als suche sich das Schiff wahrhaftig seinen Weg durch die tosenden Wellen.

Seit etwa sechs Jahren kombiniert der gebürtige Spanier Metall mit Acryl - aus keinem tiefsinnigen Grund, sondern einfach, weil ihm der Kontrast gefällt. "Meine Bilder sind reine Geschmackssache." Nicht immer muss es einen politischen oder moralischen Impetus für Kunst geben. Carmelo Oramas ist Autodidakt. Als er 50 wird, beginnt er zu malen, hängt seinen Job als Dekorateur auf Gran Canaria an den Nagel.

Seine ersten Objekte geraten eher flächig, er malt mit Öl und nutzt Hilfsmittel wie Strukturpasten. "Aber diese Art der Malerei", weiß der Künstler inzwischen, "ist nicht die meine". Er switcht um, wird 2008 sogar für den Kunstpreis des Museums Antonio Lopez Torres im spanischen Tomelloso nominiert. Die Ausstellung "Experimentalkunst", die von diesem Freitag, 9. Oktober, an im Aubinger Kulturzentrum Ubo 9 zu sehen ist, zeigt Oramas' aktuelle Favoriten: Neben dem Schwerpunkt Aluminiumkunst sind es expressionistische Acrylbilder voll bunter Kreise, Quadrate und geometrisch angeordneter Linien. Eine geheime Welt, zu entschlüsseln wie ein Rätsel. Mit vielen versteckten Details. Vielleicht sind deshalb diese Werke so gefragt. "Mit der Malerei", schmunzelt der heute 62-Jährige, "ist es wie bei einem Kind: Alles muss erst einmal ausprobiert werden."

Gesichter haben Oramas von jeher fasziniert. Er beobachtet Menschen, Köpfe, Bewegungen. Und Lichtreflexionen. "Ich mache mir oft Zeichnungen, wenn ich unterwegs bin". 2009 beispielsweise entstand so das Gemälde "El Gaucho" - ein surrealistischer Kopf in der Tradition eines Picasso. Die Idee zu dem Porträt des argentinischen Cowboys holte sich der Künstler beim Tramfahren. Später hat Oramas die Figur - wie viele andere auch - mit Aluminium nachgebildet.

Eine andere Bilderreihe, vor drei Jahren geschaffen, nennt sich "Hintergrund". So manchen erschrecken die lebendigen Alu-Gesichter: Die Augen der Protagonisten scheinen den Betrachter zu verfolgen. Je nach Blickwinkel und Lichteinfall changiert die Optik, wechseln die Köpfe ihr Aussehen. Mit Aluminium, das hat Oramas mittlerweile zu schätzen gelernt, sind sowohl kantige Linien als auch weiche, fließende Bewegungen realisierbar. "Ich liebe dieses Metall: Es ist leicht und variabel zu verarbeiten."

Die Basisform seines Objekts schneidet er mit der Maschine, danach wird das Material mit Schleifpapier veredelt. Und später eventuell mit Karosseriekleber auf die zuvor mit Acryl bemalte Leinwand aufgepappt. Die farbigen Bereiche dagegen kreiert der erfindungsreiche Selfmade-Künstler mit dem Pinsel - und, in einer Art Spritztechnik, mit einem herkömmlichen Milchaufschäumer. "Das Teil ist toll, das habe ich meiner Frau aus der Küche stibitzt", schmunzelt er und wirft seiner deutschen Gattin einen schelmischen Blick zu. Die beiden agieren als Team: Wenn Oramas ab und zu etwas Schwierigkeiten mit der Sprache hat, hilft sie. Weniger schätzt der Künstler das Lackieren am Schluss. Es ist diffizil: Kein Stäubchen, keine Luftblase darf zwischen das Gemälde und den Lack. Aber nur so erhalten die Bilder ihre Brillanz.

Nicht nur Gesichter, auch asketische Figuren mit langen Armen und Beinen, die immer aktiv zu sein scheinen, zählen zu Oramas Lieblingsmotiven. Ebenso wie Blumen, Berge, Bäume, Kugeln. Und vor allem Wasser. "Vielleicht", sagt er augenzwinkernd, "weil ich von einer Insel komme, wo es viele Wasserfälle gibt". Harmonisch, fast idyllisch - und gleichzeitig surreal, der Welt entrückt wirken Oramas Kunstwerke. Dimensionen sind in seinem Werk verrutscht, subjektive Wahrnehmung gewinnt die Oberhand. "Eine Welt ohne Farbe" ist für den Künstler wie "eine Welt ohne Meinung". Er aber will leben in einer "Welt voller Farben und Meinungen". Und weil er ebendiese Abwechslung liebt, macht er auch immer nur drei oder vier Bilder zu einem Thema. "Danach wird es mir zu langweilig, dann versuche ich, Neues zu schaffen." Geschweißte Aluplatten auf bunt bemalter Leinwand oder auch Kreationen mit Kupfer sind seine jüngsten Versuche. "Was danach kommt? Mal sehen. Ich bin für alles offen."

Zu sehen sind Carmelo Oramas' Bilder dieses und kommendes Wochenende jeweils von Freitag bis Sonntag im Kulturzentrum Aubing, Ubostraße 9. Die Vernissage am heutigen Freitag beginnt um 18 Uhr, am 10./ 11. Oktober hat die Ausstellung von 11 bis 19 Uhr und am 16./17. Oktober zwischen 16 und 20 Uhr geöffnet. Finissage ist am Sonntag, 18. Oktober, 11 bis 20 Uhr. Ein Event-Programm begleitet die Ausstellung. Der Eintritt ist frei.

© SZ vom 09.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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