Amoklauf in München:Überraschende Wende im Waffenhändler-Prozess

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Der Angeklagte Philipp K. (Mitte) zusammen mit seinen Anwälten im Landgericht München (Foto: dpa)
  • Der Prozess gegen Philipp K., der David S. die Tatwaffe für die neun Morde am OEZ verkauft haben soll, wurde unterbrochen.
  • Die einmonatige Pause soll genutzt werden, um Chatprotokolle aus dem Darknet auszuwerten. Außerdem wurden 13 zusätzliche Prozesstage anberaumt.
  • Zu der Rolle von sogenannten V-Männer gab es am Montag eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung zwischen Staatsanwaltschaft und Opfervertretern.

Aus dem Gericht von Martin Bernstein

Die Wende kam überraschend - sogar für die, die sie eingeleitet haben: Im Prozess gegen den Waffenhändler des Münchner OEZ-Attentäters hat die Strafkammer um Vorsitzenden Richter Frank Zimmer 13 zusätzliche Verhandlungstage anberaumt. Und eine einmonatige Pause, um die zahlreichen neuen Beweisanträge sowie weitere 2234 Seiten Chatprotokolle aus dem Darknet-Waffenforum bewerten zu können.

Rechtsanwalt Onur Özata, der den Vater des in der Hanauer Straße ermordeten 19-jährigen Giuliano K. vertritt, hatte vor der von manchen Prozessbeobachtern als sensationell empfundenen Wende im Prozess gefordert, den Jenaer Forscher Matthias Quent als sachverständigen Zeugen zu hören. Quent hat in einem Gutachten den Nachweis geführt, dass die Tat des David S. am 22. Juli 2016 weniger ein Amoklauf als Folge individueller Mobbing-Erfahrungen war als ein rassistisch motiviertes Hassverbrechen. Für Özata hat sich mittlerweile der Tatverdacht erhärtet, dass der Waffenhändler Philipp K. davon gewusst und sich damit der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht habe.

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Damit weicht das Gericht von seiner bisherigen Linie ab

Bis Ende Februar hat die Strafkammer jetzt neue Termine anberaumt - "danach" würde dann immer montags weiterverhandelt, ließ der Vorsitzende durchblicken, dass mit einem baldigen Urteil nicht zu rechnen ist. Damit weicht das Gericht von seiner bisherigen Linie ab. Vor einem Monat schien sich das Ende der Beweiserhebung bereits anzudeuten. Die Staatsanwaltschaft solle sich schon mal auf ihr Plädoyer vorbereiten, regte die Kammer damals an.

Jetzt ist genau das Gegenteil geplant: Am 1. Dezember soll der Prozess mit einer weiteren Zeugenbefragung fortgesetzt werden. Ein ehemaliger Zellengenosse des Waffenhändlers soll dann aussagen. Er hoffe nicht, dass er den Mann polizeilich werde vorführen lassen müssen, sagte der Vorsitzende Richter. Die Skepsis kommt nicht von ungefähr: Der mutmaßliche Zeuge war zunächst getürmt, hat sich jetzt aber gemeldet.

2234 Seiten Chatprotokolle

Zur Prozesspause mögen auch fünf prall gefüllte Aktenordner beigetragen haben, die die Staatsanwalt Florian Weinzierl am Montag hinter der Richterbank im Hochsicherheitssaal in Stadelheim hatte aufbauen lassen. Sie enthalten 2234 Seiten größtenteils entschlüsselter Chatprotokolle des Angeklagten unter dem Pseudonym "Rico" aus dem Waffenforum von "Deutschland im Deep Web", aber auch Darknet-Beiträge von "Maurächer", dem Münchner OEZ-Attentäter. Die könnten unter anderem deshalb brisant werden, weil inzwischen erwiesen ist, dass der spätere Münchner Attentäter schon ein Jahr zuvor nach einer Waffe gesucht und dabei Kontakt zu verdeckten Ermittlern gehabt hatte, die unter falscher Identität in der Waffenszene fahndeten.

Zu deren Rolle und der weiterer Behörden gab es am Montag eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung zwischen Staatsanwaltschaft und Opfervertretern. Rechtsanwalt Yavuz Narin und Rechtsreferendarin Claudia Neher äußerten den Verdacht, dass im Verfahren V-Leute geschützt und "Fehler der Ermittler vertuscht" werden sollten. Sie forderten, möglichen Absprachen der Staatsanwaltschaft mit dem Zoll, aber auch mit den Verteidigern des Angeklagten nachzugehen. "Wilde Phantasien" nannte das Staatsanwalt Weinzierl - "um nicht zu sagen: eine Unverschämtheit". Die Nebenklage verbreite "Verschwörungstheorien", das sei "unredlich und sonst gar nichts". An die zahlreichen im Saal vertretenen Angehörigen von OEZ-Opfern gewandt, versicherte Weinzierl, es habe keine Absprachen und keine Zusagen gegeben. "Selbstverständlich nicht", pflichteten ihm K.s Verteidiger bei. Sein Mandant sei bereits unmittelbar nach seiner Festnahme ohne Anwälte "kooperativ tätig" gewesen, sagte Verteidiger Sascha Marks.

"Du sollst nie rauskommen!"

Applaus im Gerichtssaal gab es, als Rechtsanwalt Narin der Staatsanwaltschaft "Realitätsverlust" vorwarf und fragte: "Unfähig oder unwillig?" Richter Frank Zimmer drohte daraufhin zum zweiten Mal an diesem Tag damit, Beifallsbekundungen mit Saalverweis und Ordnungsgeld zu ahnden. Zuvor hatte er bereits eine Zwischenruferin ermahnt. Als der Vater eines ermordeten 15-Jährigen wutentbrannt den Saal verließ, mit der Faust gegen die Wand schlug und dem Angeklagten zurief: "Du sollst nie rauskommen!", hatte die Zuhörerin gerufen: "Da hat er ja Recht!"

Dennoch hat dem Verfahren die Verlegung aus dem viel zu kleinen Saal des Landgerichts an der Nymphenburger Straße hinaus in den unterirdischen Hochsicherheitstrakt unter der Justizvollzugsanstalt Stadelheim gut getan. Keine langen Schlangen mehr an den Einlasskontrollen, keine abgewiesenen Zuhörer, genügend Platz für die Angehörigen der Opfer und ihre Anwälte. Diese hörten erstaunt, wie Anwalt Narin nach einer von mehreren Unterbrechungen erstmals aus den jetzt erst in den Prozess eingeführten Chat-Protokollen zitierte. Demnach soll der Waffenhändler im Darknet geschrieben haben, er werde eine Kalaschnikow für Terrorgruppen zur Verfügung stellen.

Außerdem soll Philipp K. Sympathien für den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) geäußert haben. Einer der Chat-Beiträge richtete sich laut Narin gegen "Türkenkinder". Genau die fielen dem Münchner Attentäter zum Opfer. Für Opferanwalt Özata waren der Waffenhändler und sein Münchner Kunde "nicht nur desselben Geistes Kind". Der Angeklagte habe ebenso wie der Schütze David S. "ein ausgewiesenes Interesse an der Tötung dieser Minderheiten" gehabt. Özata zitierte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, wonach bei der Untersuchung von Gewalttaten die Pflicht bestehe, "alle angemessenen Schritte zu unternehmen, um rassistische Beweggründe aufzudecken". Dazu gebe es jetzt "die einmalige juristische Gelegenheit".

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