75. Jahrestag:Reinigen und gedenken

Lesezeit: 2 min

Zusammen mit Kunsthistorikerin und Autorin Susanna Partsch (l.) reinigt Landtagsabgeordnete Claudia Stamm einen verlegten Stolperstein. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Stolperstein-Initiative erinnert an Deportation der Juden

Von Christian Gschwendtner

"Du musst fest reiben", sagt der Aktivist Terry Swartzberg und die Landtagsabgeordnete Claudia Stamm (Grüne) legt sich jetzt richtig ins Zeug. Noch ein paar zusätzliche Tropfen Edelstahl-Reiniger, dann wird weiter geschrubbt. Zwei Minuten später glänzt der Stolperstein in der Von-der-Tann-Straße 7 wieder in Gold. Wie vor ein paar Jahren, als er in den Boden eingelassen wurde. Swartzberg ist zufrieden: "Super, Claudia, das ist es." Applaus. Teelichter werden angezündet, Blumen niedergelegt. Der Stein soll an den Münchner Finanzbeamten Max Sax erinnern. Ein Opfer des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten.

Die Initiative "Stolpersteine für München" hat sich für diesen Sonntag im November vorgenommen, alle 31 Stolpersteine in der Stadt zu putzen. Swartzberg ist der Vorsitzende der Initiative. Zusammen mit seinen Mitstreitern will er dem 75. Jahrestag der Deportation von fast 1000 Münchner Juden nach Kaunas in Litauen gedenken. Eingepfercht in Waggons wurden sie am 20. November 1941 dorthin gebracht. Und Tage später erschossen.

Die Aktivisten um Swartzberg haben allerdings noch ein anderes Ziel: Sie wollen mit der Putzaktion für ein altes Anliegen werben. Das Münchner Stolperstein-Verbot soll endlich gekippt werden - auch wenn es danach im Moment nicht aussieht. Der Stadtrat hat das Nein erst im vergangenen Jahr bekräftigt. Er bleibt bei seiner Entscheidung: Die mit Messingplatten versehenen Steinwürfel dürfen nicht auf städtischem Boden versenkt werden. Nur auf Privatgrund. Die Stadtpolitiker teilen damit weiterhin die Auffassung der Israelitischen Kultusgemeinde. Dort ist man der Ansicht, dass mit Gedenksteinen auf dem Trottoir die Opfer ein zweites Mal mit Füßen getreten werden.

Swartzberg und seine Mitstreiter sehen das naturgemäß anders. Unterstützung bekommen sie am Sonntag von Claudia Stamm. Die Grünen-Politikerin sagt: "Es braucht eine neue Form der Erinnerung." Ein Umdenken sei umso dringlicher, weil immer mehr Zeitzeugen sterben. Stamm jedenfalls macht kein Geheimnis daraus, dass sie Stolpersteine für eine "angebrachte Form" des Gedenkens hält.

Unabhängig davon sind die Befürworter längst dabei, Fakten zu schaffen. Rund 240 Stolpersteine habe man bereits im Keller, erklärt Swartzberg. Sie sollen in der nächsten Zeit auf Privatgrund eingesetzt werden. Angeblich laufen die Verhandlungen mit den Eigentümern bereits. Der Aktivist Swartzberg ist optimistisch, dass es bald mehr Stolpersteine in München geben wird. Trotz des Verbots der Stadt. Er schwingt sich auf sein Fahrrad und fährt weiter.

Nächster Halt ist die Viktor-Scheffel-Straße 19. Dort befindet sich seit 2007 Münchens erster Stolperstein.

© SZ vom 21.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: