W&V: Google Street View:Zu klein, zu defensiv, zu unpersönlich

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In der hitzigen Debatte um Street View verteidigt sich Google mit einer großen Anzeigenkampagne und viel PR. Experten halten die Strategie für unzureichend.

Raoul Fischer und Martin Bell

Ein Schnellschuss? Keineswegs. Die doppelseitige Anzeige, die "5 Fragen zu Google und Street View" beantwortet, gab der Suchmaschinenkonzern bereits Mitte Juli in Auftrag - Wochen bevor er die Einführung der Straßenaufnahmen in Deutschland zum Ende des Jahres ankündigte.

Google Street View hat dem Internet-Unternehmen in Deutschland bislang viel Ärger eingebracht. PR-Profis verweisen auch auf die Schwächen in der Kommunikationsstrategie. (Foto: ddp)

Hört man zumindest aus der Hamburger Werbeagentur Kolle Rebbe. Und die muss es wissen. Seit fünf Jahren betreut sie Google, und auch das aktuelle Motiv gestaltete sie.

Mit erheblichem (Media-)Druck betätigt sich ihr prominenter Kunde zurzeit als Aufklärungsdienst in eigener Sache. "Was genau ist Street View?", fragt Googles Doppelseiter etwa, der seit Mitte August in allen meinungsbildenden Printtiteln erscheint, von der Süddeutschen Zeitung über Zeit, FAZ, Welt bis zu Bild und Spiegel. Und: "Inwieweit berührt Street View meine Privatsphäre?"

Der thematische Fokus ist der hierzulande seit Jahren schwelenden und in den vergangenen Wochen immer hitziger werdenden Diskussion über den Zusatz-Service von Google Maps geschuldet. Immer wieder greifen Politiker, Verbände und Datenschützer das Projekt scharf an.

Einladung für Einbrecher?

Populärste Kritikpunkte: Street View könnte Persönlichkeitsrechte verletzen (weil Menschen abgebildet werden) oder Einbrecher einladen (weil es zum Auskundschaften lohnender Objekte einlädt). "Die Debatte zeigt, dass die deutsche Politik noch keine hohe Internet-Kompetenz hat und viele Journalisten offensichtlich eine Rechnung offen haben", meint Kommunikationsexperte Bernhard Fischer-Appelt, Vorstand der FischerAppelt AG, Hamburg. "Außerdem ist sie ein Profilierungsfeld für Datenschützer - obwohl es hier gar nicht um persönliche Datenerhebung geht."

Das deckt sich mit Googles Einschätzung. "Wir beobachten, dass es einige Missverständnisse in der Bevölkerung gibt", lässt der Internet-Riese wissen. Daher die Aufklärungs-Offensive. Man wolle, heißt es, "den Deutschen helfen, die Funktionsweise von Street View zu verstehen, wie es genutzt werden kann und wie wir die Privatsphäre der Menschen schützen".

Neben der Anzeigenkampagne soll dazu ein Bündel an PR-Maßnahmen beitragen: Pre-Briefings in Telefonkonferenzen und Background-Informationen für die Presse, Footage-Material für TV-Sender, etwa zu Sondereinsätzen mit Street-View-Fahrrädern, die beispielsweise im Heidepark Soltau unterwegs sind. Oder auch ein Online-Video, in dem Spielfiguren aus dem Kinderzimmer veranschaulichen, wie sich Aufnahmen aus dem Dienst tilgen lassen.

"Wirklich ernst genommen werden sich Kritiker damit nicht fühlen", moniert Frank Roselieb, Direktor des Instituts für Krisenforschung, Kiel. "Google Street View ist als lustiges Spielzeug dargestellt, und Kritiker werden kurzerhand zu Spielverderbern im Sandkasten erklärt."

Roseliebs Beobachtung ist nicht der einzige Kritikpunkt, den PR-Profis an Googles Auftreten ausmachen. "Die Kommunikation erscheint mir deutlich zu defensiv, rechtfertigend und auch zu klein", sagt Bernhard Fischer-Appelt. "Google fokussiert zu sehr auf Marketing- und Innovationskommunikation und auf Community-Management, agiert aber nicht ausreichend im Bereich der Unternehmenskommunikation."

Harald Jossé, Geschäftsführer der Frankfurter Markenberatung BrandControl, wundert sich, "dass es Google nicht gelungen ist, prominente Fürsprecher zu gewinnen". Nachholbedarf sieht er zudem bei der Argumentationslinie: "Ich würde raten, konstruktiver mit einem Lösungsvorschlag zu agieren."

Als deutliches Manko bewertet die Riege die Gesichtslosigkeit des Konzerns. "Google hat zu wenig profilierte Gesichter, die Position beziehen", kritisiert Fischer-Appelt. Für Otto Normalverbraucher, scheint's, hat der Internet-Goliath kein Ohr, ergänzt Stefan Krüger: "Es gibt bei Google keine Telefon-Hotline zum Thema, noch nicht einmal einen Ansprechpartner für Anfragen", merkt der Geschäftsführer der Münchner Agentur Cocodibu an, die auf Markenkommunikation im digitalen Raum spezialisiert ist. "Solche Fehler verfestigen das Image der anonymen Datenkrake."

Das Meinungsklima schlägt um

Indes: Das Klima in der veröffentlichten Meinung scheint sich zugunsten von Google zu wenden. Vergangene Woche herrschten noch Negativschlagzeilen vor: "Unbelehrbare Bildersammler" ( Frankfurter Rundschau), "Google versteckt den Datenschutz" ( Financial Times Deutschland), "Street View: Auch nackt erkennbar" ( Süddeutsche Zeitung).

Meldungen kursierten, die ins orwellsche Bild des Internet-Konzerns passten: In Großbritannien klagt ein Mann gegen Google, weil Street View seine offene Garage inklusive Lagerbestände zeigte. Begünstigte das einen Einbruch? In Finnland erstattete ein Mann Anzeige, weil er nackt auf der Terrasse zu sehen ist - mit gepixeltem Gesicht zwar, aber vom Hals abwärts bloßgestellt. Sieht so Schutz der Privatsphäre aus?

Diese Woche klang der Tenor deutlich freundlicher: "Street View? Ja bitte!" ( Stern.de), "Die lächerliche Angst vorm bösen Blick" ( Spiegel), "Merkel: Keine Probleme mit Street View" ( Bild Online). "Echte Empörung", findet Cocodibu-Manager Krüger, "liest sich anders."

© W&V 33/2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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