Fernsehen:Türkische Kuppelshows werden zum Politikum

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Pressebild der Sendung: "Evleneceksen gel" bedeutet übersetzt "Komm, wenn du heiraten wirst" (Foto: Evleneceksen gel; Show TV)

Die Türkei hat Beziehungsprobleme - mit Deutschland, mit der EU und jetzt auch im Fernsehen: Die beliebten Sendungen zur Eheanbahnung werden scharf kritisiert.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Es liegt was in der Luft. Ob es Liebe ist? Neugierde bestimmt. Wo kommst du her? Was machst du? Was magst du? Der Mann hat viele Fragen und einen Blumenstrauß dabei. Er trägt ein weißes, enges Hemd und eine blaue Stoffhose. Die Frisur: perfekt. Überhaupt alles an ihm: makellos. Letzteres gilt auch für die Frau im engen roten Kleid auf der anderen Seite der Trennwand. Kennenlernphase, und ein Millionenpublikum darf zusehen.

Ein Fernsehnachmittag in der Türkei: Auf den Nachrichtenkanälen gibt es Erdoğan. Wer weiterzappt, an Rambo III vorbei, landet irgendwann bei einer der populären Kuppelshows. Sie heißen "Wenn es das Schicksal will, wird es passieren", "Komm, wenn du heiraten möchtest", oder, weniger blumig, "Ehrenhafte Ehe".

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Knapp ein halbes Dutzend dieser Shows laufen im Fernsehen, teils mit beachtlichen Einschaltquoten. Erwachsene Männer berichten verzweifelt, dass sie ihre Mütter kaum vom Fernseher fernhalten können. Aber wie lange wird es die Shows noch geben? Sie sind zum Politikum geworden. Vor Kurzem sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmuş, die Sendungen arbeiteten gegen die Werte der Gesellschaft, gegen den Glauben und die Tradition. Einige seien "außer Kontrolle" geraten. Deshalb werde sich die Regierung nun darum kümmern. Die Zeitung Hürriyet spekulierte daraufhin, dass die Shows per Dekret verboten werden könnten, und sorgte sich, was als Nächstes kommen würde, wenn schon Reality-Shows solche Reaktionen hervorriefen.

Selbst die braveren Shows mit Frauen unter Kopftüchern verärgern Konservative

Zum Verbot kam es bislang nicht. Aber zu einer scharfen Mahnung. Ende vergangener Woche bestellte der Vorsitzende der Rundfunkbehörde RTÜK, Ilhan Yerlikaya, die Senderchefs zu sich, offenbar um mit ihnen über das Ende der Shows zu sprechen. Im vergangenen Jahr habe es mehr als 130 000 Beschwerden von Zuschauern gegeben. Ein Teil davon habe sich direkt beim Staatspräsidenten und bei der Regierung beklagt. Die Sender dürften nicht nur die Einschaltquoten und Werbeerlöse im Kopf haben, erklärte der Behördenchef. Sie dürften die Ehe als Institution nicht beschädigen und müssten die Würde des Menschen achten.

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Tatsächlich geht es mitunter hoch her in den Shows. Große Gefühle, großes Drama. In einer Sendung warf eine Braut aus Eifersucht ihr Mikrofon weg und verließ empört das Studio. In einem anderen Fall jagten die Zuschauer eine Frau von der Bühne. Sie hatte einen Mann ausgelacht, weil er im Kinderheim aufgewachsen war. Und einmal trat ein Mann auf, der sich damit brüstete, seine Frau mit 43 Messerstichen getötet zu haben. Die Moderatorin sagte nur: "Habt ihr je einen Mörder gesehen, der so lächelt?" So sagen die Shows immer auch etwas über die Türkei aus, über Vorurteile und Machismo. Und eben auch darüber, dass sich die Gesellschaft dem Problem von Gewalt in der Ehe immer noch nicht entschlossen genug stellt. Schließlich könnten den konservativen, frommen Kreisen selbst die weniger dramalastigen Shows missfallen, in denen Frauen mit Kopftuch einen Partner suchen. Denn diese Frauen treten genauso selbstbewusst auf und geben sich genauso wählerisch wie die Frauen ohne Kopftuch.

Esra Erol, mit 34 Jahren schon Dating-Show-Veteranin, hatte gerade selbst einen dramatischen Auftritt. Seit zehn Jahren verkuppelt sie. Aber im vergangenen Jahr gab es rund 23 000 Beschwerden gegen ihre Show "Mit Esra Erol". Deshalb hatte Erol jetzt eine Mitteilung zu machen. Im blauen Blümchenkleid und mit zittriger Stimme sagte sie, traurig und wütend zugleich: "Also ehrlich, schafft diese Programme ab, rettet euch und rettet mich." Sie habe hart daran gearbeitet, die Show zu dem zu machen, was sie sei. Aber all die Kritik sei selbst ihr zu viel. Nach dieser Staffel werde sie aufhören. "Es ist Schluss."

© SZ vom 27.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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