Sparkurs kollidiert mit Selbstverständnis:Klassenkampf beim "Spiegel"

Der Spiegel

"Frontale Liebenswürdigkeiten zuallererst mit verengter Pupille": Zur Spiegel-Kultur gehört die Kantine von Verner Panton, die heute im Museum steht.

(Foto: Bimmer/AP)

Entweder sie sind großartig, oder sie fühlen sich zumindest so: Die Redakteure des "Spiegels" verstehen sich als Speerspitze des deutschen Journalismus. Da können sie es nur recht und billig finden, dass es bei Gehältern und anderen Volkstümlichkeiten üppiger zugeht als anderswo. Doch das soll sich jetzt ändern.

Von Hans Leyendecker und Claudia Tieschky

Jede gute Zeitung und jedes gute Magazin ist auch ein Biotop mit Journalisten, die einander schätzen oder nicht. Denkt beispielsweise der Spiegel-Redakteur an Deutschland in der Nacht, dann denkt er an die Großressorts Deutschland I und Deutschland II.

Die meisten Blätter haben auch einen Hausbrauch, in dem eben das geregelt wird, was in einem Haus zu regeln ist; der Spiegel hatte zwei: Der eine handelte vom Geist des Hauses, dem Selbstverständnis, mit dem man dort seinem Beruf nachgeht und am besten hat ein Geschäftsführer des Magazins diesen Hausbrauch I mal zusammengefasst: "Wir sind wir, und der Rest sind Friseure." Gemeint war, dass man ziemlich einzig war, das aber nicht besonders betonen sollte. "Die meisten der Besten" seien beim Spiegel, hat ein Ex-Chefredakteur des Blattes mal gesagt.

Der andere Hausbrauch ist der normale Hausbrauch für angestellte Journalisten, den es auch beim Spiegel gibt, nur ein bisschen üppiger. Und dieser Hausbrauch II soll jetzt, wie der Betriebsrat den Mitarbeitern mitteilt, für Neueintritte nach dem 28. Februar 2014 "komplett gekündigt" werden. Das hätten, so der Betriebsrat, "mit einer knappen Mitteilung" der Geschäftsführer Ove Saffe und der Verlagsleiter Personal angekündigt. Der Betriebsrat jedenfalls werde sich "mit aller Macht gegen einen solchen Kahlschlag für neuere Mitarbeiter wehren".

Der Begriff "neuere Mitarbeiter" ist fast so bemerkenswert wie der Katalog an Leistungen, der laut Betriebsrat zusammengestrichen werden soll: "Jährliche Gehaltsrunde, Jahresschlussvergütung, Heirats- und Geburtsbeihilfen, Treueprämie, erweiterte Lohn-und Gehaltszahlung im Krankheitsfall über die sechste Woche hinaus, zusätzlicher Urlaub für Redakteure und journalistische Mitarbeiter als Mehrarbeitsausgleich, zusätzlicher Jahresurlaub für ältere Redakteure, Reduktion des Weihnachtsgeldes, Reduzierung der Fahrgelderstattung, Reduzierung der Sonderurlaube bei Umzug, Heirat und Todesfällen in der Familie". Auch die etwas kompliziertere "Nichtanrechnung von Tariferhöhung auf übertarifliche Zulagen" stehe zur Disposition.

Eine Spiegel-Sprecherin erklärt auf Anfrage: Die Kündigung des Hausbrauchs diene dem Zweck, ihn neu verhandeln zu können. Die "Anpassung" sei "eine von mehreren Maßnahmen, um die Bereichskosten . . . mittelfristig zu senken". Zuschuss zum Essensgeld oder zu den Fahrtkosten solle es weiter geben. Anderes, wie das 14. Gehalt nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit, müsse "auf den Prüfstand". Über solche Dinge streitet man beim Spiegel.

Durchziehen statt verhandeln

Das Wochenblatt, immer noch das wichtigste Magazin der Republik mit vielen der Besten, wird von der ökonomischen Realität der Branche eingeholt. Es muss gespart werden. Gewissermaßen wird das Blatt normal. Um ähnliche Punkte wie jetzt beim Spiegel, darunter auch wichtige, geht es auch in den Verhandlungen zum Manteltarifvertrag bei Tageszeitungen.

Der Ton in Hamburg war früher distanziert, jetzt ist er ruppig. Da werde "nicht mehr miteinander gesprochen oder verhandelt, es wird durchgezogen, was nur halbwegs juristisch machbar erscheint", behauptet der Betriebsrat. Die Absetzung von Chefredakteuren, die Abläufe bei der Einsetzung eines neuen Chefredakteurs, die Frage, ob ein Mann von Bild Mitglied der Chefredaktion beim Spiegel sein darf - all das zeugt auch von Unsicherheit.

Warum aber Einschnitte beim Hausbrauch II mit dem Hausbrauch I schwer vereinbar sind, hat etwas mit der Geschichte des Blattes zu tun. Ursprünglich war es eine Art Orden, dessen Mitglieder nicht viel Getue um die eigene Großartigkeit machen mussten, weil sie großartig waren oder sich so fühlten. Und man verdiente ungewöhnlich gut. Der erste Verlagsdirektor, der legendäre Hans Detlev Becker, fuhr einen Jaguar Mark 10, er hatte einen ordentlich gekleideten Fahrer mit strammer Mütze, und Becker allein war schon eine journalistische Großmacht.

Es gehörte ganz früher zum ungeschriebenen, aber verbindlichen Hausbrauch, dass Spitzenleute innerhalb des Verlagsgebäudes nicht zu grüßen seien: "Geübte Spiegel-Redakteure" würden "häufig frontale Liebenswürdigkeit zuallererst mit verengter Pupille und unter dem Gesichtspunkt betrachten: Warum so freundlich, alter Halunke?", schrieb Peter Brügge alias Ernst Hess, der mehr als drei Jahrzehnte lang Spiegel-Reporter war, in einem Aufsatz über den Spiegel und den Hausbrauch.

Hauseigenes Schwimmbad und andere Volkstümlichkeiten

Später gab es dann an der Brandstwiete das hauseigene Schwimmbad, eine Kantine, die heute im Museum steht, und andere Volkstümlichkeiten mehr. Man schrieb nicht mehr anonym wie in den Anfangszeiten und fand seinen Namen unter Geschichten, was auch eine Last sein kann.

Die Bezahlung war nicht ordensgemäß, teilweise ist sie bis heute außergewöhnlich gut. Ressortleiter des Blattes können immer noch mehr verdienen als Chefredakteure großer Tageszeitungen. Ende des Jahres kann es besondere Vergütungen geben, weil man gearbeitet hat. Weil Rudolf Augstein den halben Laden seinen Mitarbeitern vermacht hat, sind die Mitarbeiter auch Gesellschafter und bekommen im Frühsommer einen Gewinn-Anteil, den man nicht einkalkulieren soll, der aber oft in die Lebensplanung einkalkuliert wird.

Dem Spiegel geht es noch vergleichsweise gut, aber manchmal, das meint nicht nur die Geschäftsleitung, wäre es besser gewesen, über die Jahres einen Großteil des Gewinns nicht auszuschütten, sondern zu sparen, weil Anzeigen wegbrechen und die Lage unübersichtlich ist.

Der Betriebsrat will Hinweise dafür haben, dass "vor allem die Mitarbeiter mit geringen Gehältern beim Sparen herangezogen werden, während Besserverdienende weiterhin und außer der Reihe mit zum Teil fünfstelligen Summen bedient werden". Das "fünfstellig" meint: oben drauf.

Andererseits: Wäre es nicht auch ein gutes Zeichen, dass zumindest der Spiegel da oben der Spiegel bleibt?

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