Sibel Kekilli im Gespräch:"Wenn man loslässt, kommt etwas"

Die Schauspielerin Sibel Kekilli über ihre Rolle im Kieler "Tatort", über Klischees und ihre beruflichen Ziele.

Christopher Keil

SZ: Frau Kekilli, beim Bundesfilmpreis sind Sie als Gewinnerin auf die Bühne gegangen und setzten sich erst einmal auf den Boden. Dann baten Sie die Filmproduzenten, Ihnen Rollen anzutragen. Wie genau hatten Sie den Auftritt geplant?

Berlinale 2010 - Pressekonferenz 'Die Fremde'

Sibel Kekilli: "Ich möchte, dass man mir etwas Anderes zutraut"

(Foto: dpa)

Sibel Kekilli: Überhaupt nicht. Die Konkurrenz war Crème de la Crème, Theaterschauspielerinnen in tolle Rollen. Ich hatte ja schon eine Lola, und ich dachte nicht, dass ich sie wieder bekommen würde.

SZ: Stimmt es, dass Sie bereits auf Ihrem Platz dämmerten?

Kekilli: Wer sagt das denn?

SZ: Ihre Agentin, Sibylle Breitbach.

Kekilli: Na toll, danke Sibylle. Nein, meine Füße waren so geschwollen, ich hatte meine Schuhe ausgezogen und saß gemütlich, lehnte mich zurück. Als Christoph Waltz meinen Namen aufrief, dachte ich: Habe ich mich verhört? Ich hatte einen Blackout, ich hätte fast meine Lola fallen lassen. Alles, was passierte, passierte, da kam meine türkische Ader, kamen meine Gefühle durch. Ich war nur Sibel.

SZ: Ist es sehr deutsch zu denken, so ein Auftritt müsste inszeniert sein?

Kekilli: Vielleicht. Vielleicht ist deutsch, auf die Bühne zu gehen, höflich zu sein, allen zu danken, keinen zu vergessen. Ich war froh, dass ich meine Agentin nicht vergessen habe. Sie hat der Casterin eineinhalb Jahre immer wieder gesagt: Ihr besetzt gerade für Die Fremde, wie wäre es, wenn ihr euch Sibel einmal anschaut. Feo Aladag, die Regisseurin, hatte allerdings zunächst den Wunsch, mit einer unbekannten Schauspielerin zu arbeiten.

SZ: Sie haben seit Gegen die Wand, seit 2004, wenig Rollen angenommen, auch, um nicht in das Rollenklischee der Deutschtürkin zu fallen mit Kopftuch und Döner in der Hand. Trotzdem war es ein Migrationsstoff, der Ihnen auch den zweiten Bundesfilmpreis einbrachte.

Kekilli: Ja, aber man wollte mich ja erst nicht. Und was das Klischee betrifft, kommt es immer auf die Rolle an. Ich habe nie gesagt, dass ich so etwas nie mehr möchte. Und ich habe auch nie gesagt, dass ich kein Fernsehen machen möchte, wie plötzlich überall stand. Wenn ich nach Gegen die Wand einen türkischen Film nach dem anderen gedreht hätte, wäre ich im Klischee gewesen. Ich möchte, dass man mir etwas Anderes zutraut. Und Die Fremde hätte ich auch nicht unmittelbar nach Gegen die Wand machen können.

"Ich bin so froh, dass ich mir Zeit gelassen haben"

SZ: Sie haben keine klassische Schauspielschulenausbildung, kamen von der Straße zum Film. Hatten Sie in den vergangenen sechs Jahren den Eindruck, dass man Ihnen bestimmte Figuren nicht zutraute?

Kekilli: Ich glaube, die Sorge, keine Rolle zu bekommen, haben allen Schauspieler. Natürlich, ich habe meinen Beruf vorher nicht gelernt, und bestimmt haben einige gedacht, sie ist so ein One-Hit-Wonder, sie kann nur mit Fatih Akin spielen. Und weil ich mir so viel Zeit gelassen haben, könnte der Eindruck entstanden sein: Sie traut sich das nicht zu. Doch ich musste erst einmal für mich klären: Will ich das machen, Schauspielerin sein? Und dann kommt wirklich der Druck, weil einem kaum einer Zeit gibt. Und viele hätten sicher an meiner Stelle gesagt: So, diesen Erfolg müssen wir sofort nutzen. Ich bin so froh, dass ich mir Zeit gelassen habe. Und ich habe ja immer gearbeitet, im Ausland und in Deutschland.

SZ: Nun haben Sie im Kieler Tatort ein festes Engagement an der Seite von Axel Milberg, den Hauptkommissar Borowski, angenommen. Wieso?

Kekilli: Ich habe das zweite Drehbuch gelesen. Darin ist meine Rolle weiterentwickelt worden, und zwar so, dass ich dachte: Wow, das gefällt mir.

SZ: Sie sind Sarah Brandt, eine Deutsche, eine gut gelaunte, schlagfertige Frau, die in einem Bauernhaus wohnt und Autos reparieren kann. In ihrem ersten Tatort gibt es einen kurzen Dialog zwischen Ihnen und Borowski. Er sagt: "Psychologie ist nicht alles." Sie antworten: "Ohne Psychologie ist alles nichts." Ist das ein Hinweis auf die Entwicklung von Sarah Brandt? Sie ersetzten Ihre Kollegin Maren Eggert, die als Psychologin Frieda Jung bisher mit Borowski zusammenarbeitete.

Kekilli: In der nächsten Folge bewirbt sich Sarah Brandt im Polizeipräsidium auf eine Kommissarstelle. Sie landet dann eher zufällig in der Abteilung von Borowski. Und Sarah Brandt, die eine sehr gute Hackerin ist, hat noch ein kleines Geheimnis. Das wird aber noch nicht verraten.

SZ: Für wie lange haben Sie sich an den Tatort gebunden?

Kekilli: Darf ich auch nicht verraten.

SZ: Hat Fernsehen in Ihrer Kindheit eine Bedeutung gehabt, möglicherweise als Deutschkurs? Bei Ihnen zu Hause wurde Türkisch gesprochen.

Kekilli: Stimmt. Wir haben Miami Vice geschaut, auch den Tatort, Schwarzwaldklinik, die Klassiker.

SZ: Der Tatort gilt hinsichtlich seiner Themensetzung als Spiegel der Gesellschaft. Können Sie das bestätigen?

Kekilli: Ja, und deshalb ist der Tatort auch wohl so erfolgreich. Tatort geht mit der Zeit. Ich erinnere mich an die Folge mit Nastassja Kinski, in der die Liebe einer Schülerin zu ihrem Lehrer thematisiert wurde. Und ich habe denn Fall einer jungen Frau gesehen, die auf einem Fest vergewaltigt wurde, und im Dorf hat niemand hinterher darüber gesprochen.

SZ: Viele Ihrer Kollegen fürchten, dass sie sich mit einer festen Tatort-Rolle als Kommissar festlegen.

Kekilli: Ich glaube, wenn man es nicht zu lange macht, hilft es einem. Ich hatte bisher immer schwierige Themen, Arthouse-Filme. Mit dem Tatort werde ich ein ganz anderes Publikum erreichen.

"Es kommt immer auf die Geschichte an."

SZ: Das werden überwiegend ältere Menschen sein.

Kekilli: Ich bin erstaunt, viele sprechen mich jetzt schon an: Sie sind die neue Tatort-Kommissarin. Ich werde häufiger erkannt als früher, und der erste Film ist noch nicht einmal ausgestrahlt.

SZ: Schauen Sie Fernsehen?

Kekilli: Ich schaue mir lieber englische und amerikanische Serien auf DVD an. Ich bin nicht so der Fernsehzuschauer, den Tatort einmal ausgenommen.

SZ: Welche Tatort-Ermittler gefallen Ihnen?

Kekilli: Axel Prahl in seinem St.-Pauli-T-Shirt, den Münster-Tatort mag ich sehr. Jetzt unseren Tatort aus Kiel, klar. Auch Richy Müller in Stuttgart ist gut, aber es kommt immer auf die Geschichte an.

SZ: Hatten, haben Sie Vorbilder?

Kekilli: Schauspieler nicht. Als Mensch war und ist Muhammad Ali ein Vorbild.

SZ: Warum?

Kekilli: In unserer Familie wurde darüber gesprochen, dass er Moslem ist, dann habe ich eine Dokumentation über ihn gesehen. Vielleicht fühlte ich mich als Kind verbunden, weil er die gleiche Religion hat. Heute kann ich mich nicht mehr als Moslem bezeichnen, auch wenn ich an irgendetwas glaube, aber meine Bewunderung für Ali ist geblieben. Er hatte nicht nur im Ring immer zu kämpfen, er hatte immer Mut, und er verweigerte zum Beispiel den Militärdienst in Vietnam und saß dafür im Gefängnis.

SZ: Als Sie für Gegen die Wand ausgesucht wurden, sahen Sie da die Möglichkeit, mit einem Film alles hinter sich zu lassen, was bis dahin war?

Kekilli: Nein, so einen Gedanken gab es nicht. Als ich Fatih Akin traf, wusste ich nicht, was ich wollte. Aber das ist das Spannende im Leben: Wenn man loslässt, kommt etwas. Und es kam etwas.

SZ: Wissen Sie heute, was Sie wollen?

Kekilli: Ich will wissen, wer ich bin, aber das hört nie auf. Mein Ziel ist es, die innere Ruhe zu finden.

SZ: Und gibt es berufliche Ziele?

Kekilli: Beruflich? Ehrlich, ich bin so dankbar für die zweite Lola, ich bin dankbar, wie der Weg seit Gegen die Wand gelaufen ist. Ich glaube, dass ich schauspielern kann, dass mir das geschenkt wurde. Und wenn ich mich in Die Fremde sehe, erkenne ich, dass ich mich entwickelt habe. Mein berufliches Ziel ist es, mich als Schauspielerin weiterzuentwickeln.

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