Rainer-Werner-Fassbinder-Reihe bei Arte:Im falschen Leben

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Arte gedenkt Rainer Werner Fassbinders, der vor 30 Jahren starb, mit einer umfangreichen Reihe. Den Auftakt macht sein Fernseh-Zweiteiler "Welt am Draht" aus dem Jahr 1973, der ein eigentümlicher Solitär im Werk des Filmemachers blieb. Doch die Angst Fassbinders, dass sein richtiges Leben nur in seinen Filmen steckt, lässt sich in dem Science-Fiction-Film bereits erahnen.

Fritz Göttler

Ich bin nicht Stiller - das wird dem Helden der Welt am Draht nach einiger Zeit brutal klar. Nicht der Stiller jedenfalls, als der er zu agieren pflegte, Fred Stiller, leitender Angestellter im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung (IKZ). Stiller fängt an seine Wirklichkeit zu hinterfragen, offenbar ist die Welt um ihn her eine einzige Computersimulation und alle, die mit ihm in ihr leben. Die Computer sind an der Macht.

Ein schöner cooler Noir-Held, ganz in der Bogart-Tradition, und eine irritierende Femme fatale: Fred Stiller (Klaus Löwitsch) und Eva Vollmer (Mascha Rabben) in Rainer Werner Fassbinders Welt am Draht. (Foto: Rainer Werner Fassbinder Foundation)

Welt am Draht, ein WDR-Zweiteiler nach dem Roman Simulacron-3 von Daniel F, Galouye, ist 1973 durchaus mit Erfolg im Fernsehen gelaufen, dann aber in Vergessenheit geraten. 2010 wurde er restauriert und während der Berlinale auf der Leinwand gezeigt. Nun läuft er in der großen Arte-Gedenkreihe anlässlich des dreißigsten Todestages Fassbinders.

Es ist eine vertraute und doch von Fassbinder diabolisch verfremdete Welt zugleich, eine Welt, die die Künstlichkeit der ersten Fassbinder-Filme in eine neue Dimension führt, die fasziniert und abstößt zugleich - zehn Jahre früher hatten Alain Resnais und Alain Robbe-Grillet mit Letztes Jahr in Marienbad einen ähnlichen surrealen Kulturschock produziert.

Welt am Draht, das ist kaltes blaues Licht, Aquarium-Atmosphäre, steriler Siebzigerjahreschick, Männer in eleganten Jackets mit Fliegen, Frauen mit Stolen und langen Handschuhen, dazu im Hintergrund "Isoldes Liebestod" auf Endlosschleife. Ein falsches Leben, das uns dennoch richtig scheinen mag in seiner leblosen Stilisierung, in der unglaublichen Leichtfertigkeit im Spiel mit großen Gefühlen. Am IKZ arbeitet man an den Identitäten und Illusionen der Menschen, an einer frühen Cyberwelt.

Es ist ein eigentümlicher Solitär im Werk von Fassbinder, zwischen Händler der vier Jahreszeiten, Die bitteren Tränen der Petra von Kant und Angst essen Seele auf, Faustrecht der Freiheit, die jetzt ebenfalls in der Reihe gezeigt werden. Außerdem läuft die Dokumentation Ich will nicht nur, dass ihr mich liebt von Hans Günther Pflaum - bei keinem anderen Filmemacher ist ein Blick auf die Arbeit so wichtig wie bei Fassbinder. Es ist, als wäre das Werk eine Simulation des Lebens.

Kalte Melancholie

Klaus Löwitsch ist ein schöner cooler Noir-Held, ganz in der Bogart-Tradition, Mascha Rabben eine irritierende Femme fatale. Und die Stars des deutschen Kinos der Fünfziger, die Fassbinder versammelt - Adrian Hoven, Ivan Desny, Rudolf Lenz - sehen in ihrer statuarischen Unnahbarkeit aus wie die Akteure der Computerspiele heute.

Eine Welt, die nach Action verlangt - aber diese bleibt ihr versagt. "Es gibt", so Hans Günther Pflaum, "in seinem Werk kaum eine tiefenscharfe Totale, die das Gefühl von Freiheit evozieren würde."

Eine kalte Melancholie liegt über dieser Welt, eine Gleichgültigkeit und Trauer - und sie werden immer stärker werden im restlichen Werk Fassbinders. Die Angst des Filmemachers vor der Phantomhaftigkeit der eigenen Existenz - dass sein richtiges Leben nur in seinen Filmen steckt. Dass es nichts als Melodram ist, Imitation des Lebens.

Ganz bleich hat Michael Ballhaus, Fassbinders getreuer Kameramann, die Bilder der Welt am Draht gemacht, substanzlos und bleich, in ihrer Balance zwischen Leben und Tod. Aber vielleicht muss man sich dennoch diesen Stiller am Ende als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Welt am Draht, Arte, 20.15 Uhr.

© SZ vom 08.06.2012/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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