Presseschau:Amoklauf verändert das Bild von München im Ausland

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Eine Frau stellt eine Kerze vor das Olympia Einkaufszentrum in München.

(Foto: AFP)
  • Ausländische Medien sehen nach den Ereignissen von Freitagabend die Angst vor dem Terror in München angekommen.
  • Die Erleichterung vieler Münchner darüber, dass es sich um einen Amoklauf handelte, können einige internationale Medien nicht nachvollziehen.
  • Der Fokus liege in Deutschland auf dem Erhalt von sozialer Harmonie, nicht auf der Identifikation krimineller Motive.

Von Julian Dörr

Regen liegt in der Luft, als Richard Ogier am Freitagabend mit seinem siebenjährigen Kind ein Münchner Freibad verlässt. Plötzlich rauschen mehrere Polizeiwagen an ihnen vorbei, Helikopter knattern durch die Luft. Ein Blick auf sein Smartphone verrät dem australischen Journalisten: Schüsse in einem Einkaufszentrum. Tote und Verletzte. Später schreibt Ogier in seiner Reportage für den Sydney Morning Herald: "Die Angst vor dem Terror, die in Deutschlands sicherster Stadt immer so weit entfernt schien, sie ist angekommen."

Deutschlands sicherste Stadt. Klickt man sich durch die vielen internationalen Medienberichte zum Amoklauf von München, taucht dieses Bild immer wieder auf. München, die Idylle. München, die Stadt der Willkommenskultur. München, die Stadt, "deren Ruf größtenteils auf Saufgelagen beruht", wie die Los Angeles Times schreibt. Bis zu eben jenem Freitagabend. "Der Amoklauf in München passt in ein Muster, das nur allzu bekannt ist - aber nicht für Deutschland", titelt die kalifornische Tageszeitung auf ihrer Webseite. Ein verstörter junger Mann tötet wahllos Unschuldige. Das sei eine klassisch amerikanische Tat.

"Deutschland hat eines der strengsten Waffengesetze der Welt", schreibt der britische Independent am Sonntagmorgen, "aber das konnte den Angreifer von München nicht von seinem Amoklauf abhalten." Eine Entwicklung, die besorgniserregende Folgen haben könne für ein Land, das beinahe alle legalen Mittel ausgereizt hat, um solche Taten zu verhindern. Illegaler Waffenbesitz sei ein großes Problem in Europa, analysiert der Independent auf seiner Webseite, besonders das Schengener Abkommen und die geografische Nähe zu ehemaligen Kriegsgebieten auf dem Balkan hätten den illegalen Waffentransport auf dem Kontinent erleichtert.

"Es scheint ein bisschen früh zu sein, den Fall abzuschließen", kommentiert Time

Amoklauf oder Terror? Diese Frage trieb die Münchner in dieser langen Nacht um, und sie waren beinahe erleichtert, als die Behörden in den frühen Morgenstunden nicht mehr von einem terroristischen Anschlag sprachen, sondern von einem Amokschützen. Einige internationale Medien können diese Erleichterung nicht nachvollziehen.

"Es scheint ein bisschen früh zu sein, den Fall abzuschließen", kommentiert das amerikanische Nachrichtenmagazin Time. Am Samstagnachmittag verkündete der Münchner Polizeichef, es gebe keine Verbindungen zu islamistischen Extremisten. Dabei hätten die Ermittler zu diesem Zeitpunkt weder alle Computer und Social-Media-Konten des Täters überprüft noch alle Zeugen des Amoklaufs befragt. "Fakt ist", schreibt Time, "der Schütze von München ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Doch ist es ebenso offensichtlich, dass er keine Sympathien für Islamisten jedweder Art hegte?" Man wundert sich über die Vorgehensweise der deutschen Behörden, auch über deren Vorsicht, eine klare Linie zwischen dem Täter von Würzburg und islamistischem Extremismus zu ziehen.

Der Fokus liege in Deutschland auf dem Erhalt von sozialer Harmonie, heißt es weiter, und nicht auf der Identifikation krimineller Motive. Das habe aber eine ganz andere Art von Feindseligkeit befeuert, so das Magazin: "Dieses Vorgehen hat es den Rechten im Land erlaubt, den etablierten Parteien vorwerfen zu können, sie würden Fakten schönreden."

Noch in der Nacht versuchten Rechtspopulisten mit Gerüchten Wahlkampf zu betreiben. Der australische Reporter Richard Ogier zieht daraus ein Fazit: "Was der Amoklauf von München hervorgehoben hat, ist, dass das Problem des Westens im Tonfall der Politiker und Journalisten liegt, die jederzeit bereit sind sich auf eine Gewalttat zu stürzen, um sie für politische Zwecke zu instrumentalisieren." Das würde die Situation aber nur verschlimmern. Denn eines ist dem Exilanten nach dieser Nacht klar: Europas Terrorängste haben auch die menschenfreundlichen und nüchternen Bürger Münchens erreicht.

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