Pressefreiheit:Klein, aber oh-oh

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In Andorra kennt jeder jeden. Kein Wunder in einem Land, das neben der schmucken Hauptstadt Andorra la Vella nur aus wenigen Bergdörfern besteht. (Foto: Getty)

Wie es dazu kam, dass das kleine Land Andorra im Pressefreiheits-Ranking in nur einem Jahr von Rang 5 auf Rang 32 abgestürzt ist.

Von MAXIMILIAN ZIERER

Manchmal muss man ein Zeichen setzen, sagte sich Marc Segalés. Deshalb erschien die Tageszeitung Diari Més, deren Chefredakteur er ist, für einen Tag im Juni 2014 ohne einen einzigen Artikel. Wo seine Kollegen sonst über Wintersport oder das Verhältnis Andorras zur Europäischen Union schreiben, war weißes Papier. Übrig blieb nur der Wetterbericht und eine Schlagzeile: "Diese Art von Presse wünscht sich Andorras Regierung!"

Andorra ist mit knapp 80 000 Einwohnern ein sehr kleines Land, gemessen daran ist seine Medienlandschaft erstaunlich vielfältig: Es gibt vier Zeitungen, öffentlich-rechtliches Fernsehen und Hörfunk, private Radiosender, Zeitschriften und eine Nachrichtenagentur. Trotzdem ist es um die Pressefreiheit im Land nicht gut bestellt: Im jährlichen Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist der Zwergstaat in diesem Jahr von Platz 5 auf Platz 32 abgestürzt. Damit ist Andorra der größte Absteiger, mehr Plätze auf einmal hat sonst kein Land verloren. Deutschland steht auf Platz 12 - von 180 Ländern.

Antoine Héry, bei Reporter ohne Grenzen verantwortlich für die Länder Europas, reiste im vorigen Sommer nach Andorra, um sich ein Bild zu machen. Das Hauptproblem für die Pressefreiheit im Fürstentum laut Héry: "Jeder kennt dort jeden." Journalisten, Politiker und Bankiers seien häufig zusammen in die Schule gegangen. Kaum verwunderlich in einem Land, das neben der schmucken Hauptstadt Andorra la Vella nur aus wenigen Bergdörfern besteht.

"Die Interessen überlagern sich, vielleicht haben wir das bisher unterschätzt", meint Héry. Oft wechselten Journalisten von Zeitungen in die Politik oder als Kommunikationschefs zu den Banken, die neben dem Tourismus einen Großteil der Wirtschaftskraft Andorras ausmachen. Und die Eigentümer der Medien stehen meist in engen Geschäftsbeziehungen zum Finanzsektor. "Die Tatsache, dass die Banken so viel Macht über Zeitungen haben, führt dazu, dass Journalisten weniger frei über Dinge des öffentlichen Interesses sprechen können."

Rosa Gili, Oppositionsführerin im kleinen andorranischen Parlament, meint: "Die Leute haben Angst, etwas Falsches zu sagen." Weil die Zeitungen in der Hand einflussreicher Familien seien, sei es schwierig, für echte Pressefreiheit zu sorgen.

Momentan erschüttert ein Schwarzgeldskandal den Kleinstaat, infolgedessen die Banca Privada d'Andorra verstaatlicht wurde. Marisol Fuentes, Chefin des andorranischen Ablegers des größten spanischen Privatradios Cadena Ser, ist zwar überzeugt, dass die Medien den Fall mit Ernsthaftigkeit und Transparenz begleiten, "aber in einem kleinen Land, wo jeder jeden kennt, kann man Druck ausüben, klar".

Andorra hat erst vor Kurzem begonnen, seiner Verfassung aus dem Jahr 1993 ein Gesetzeswerk folgen zu lassen. Eines dieser Gesetze erschwert die Arbeit der Journalisten nun zusätzlich: das sogenannte Schraubstock-Gesetz, das sich die konservative Regierungspartei Demòcrates per Andorra im vergangenen Jahr ausgedacht hat. Das Gesetz, das mittlerweile in Kraft ist, sieht Schadenersatzforderungen gegen Medien und Journalisten vor, wenn Ehre, Privatsphäre oder das Recht am eigenen Bild verletzt werden. Das ist nicht verwerflich, sondern üblich. Das Problem aber, berichten andorranische Journalisten, sind die vagen Formulierungen im Gesetzestext. Zwar wurde eine erste, noch restriktivere Fassung leicht entschärft, aber die Radiojournalistin Marisol Fuentes fürchtet: "Journalisten könnten unter Androhung von hohen Strafzahlungen sogar dazu gezwungen werden, ihre Quellen offenzulegen. Und das kann für die kleinen Medien in diesem Land existenzbedrohend sein."

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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