Nachlese zum "Tatort" Stuttgart:Duell der verzweifelten Väter

Lesezeit: 4 min

Showdown auf der Brücke: Kommissar Bootz (Felix Klare, links) und Frank Mendt (Robert Hunger-Bühler, rechts). (Foto: SWR/Alexander Kluge)

Kommissar Bootz vergisst vor lauter Panik, dass er Polizist ist. Kollege Lannert macht auf Cowboy. Die Nachlese zur Stuttgarter Episode - mit ausgewählten Zuschauerkommentaren.

Von Johanna Bruckner

Darum geht es:

Um Vergeltung, zumindest bis fünf Minuten vor Schluss. Dann weiß man nicht mehr so recht, was die Stuttgarter Episode "Preis des Lebens" sollte und wollte. Aber von vorne. Simone und Frank Mendt haben ihre 16-jährige Tochter Mareike durch ein Gewaltverbrechen verloren: Vor 15 Jahren wurde das Mädchen vergewaltigt und getötet, Videos der abscheulichen Tat sind bis heute im Netz zu finden. Nun ist einer der beiden Täter wieder auf freiem Fuß und Mareikes Eltern nehmen das Recht in die eigenen Hände. Sie entführen den Mörder ihrer Tochter, um von ihm den Namen seines Komplizen zu erzwingen, der nie ermittelt werden konnte. Das Ehepaar ist auf seinem Rachefeldzug unberechenbar - plötzlich ist Kommissar Bootz' Tochter Maja verschwunden.

Lesen Sie hier die Rezension von SZ-Tatort-Kritiker Holger Gertz

Tatort "Stuttgart"
:Im Inneren der biedersten Biedermänner

Die Tochter eines Ehepaares wird gefoltert, getötet, entsorgt. Die Zuschauer kennen den Täter, der Plot ist gut sortiert und alles wäre schnell auserzählt, wenn nicht einer der Kommissare in den Fall hineingezogen würde.

Von Holger Gertz

Bezeichnender Dialog:

Sebastian Bootz ist im Auto unterwegs, als er einen Anruf vom Handy seiner Tochter erhält. Doch am Apparat ist nicht Maja, sondern Frank Mendt - der hatte dem Kommissar kurz zuvor mitgeteilt, dass er dessen Tochter in seiner Gewalt habe.

Bootz: Ja? Hallo?

Frank Mendt: Na, wie fühlt es sich denn an, wenn man nicht mehr nur daneben steht und einen anderen Vater belehrt, was Recht und Unrecht ist? Darüber, ob es ihm sein Leid erlaubt, sich über das Recht zu setzen?

Bootz (steigt aus und läuft auf dem Gehweg auf und ab): Nicht gut. Es fühlt sich nicht gut an.

Frank Mendt: In einer Stunde sag' ich Ihnen, wo Sie Freund (Name des Mittäters im Fall Mareike Mendt, Anm. d. Red.) abliefern. Sie können Ihre Tochter unversehrt zurückhaben - das ist die Chance, die ich nie hatte. Es liegt jetzt ganz allein bei Ihnen. Ich werde jetzt nur noch auf einem Handy telefonieren mit Prepaid-Karte.

Bootz (setzt sich auf den Bordstein): Aber was - was werden Sie mit Freund machen? Ihn richten? Ihm das Leben nehmen?

Frank Mendt: Meine Tochter wurde in alle Körperöffnungen missbraucht. Wäre sie nicht erdrosselt worden, wäre sie an ihren inneren Blutungen gestorben. Dieses unsägliche Martyrium lebt in unseren Köpfen, in meiner Frau und mir. Es bestimmt unseren Alltag, besetzt uns Tag und Nacht. Seit 15 Jahren. Und jetzt werde ich dieser Qual ein Ende bereiten.

Bootz (steht wieder auf): Das tut mir leid! Das tut mir wirklich leid, Herr Mendt! Ich weiß, das ist furchtbar. Aber wenn ich Ihnen Freund nicht gebe und Sie mir meine Tochter nehmen - was wollen Sie denn dann machen, Sie und Ihre Frau? Wollen Sie dann einfach eine Ehe weiterführen? Wie soll denn das gehen?

Frank Mendt: Das will ich nicht. Natürlich nicht! Wir werden dann auch gehen. (Stille am Handy.) In einer Stunde, ja?

Die besten Zuschauerkommentare:

Die beste Szene:

Hat für den Plot keine Bedeutung - sorgt aber für ein bisschen Wild-West-Feeling im winterlichen Stuttgart. Thorsten Lannert steht an einer vielbefahrenen Straße an der Ampel, neben ihm raufen zwei Jungen, gefährlich nah an den vorbeirasenden Autos. Was tut da ein Mann, der vom Gang her ohnehin mehr Cowboy als Kommissar ist? Knöpft den schwarzen Mantel aus, schiebt ihn lässig nach hinten und legt seinen Pistolengurt frei. Schon sind die Raufbolde befriedet. Yee-haw!

Top:

Oder wie der Schwabe sagen würde: Töple - wenn er nicht eine Abneigung gegen allzu lobpreisendes Vokabular hätte. Wobei die Verniedlichungsform in diesem an Höhepunkten armen Tatort durchaus angebracht ist. Zumindest darf Gerichtsmediziner Dr. Vogt mal wieder beweisen, wie belesen er ist, und weil er dabei vor einem Müllcontainer mit Leiche steht, ist das schon amüsant: "Eines Morgens wachsch du nicht mehr auf. Die Vögel singen, wie sie immer sangen. Nichts ändert diesen Tageslauf, nur du bischd fortgegangen. Goethe."

Flop:

Zur Verteidigung von Felix Klare, der den Kommissar Bootz spielt, muss man wohl sagen: Es ist auch nicht einfach, eine so abstruse Geschichte glaubwürdig rüberzubringen. Da wird also die Tochter des Polizisten gekidnappt, und fortan darf sich Klare/Bootz nicht mehr wie ein Polizist verhalten, sondern muss den kopflosen Vater geben. Er läuft gehetzt-aggressiv im Kommissariat herum und schmeißt sämtliche Ermittlungspläne über den Haufen, was aber niemandem auffällt. Zwischendurch sitzt er immer wieder da, schlägt die Hände vors Gesicht, rauft sich die Haare, um dann einen verschwörerischen Jetzt-hab-ich-einen-Plan-Blick aufzusetzen. Das Ganze gipfelt in der Wohnung von Majas Mutter: "Ich rette sie!" - sagt's und stürmt aus der Tür.

Ein bisschen weniger Klischee-Psychologie von Seiten der Drehbuchschreiber hätte dem Plot gut getan. Und Felix Klare seinen Job erleichtert.

Bester Auftritt:

Gar nicht kopflos ist Bootz' Gegenpart, Frank Mendt, der seine ermordete Tochter Mareike rächen will. Robert Hunger-Bühler spielt den Vater irgendwo zwischen Trauer, Hilflosigkeit und Fanatismus. Wenn dieser Frank Mendt im Jugendzimmer der Tochter steht, in dem immer noch ein Poster von Neunzigerjahre-Latinpopstar Ricky Martin an der Wand hängt, und seine Ehefrau wie ein unbeholfener Teenager umarmt, dann nimmt man ihm diesen zärtlichen Moment ab. Genauso wie Minuten zuvor eine Drohung: "Ich bin Arzt. Arzt heißt aber auch, dass ich mich in Anatomie sehr gut auskenne, mit neuralgischen Punkten, mit Schmerz."

Erkenntnis:

Polizist bleibt Polizist. Darauf besinnt sich am Ende Kommissar Bootz, was seine vorherige Verzweiflungsepisode umso unglaubwürdiger macht. "Natürlich kann ich nicht damit leben, meine Tochter nicht gerettet zu haben", erklärt er Frank Mendt, "aber ich kann Ihnen Freund auch nicht geben. Das geht doch nicht."

Die Schlusspointe:

Suizid. Mal wieder, der vierte in der noch jungen Tatort-Saison (siehe auch hier, hier und hier). Man wünschte sich, den Drehbuchverantwortlichen fiele wieder mal ein alternatives Ende ein.

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