"Mindhunter" auf Netflix:Endlos-Dialoge vor herrlichen Braun- und Beigetönen

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Die Zeit, die in Mindhunter für Verhöre verloren geht, hätte man gern an anderer Stelle gehabt. (Foto: Patrick Harbron/Netflix)

Nach "House of Cards" zeigt Netflix die nächste Serie von David Fincher. "Mindhunter" spielt im FBI-Umfeld. Leider wird darin viel geredet.

Von Johanna Adorján

Serien, ständig neue Serien. Spüren Sie diesbezüglich nicht auch eine leichte Müdigkeit? Wie viele Tage, Wochen unseres Lebens haben wir nun schon damit zugebracht, Pilotfolgen begeistert, zweite Folgen durchaus hoffnungsvoll und alle weiteren dann mit zunehmender Enttäuschung anzusehen beziehungsweise eher: durchzustehen, möglichst schnell möglichst viele hintereinander zu gucken, um nicht mehr Lebenszeit aufzuwenden als unbedingt nötig, weshalb man ja selbst bei der schlechtesten Serie, die man ohne aufzugeben schaffte, nie nur verzweifelt war, sondern immer auch ein wenig stolz.

Nein, es hat sich nicht bewahrheitet, dass die Serie der neue Roman ist. Genau so wenig, wie Hörbücher der neue Gesellschaftstanz sind. Das, liebe Schlaumeier, sind zwei völlig verschiedene Sachen, die zwar beide mit erfundenen Geschichten zu tun haben, aber bei einem, nur ein Beispiel, hält man ein Buch in den Händen und liest, während das andere eher so etwas wie ein in die Länge gezogener Film ist, dadurch gestreckt, dass ständig neue, noch skurrilere Charaktere auftauchen. Oder dadurch, dass dauernd Handlungen mittendrin unterbrochen werden, weshalb man - so ist der Mensch, neugierig und manipulierbar - doch noch eben schauen möchte, wie es weitergeht.

Natürlich, Serien können gesellschaftlich wichtige Beiträge leisten, man denke nur an junge Eltern, Stichwort Babysitter-Knappheit. Allerdings tragen sie auch maßgeblich zum allgemeinen Stresspegel bei: Wer etwa Stranger Things immer noch nicht gesehen hat, kann einem nur noch leid tun, Ende des Monats kommt ja schon die zweite Staffel, und dann ist es nicht mehr einfach mit einer knappen Acht-Stunden-Sitzung getan. Und Stranger Things nicht zu kennen, bedeutet wiederum, die ganzen wissenden Anspielungen nicht zu verstehen, mit denen die Popkultur sich selbst unterhält. Okay, gibt Schlimmeres. Aber irgendwann kommt man dann eben überhaupt nicht mehr mit.

Jetzt kommt der nächste Kultur-Stress: Auf Netflix gibt es eine neue Serie von David Fincher, dem ehemaligen Werbefilmregisseur, der in den Neunzigern so grandiose Psychothriller fürs Kino drehte wie Seven oder Fight Club, zuletzt 2014 Gone Girl. Außerdem hat er die Serie House of Cards erfunden, die der ursprüngliche Grund sein dürfte, warum viele von uns monatlich zwischen 7,99 und 13,99 Euro ausgeben, um bei dieser Riesensache Netflix dabei zu sein.

US-Serie "House of Cards"
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Die US-Serie "House of Cards" reagiert auf ein neues Zuschauerverhalten: Das Publikum zieht sich Serien immer öfter in Marathonsitzungen rein. Deshalb wird das Intrigendrama in den USA nur noch per Stream ausgestrahlt, wodurch gleich die nächste Sendung zur Verfügung steht - mit gigantischem Erfolg. Hollywood ist alarmiert.

Von Peter Richter, New York

House of Cards wurde lange als popkulturelle Vergleichsgröße für alles Politische bemüht, das Redakteuren irgendwie machiavellistisch vorkam; wirklich, wann immer es eine Verbindung zwischen Macht und Unmoral gab, erinnerte es garantiert an House of Cards, als hätte es vor dieser Serie, vor 2013 nicht auch schon machthungrige Politiker gegeben, die über Leichen gehen wie in der Serie Kevin Spacey als Aufsteiger vom Kongressabgeordneten zum amerikanischen Präsidenten. Inzwischen, natürlich, ist von House of Cards seltener die Rede, denn neben der Washingtoner Realität macht sich die Netflix-Fiktion hoffnungslos veraltet, beinahe lächerlich aus.

Mindhunter heißt nun die zweite Serie, die Fincher für Netflix produziert hat (bei vier Folgen führt er auch Regie). Sie beginnt vielversprechend: Nachtsituation, Kamera fliegt in der Vogelperspektive über Häuser, irgendwo kläfft ein Hund. Das ist oft so bei Fincher, dass in der Nähe ein Hund kläfft, das deutet sofort auf eine Wohngegend hin, Hundebellen klingt immer vertraut, somit stellt sich sofort das Gruseln ein, dass das Verbrechen in der Nachbarschaft zuschlagen kann, in jeder.

Die Serie spielt im FBI-Umfeld der späten Siebzigerjahre. Pausenlos rauchende Männer, kastenförmige Chevrolets, amerikanische Provinz. Immer wieder mal sind kurz Fotos von Tatorten im Bild, sieht man kurz entsetzlich zugerichtete Leichen, arme zu Tode gefolterte Kreaturen. Wer tut so etwas, und warum? Gibt es das Böse? Wie lässt sich ihm auf die Spur kommen?

Klingt nicht schlecht, oder? Doch die Serie basiert auf der gravierenden Fehlannahme, dass einen die Hauptfigur interessieren würde. Das ist ein junger FBI-Agent namens Holden Ford, der aussieht wie eine Mischung aus Jared Kushner und Emmanuel Macron. Ein braver, blasser, spießiger Typ, der vor FBI-Anwärtern Seminare über die Kommunikation mit Geiselnehmern hält. Zur Auflockerung wird ihm eine sexy junge Frau an die Seite gestellt: die smarte Soziologie-Studentin Debbie, die frech, aufsässig und ein bisschen wild ist, und die, da sie keine andere Facette hat, mit ihrer permanenten frechen sexy Aufsässigkeit wahnsinnig schnell nervt.

Und dann ist da noch das Riesenproblem, dass die Serie statt auf Handlung auf Dialoge setzt, dass diese aber weder lustig noch interessant sind, sondern, was ganz besonders schlimm ist, wahnsinnig interessant sein wollen. Man hat es mit einem Langweiler zu tun, der permanent redet oder mit dem permanent geredet wird und zwar ausschließlich prätentiöser Käse.

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Holden, der auch nicht immer nur unterrichten will (selbst seine Studenten finden ihn sterbenslangweilig), tut sich mit einem hartgesottenen FBI-Kollegen zusammen, mit dem er an Fällen arbeiten darf. Wegen seiner Soziologie-Freundin hat er plötzlich moderne Ideen. Am liebsten würde er den ganzen altmodischen FBI-Apparat auf Vordermann bringen. Ihn interessiert die Psychologie der Täter. Also setzt er durch, überführte Serienmörder interviewen zu dürfen, zu Studienzwecken. Kann ja sein, dass das in den späten Siebzigerjahren FBI-Neuland war. Rechtfertigt das aber, das Serienpublikum knapp vierzig Jahre später mit ellenlangen, von A bis Z ausdiskutierten Dialogen zwischen FBI-Agent und Serientäter zu ermüden?

Klar, das ist mit das Tolle an Serien, dass diese sich viel Zeit lassen können, eine Geschichte zu entfalten - aber für den Zuschauer ist das ja eben das Problem: Diese Zeit fehlt einem dann ja für andere Dinge.

Bestimmt ist man bei Netflix sehr stolz auf den Serientäter aus der zweiten Folge, den Holden ewig und drei Tage lang interviewt, um hinter dessen Geheimnis zu kommen ("das Böse"). Dieser Verbrecher ist ein wohlartikulierter, leise sprechender Mann mit Hornbrille. Also kein Typ gedrungener Meuchelmörder mit Dolch im Gewand, sondern eine sanfte Seele, er könnte Künstler sein, Kindergärtner oder mindestens Hipster. Nur: Langsam würde man ja in einer Serie fast gerne wieder richtig fies aussehende Mörder erleben, einfach aus Gründen der Abwechslung.

Aber natürlich sieht alles super aus, die Siebziger sind immer ein dankbares Jahrzehnt für Kostüm und Szenenbild, die ganzen herrlichen Braun- und Beigetöne, das alte Telefonklingeln, die vollgerauchten Büros, deren Türen stets offen stehen und die von strengen Sekretärinnen bewacht werden, und vor allem natürlich: die Abwesenheit von Laptops und Smartphones.

Mindhunter ist aber halt leider keine Werbung für die Siebziger, sondern muss als Serie funktionieren. Einmal gehen Holden und seine aufsässige sexy Freundin ins Kino und sehen sich Sidney Lumets Dog Day Afternoon an, in dem Al Pacino so glorios desaströs Geiseln nimmt. Es ist eine sehr mutige und sehr dumme Entscheidung, diesen großartigen Spielfilm, der in 119 Minuten so viel über menschliche Abgründe, Hoffnungen und Sehnsüchte erzählt, in dieser Serie vorkommen zu lassen, die so viel sein will und nichts davon ist.

Mindhunter , von Freitag an bei Netflix.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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