"Löwenzahn":Peter Lustig - Vordenker der Öko-Elite

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Peter Lustig ist am Dienstag im Alter von 78 Jahren gestorben. (Foto: dpa)

Seine Karriere begann, als er sagte: "Fernsehen ist scheiße." Dann prägte Peter Lustig eine Generation, die heute in angesagten Großstadtvierteln eigene Tomaten züchtet.

Nachruf von Julian Dörr

Die Revolution begann im Bauwagen. So wird es in den Geschichtsbüchern stehen, wenn das Weltklima gerettet, die letzte Plastiktüte aus dem Ozean gefischt, die letzte Großstadt vom Smog befreit ist. Noch genauer wird es heißen: Die Revolution begann im Bauwagen von Peter Lustig.

1979 übernahm Peter Lustig die Moderation der Kindersendung Pusteblume im ZDF. Eine Lehrsendung mit Bildungsauftrag: den Kindern die Welt erklären. Zwei Jahre später wurde das Format in Löwenzahn umbenannt. Es wurde ein Quotenrenner. Peter Lustig moderierte und erklärte immer weiter - durch die Achtziger, durch eine Lungenkrebserkrankung, die ihn eine Lungenhälfte kostete, durch die Neunziger, bis ins Jahr 2005.

Die Latzhose wurde zu seinem Markenzeichen. Sein großer, blauer Bauwagen mit der selbstgebauten Stuhltreppe wurde zum Rückzugsort für das gute Gewissen des genügsamen Bürgers. Löwenzahn war Spiegelbild der wachsenden Friedens- und Ökobewegung in Deutschland, Peter Lustig ein Pionier des nachhaltigen und bewussten Lebens. Kein blinder Zukunftsskeptiker, sondern ein weitsichtiger Geist, der wusste: Wissen vertreibt Angst.

Zuschauer von damals trinken heute fair gehandelten Soja-Latte-Macchiato

So wurde Peter Lustig, der Tüftler, Selbermacher und Hinterfrager, zum Vordenker der urbanen Öko-Elite. Die Kinder, die in den Achtzigern vor klobigen Fernsehgeräten saßen und Peter Lustig zusahen, wie er Kartoffeln züchtet oder ein undichtes Dach repariert, diese Kinder sind heute erwachsen. Sie trinken fair gehandelten Soja-Latte-Macchiato in einem Reparatur-Café in Prenzlauer Berg. Auf ihren Großstadtdächern züchten sie seltene Tomatensorten.

Zum Tod von Peter Lustig
:Die besten "Löwenzahn"-Folgen

Knapp 25 Jahre lang hat Peter Lustig in "Löwenzahn" Kindern die Welt erklärt - von der Steinzeit bis zum Aktienhandel.

Von Carolin Gasteiger

Geboren wurde Peter Fritz Willi Lustig am 27. Oktober 1937 in Breslau, ein Kind des Zweiten Weltkriegs, das ohne Vater aufwuchs. Mit seiner Mutter floh er 1945 als Vertriebener Richtung Westen, zu Fuß mussten sie die Strecke nach Hamburg laufen. Dort lernte das Flüchtlingskind Rundfunk- und Fernsehtechniker und arbeitete von 1961 an als Tonmeister, zunächst beim US-amerikanischen Soldatensender AFN in Berlin. Es war Peter Lustigs Mikrofon, das die berühmten Wort von Präsident John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin aufzeichnete: "Ich bin ein Berliner."

Ein Zufall führte Lustig, mittlerweile Tonmeister beim ZDF, vor die Kamera. Bei einem Dreh für die Band Ton Steine Scherben zitierte ihn der Regisseur zu sich: Er sei doch ein komischer Typ, der gute Sprüche drauf hätte. Was machte Peter Lustig? Er zerschlug sich ein Ei auf dem Kopf und sagte: "Fernsehen ist scheiße." Gesendet wurde dieser Moment nie, aber das Fernsehen hatte er für sich gewonnen.

Das Öko-Image, das war Kunst, aber die Latzhose, die war echt

Es folgte die Karriere mit Löwenzahn, die Lustig zum graubärtigen Poster-Boy der Waldorfschulmütter machte. Eine bestimmte politische Richtung wolle er aber nicht propagieren, sagte er. Ihm ginge es allein darum, "dass Kinder auch Respekt vor der Natur haben", sagte Lustig einmal in einem Interview. "Ich war nie ein Müsli-Esser und habe auch nicht dauernd Sandalen an."

Das Öko-Image war also Kunst, aber die Latzhose war echt. So echt, dass sich Lustig zu seiner Hochzeit extra ein schwarzes Exemplar anfertigen ließ.

Löwenzahn erklärte jahrzehntelang die Welt, aber das Gesicht der Sendung war auch selbst ein Suchender. Zusammen mit seiner zweiten Frau Elfie Donnelly, Autorin von "Benjamin Blümchen" und "Bibi Blocksberg", wandte sich Lustig in den Achtzigern eine Zeit lang dem indischen Guru Baghwan zu. Später distanzierte sich der Moderator von dem Sektenchef: "Er war kein Gott für mich, er war auch nur ein Mensch. Er hat viel Schlaues gesagt, aber auch einigen Blödsinn."

2005 verabschiedete sich Peter Lustig von seinem Format Löwenzahn, das Alter hatte den Weltenentdecker müde gemacht. 2007 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Dann wurde es still um ihn. Am Dienstag ist Peter Lustig im Alter von 78 Jahren in der Nähe von Husum im Kreise seiner Familie gestorben.

Im berühmten Vorspann von Löwenzahn kämpft sich das knallorangene Unkraut langsam durch den Asphalt der Straße. Dann wird alles vom Löwenzahn überwuchert. Gegen diese Eroberung des Stadtraums durch die Natur wirkt "Urban Gardening" wie ein Witz.

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