Journalist Anthony Shadid:"Die New York Times hat mich umgebracht"

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Hat die "New York Times" einen ihrer Korrespondenten in den Tod getrieben? Im Februar starb der mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Reporter Anthony Shadid, nachdem er sich nach Syrien hatte einschleusen lassen. Ein Cousin des Verstorbenen erhebt schwere Anschuldigungen gegen die Zeitung.

Felicitas Kock

Es ist ruhig im Saal, als Ed Shadid ans Mikrofon tritt. Die Aufzeichnung ( zu sehen unter anderem beim Online-Politikportal Politico) zeigt einen dunkelhaarigen Mann im schwarzen Anzug. Er spricht vor dem Amerikanisch-Arabischen Antidiskriminierungs-Komitee (ADC) als Vertrauter des im Februar verstorbenen Journalisten Anthony Shadid. Nach lobenden Worten über die Brillanz und berufliche Hingabe seines Cousins kommt er auf dessen Tod zu sprechen - und zitiert die letzte Anweisung, die der Reporter seiner Frau gegeben haben soll, kurz bevor er sich nach Syrien einschleusen ließ: "Wenn mir irgendetwas zustoßen sollte, will ich, dass die Welt erfährt, dass mich die New York Times umgebracht hat."

Anthony Shadid wurde von Kollegen als bedeutender Reporter geachtet und zwei Mal mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Er starb im Alter von 43 Jahren. (Archivfoto aus dem Jahr 2010) (Foto: AP)

Die Meldung über den Tod Anthony Shadids hatte im Februar auf der ganzen Welt Bestürzung hervorgerufen. Der vielfach ausgezeichnete Journalist, der für seine Auslandsberichterstattung aus dem Irak 2004 und 2010 mit dem Pulitzer-Preis geehrt worden war, sei im Osten Syriens an einem Asthmaanfall gestorben, hieß es in der offiziellen Mitteilung der Zeitung. Shadid hatte sich in dem Land aufgehalten, um über den Widerstand gegen die Regierung Baschar al-Assads zu berichten. Bereits auf dem Weg nach Syrien habe er einen Asthmaanfall erlitten, schilderte der mitgereiste Times-Fotograf Tyler Hicks. Auf dem Rückweg in Richtung Türkei sei es dann zu dem zweiten, tödlichen Anfall gekommen.

Diese Version der Todesumstände zweifelt Shadids Cousin nun an. Der Reporter sei wohl eher aufgrund der starken Anstrengung und des hohen Risikos auf dem Weg zurück zur Grenze zusammengebrochen "in einer Art und Weise, die eher auf einen Herzinfarkt schließen lässt als auf einen Asthmaanfall", erklärte der studierte Mediziner Ed Shadid. Er unterstrich damit die gefährliche Situation, in der sich der Journalist bei seinem Einsatz befunden hatte - eine Situation, der er körperlich womöglich nicht mehr gewachsen war.

Shadid sollte ohne Visum einreisen

Noch im Dezember 2011, so Ed Shadid, hatte ein Sicherheitsberater der New York Times den Plan, einen Reporter von der Türkei aus nach Syrien einschleusen zu lassen, als zu gefährlich eingestuft. Sechs Wochen später, die Sicherheitslage hatte sich zu diesem Zeitpunkt weiter verschlechtert, sei es dem US-Nachrichtensender CNN gelungen, einen Reporter in der nordsyrischen Stadt Idlib zu positionieren. "Da wurde Anthony aus Libyen abberufen und es wurde von ihm verlangt, nach Syrien zu gehen", sagte der Cousin. Kollegen hätten überrascht auf den Auftrag reagiert, zumal Shadid ohne Visum reisen sollte.

Vor der Abreise nach Syrien telefonierte Shadid laut seinem Cousin mit den Herausgebern der New York Times. Sie hätten sich am Telefon angeschrien und über den Einsatz diskutiert. Der ursprüngliche Ablaufplan hatte sich zu diesem Zeitpunkt größtenteils zerschlagen. "Es sollte keine Motorräder geben, wie sie eigentlich angenommen hatten, die Schmuggler konnten sich nicht allein auf sie konzentrieren, sondern mussten auch Munition mitnehmen", schilderte der Cousin. "In diesem Moment hat Anthony seine Frau angerufen und seine letzte eindringliche Anweisung gegeben."

"New York Times" weist Anschuldigungen zurück

Es sind harte Vorwürfe, die Ed Shadid gegen die New York Times erhebt. Das Blatt weist die Anschuldigungen zurück: "Mit Verlaub, wir stimmen nicht mit Ed Shadids Version der Tatsachen überein. Die Times drängt Reporter nicht dazu, in Kriegsgebiete zu gehen", sagte eine Sprecherin der Zeitung dem Portal Politico. "Anthony (...) hat selbst entschieden, ob, wie und wann er nach Syrien gehen wollte und er wurde von den Herausgebern angewiesen, (...) er solle die Reise nicht machen, wenn er glaube, das sei aus irgendeinem Grund nicht ratsam."

Auch Tyler Hicks, der Fotograf, der mit Shadid nach Syrien gereist war, bestreitet die Geschichte in einem Interview mit der Los Angeles Times. Nicht die Zeitung habe Shadid gedrängt, sondern der Reporter selbst habe Druck gemacht, endlich nach Syrien reisen zu dürfen.

Die Witwe Anthony Shadids, Nada Bakri, ist selbst Korrespondentin der New York Times. Sie äußerte sich weder zu dem Anruf ihres Mannes vor seinem Einsatz in Syrien, noch zu den erhobenen Anschuldigungen. "Ich will nicht Teil einer öffentlichen Diskussion über Anthonys Tod sein", schrieb sie auf Twitter. In einem Fernsehinterview kurz nach dem Tod ihres Mannes hatte sie geäußert, sie sei "ein wenig sauer auf den Journalismus".

Inwiefern die Version Ed Shadids der Wahrheit entspricht, ist noch unklar - in den USA ist seit seinem Auftritt am Abend des 23. Juni jedoch eine Debatte über den besseren Schutz von Journalisten ins Rollen gekommen. Ed Shadid betonte in seiner Rede vor allem das Machtungleichgewicht in Verhandlungen zwischen den Journalisten und den Chefs einer Zeitung. Die zentrale Frage sei: Wie weit müssen Journalisten heutzutage gehen, wenn sie als Reporter Erfolg haben wollen? "Immer hingehen", hatte der frühere Chefredakteur der New York Times, Bill Keller, als "Grundregel des Berichtens" bezeichnet.

Der Cousin des verstorbenen Korrespondenten fordert nun, dass Reporter besser geschützt werden - vor den Forderungen aus den Chefetagen, aber auch vor dem eigenen Ehrgeiz. Anthony Shidad war bereits zehn Monate vor seinem Tod in Libyen gemeinsam mit drei Kollegen von Truppen des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi gefangen genommen, gefesselt und geschlagen worden und hatte dort mehrere Exekutionen miterleben müssen.

"Drei Wochen nach der Freilassung arbeitete er wieder", so Ed Shidad. Psychologische Betreuung, wie sie etwa für Soldaten mit traumatischen Erfahrungen üblich ist, habe es für die Journalisten nicht gegeben. Ebensowenig seien medizinische Tests vor körperlich anspruchsvollen Einsätzen vorgesehen. Bereits 2002 war Shadid im Westjordanland angeschossen worden. Die Kugel hatte ihm die Schulter zertrümmert.

In Syrien starben nach Informationen der Organisation "Reporter ohne Grenzen" im Jahr 2012 bislang vier ausländische Journalisten: Der französische Fernsehreporter Gilles Jacquier wurde bei einem von der Regierung freigegebenen Besuch der Stadt Homs von einer Granate getötet. Die amerikanische Journalistin Marie Colvin und der französische Fotograf Rémi Ochlik kamen, ebenfalls in Homs, bei einem Bombardement ums Leben. Ein Kameramann aus dem Libanon wurde an der syrischen Grenze erschossen.

Das ADC sprach sich nach der Rede Ed Shadids dafür aus, die Todesumstände seines Cousins genauer untersuchen lassen zu wollen. Dies sei wichtig, um ähnliche Fälle in Zukunft verhindern zu können.

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