Horst Stern wird 95:"Nehmen Sie dieses besoffene Schwein aus dem Programm"

Horst Stern

Als das Fernsehen noch zum Bereichern und Verstören da war statt zum Betäuben, ließ man Horst Stern sogar an hohen Feiertagen ins Programm.

(Foto: Herlinde Koelbl/Agentur Focus)

Horst Stern hat sich als Tierfilmer mit allen angelegt. Er mutete dem Publikum hammerharte Sätze zu und schuf Aufmerksamkeit für den Naturschutz. Jetzt wird er 95.

Von Holger Gertz

Kurzer Schwenk ins Weihnachtsfest des Jahres 1971. Damals erschien der Reporter Horst Stern im Ersten, sie hatten ihm den allerbesten Programmplatz freigeräumt: Heiligabend, direkt nach der Tagesschau. Es hat tatsächlich eine Zeit gegeben, da polsterte das Fernsehen sein Weihnachtsprogramm nicht mit Kunstschnee gegen Erschütterungen aus, und nirgendwo hingen billige Kugeln aus Silbereisen. Im fernen Jahr 1971 trat also Horst Stern zur Primetime ins Bild und verfügte: "Man rettet den deutschen Wald nicht, indem man ,O Tannenbaum' singt." Seine Stunde Sendezeit nutzte er, um dem Publikum die Festtagslaune zu versauen, denn das Fernsehen damals war nicht zum Betäuben da, sondern zum Bereichern und Verstören. Noch während der Sendung riefen welche beim Sender an: "Nehmen Sie dieses besoffene Schwein aus dem Programm."

Der Journalist Horst Stern war zu Weihnachten mit dem Dokumentarfilm Bemerkungen über den Rothirsch vor sein Publikum getreten und hatte sich mit der Jägerlobby angelegt und gleichzeitig mit den Bambi-Fans und natürlich auch mit denen, die ein Geweih für den schönsten Wandschmuck halten. Also: mit allen. Da saß er, trug Anzug zum bekümmerten und zugleich listigen Gesicht und stellte den Leuten seine hammerharten Sätze ins Wohnzimmer. Es ging ihm um "die Überbewertung der Trophäe, des Hirschgeweihs, mit dem ein unvorstellbarer Kult getrieben wird, obwohl zu seiner Erbeutung heute nicht mehr gehört als Geld, gute Beziehungen, Sitzfleisch und ein ruhiger Zeigefinger." Um dem angenagten Wald Erholung zu verschaffen, wäre es an der Zeit, regulierend einzugreifen. "Sie hören richtig, meine Damen und Herren", sprach Stern: "Es ist nicht dringlich zur Zeit, den Hirsch zu schonen. Es ist dringlich zur Zeit, ihn zu schießen."

Nie hätte er Geparden und Frettchen mit ins Studio gebracht, wie es Grzimek tat

Seine Filme - sechsundzwanzig hat er in den Siebzigern in der Dokumentarfilm-Abteilung des Süddeutschen Rundfunks gedreht - kommen ohne allzu flauschigen Musikteppich aus. Zu sehen sind Tiere jeden Formats: Eber, Igel, Spinne. Und, Schnitt, der Mann im Studio, der auf Distanz bleibt und aus der Distanz heraus klug analysiert. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, Geparden und Frettchen mit ins Studio zu bringen, wie es der geschmeidigere Kollege Bernard Grzimek tat. Das Frettchen zerriss Grzimeks Manuskript, während es sich an Sterns polierten Formulierungen glatt die Zähne ausgebissen hätte: "Das Hirschgeweih als Aufhänger für Gamsbarthüte und schöne Erinnerungen": ein klassischer Stern-Satz, ruhig und zugleich gallig. Mancher hat ihm eine Verliebtheit in die eigene Sprachkunst unterstellt, aber was wäre denn zu sagen gegen eine Liebe, die sich an so etwas Liebenswertes wie Sprache richtet?

Der Journalist Stern, geboren 1922 in Stettin, wird 95 an diesem Dienstag, schon lange lebt er zurückgezogen, weil ihm die Popularität, für die das Fernsehen sorgt, nicht gefallen hat. Und weil er Kompromisse hätte machen müssen, die er nicht machen wollte. Stern, vom Typ her mehr Klaus Bednarz als Hajo Friedrichs, hat sich dem Fernsehbetrieb und seinen Ritualen gern verweigert. Vor seiner Zeit als Fernsehstar war er unter anderem Gerichtsreporter und Schulfunkautor. Danach Gründer, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift Natur, schließlich Romancier und Kolumnist.

Anfang der Siebziger galt ökologisches Denken noch als Spinnerei von Freaks

Die Fernsehzeit bleibt nachhaltig, Stern zählt zu den wenigen Journalisten, die etwas verändert haben. Seine Thesen im Rotwild-Film wurden Thema eines Bundestagshearings, und überhaupt gehörte er zu denen, die das Thema Naturschutz auf die größere Bühne brachten, was auch daran lag, dass das Fernsehen damals bereit war, aus der Flipper-Lassie-Daktari-Phase auszubrechen. Gegen Widerstände übrigens: Anfang der Siebziger galt ökologisches Denken noch als Spinnerei, wer grün war, war ein Freak. (In der rückwärtsgerichteten Gegenwart ist es, nicht nur unter Trumpisten, wieder so.)

Sie haben sich damals zwei Kategorien ausgedacht für die Filme von Stern, schwarz und rosa. Schwarz waren die schweren Stoffe, rosa die Kürstücke. Seine "Bemerkungen über die Spinne" waren rosa; ein Tier-Feuilleton, das den Leuten die Angst vor den Spinnen nicht nahm, aber ihren Blick zugleich lenkte auf die Spinne als Baumeister und Insektenvertilger. Wer mag, kann Schnipsel auf YouTube sehen. Nahaufnahmen, und Stern als Anwalt der Spinne, der über das Tier spricht, aber den Menschen meint. "Während der westliche Mensch von heute das Pferd, den Hund und die Katze streichelt; während er den Regenwurm als Gärtner preist und die Biene als Wunder der Natur; während er Löwe und Elefant zu seinem Urlaubsziel macht und den Adler im Schilde führt, schlägt er ein Tier, das sie allesamt an Instinktleistungen übertrifft, mit dem Ausdruck des Ekels tot."

Zugegeben: So spricht heute kein Mensch mehr. Aber er ist doch bemerkenswert, dass jemand, der so sprach, sein Publikum nicht überfordert, sondern erreicht hat, mit jedem einzelnen Film. Horst Sterns "Bemerkungen über die Spinne" waren politisch nicht so brisant wie sein Rotwildessay, aber genauso folgenreich. Jedenfalls für die Spinne.

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