Gründer des Rolling Stone:Er hatte sie alle

Jann Wenner, Publisher Of Rolling Stone

Um den Rolling Stone zu gründen, lieh sich Jann Wenner 1967 Geld von seinen Schwiegereltern. Das Bild zeigt ihn 1970 in seinem Büro in San Francisco.

(Foto: Bettmann/Getty)

Eine Biografie über den bewunderten und gehassten "Rolling Stone"-Gründer Jann Wenner führt vor, wie sich eine Gegenkultur im Kapitalismus auflöst. Mit viel Sex, Drogen, Rock 'n' Roll - und Geld.

Von Jean-Martin Büttner

Journalist: "Waren Sie jetzt mit Mick Jagger im Bett oder nicht?"

Jann Wenner: "Ich werde mich hüten, diese Frage zu bejahen oder zu verneinen."

Also nicht. Oder doch? Jann Wenner, der reiche und einflussreiche, bewunderte und gehasste Zeitschriftenverleger, der im Herbst 1967 in San Francisco das Musikmagazin Rolling Stone mitgründete, damals als 21-jähriger Student, und es zu einem internationalen, multimillionären Erfolg führte mit fremdsprachigen Ausgaben in mehr als zwanzig Ländern: Er ist im Laufe seiner fünfzigjährigen Karriere mit vielen ins Bett gegangen. In jeder Beziehung.

Zwei frühere Versuche einer Biografie sind an seiner Obstruktion gescheitert. Auf Wenners Drängen hat sich jetzt Joe Hagan daran gewagt, Redakteur beim New Yorker, ein angesehener politischer Reporter. Hagan hat vier Jahre lang recherchiert, Hunderte Interviews geführt, mit Wenner lange Gespräche aufgenommen und sogar dessen Privatarchiv auswerten dürfen, denn Wenner hat alles über sich aufbewahrt. Hagans jetzt erschienene, 500-seitige Enthüllungsbiografie handelt von den vier Dingen, die Jann Wenner am meisten liebt: Sex, Drogen, Rock 'n' Roll - und Geld.

Niemand war so oft auf dem Cover wie Mick Jagger. Konnte Wenner noch genug Distanz wahren?

Je tiefer man in das Buch hineinliest, benannt nach dem Stones-Album "Sticky Fingers", desto vielschichtiger erlebt man dessen Hauptfigur. Wie hat dieser Mann solche Widersprüche ausgehalten?

Da ist Wenners schneller Intellekt und seine unbändige Begeisterung, seine risikofreudige Offenheit für neue Themen, Formen und Leute. Da ist aber auch eine Maßlosigkeit gegenüber allem, sie machte ihn zum taumelnden Kiffer, zum Alkoholiker, Kokser und Bulimiker, der nächtelang durchmachte und wochenlang nicht in der Redaktion auftauchte. Da ist der Geldverschwender als Egoist, der sich das Teuerste kaufte und die Mitarbeiter miserabel bezahlte. Da ist der Autodidakt mit höchsten Ansprüchen, der Jahre brauchte, um für seine Redaktion Faktenchecker anzustellen, welche die peinlich vielen Fehler ihrer Reporter korrigierten.

Vor allem gab sich Wenner gerne liberal und links und unterstützt bis heute die Demokraten, doch sein Blatt wurde von weißen, machistischen Männern dominiert. Frauen wurden im Rolling Stone lange zu Groupies sexualisiert oder heruntergemacht wie zum Beispiel die Songschreiberin Joni Mitchell. Schwarze Musiker wurden weitgehend ignoriert, weil sich Titelgeschichten mit ihnen nicht verkauften. Wichtige Trends wie Disco, Punk, Hip-Hop oder Techno hat das Magazin kleingeschrieben oder verpasst, es blieb auf die Helden seiner Gründerjahre fixiert.

Am häufigsten kam Mick Jagger aufs Cover des Magazins, nämlich 31 Mal; er bekam im Übermaß, was Jann Wenner stets am wichtigsten war: Beachtung. Wenners Bewunderung für Jagger und Jaggers kalkulierte Beziehung zu Wenner gehören zu einem der interessantesten Stränge in Hagans Biografie. Das gilt auch für die spannungsvolle Beziehung zwischen Wenner und John Lennon, die fast Freunde wurden und sich dann verkrachten. Wenner hatte Lennon über die Beatles-Jahre befragt und daraus später ein Buch gemacht, was ihm Lennon explizit untersagt hatte. Die beiden sprachen nie mehr miteinander.

Trotz all dieser Fehler und Fehleinschätzungen: Der Rolling Stone hat den amerikanischen Journalismus inspiriert. Wenner war ein Pionier. Er hat als Erster in den Sechzigern erkannt, dass die wachsende Gegenkultur der USA ernst genommen werden musste. Etablierte Medien wie Time oder Newsweek ignorierten sie, dilettantische Fanmagazine und Studentenzeitungen wurden ihr nicht gerecht.

Der Rolling Stone, den Wenner mit dem Jazzkritiker Ralph Gleason im November 1967 gründete und dazu Geld von seinen Schwiegereltern auslieh, erschien mit einem klassisch wirkenden, unaufgeregten Layout und sorgfältigen Schwarz-Weiß-Bildern. Bald etablierte er sich als Magazin für Musikhörer, Musiker und die Musikindustrie. Das Team verfasste elegant geschriebene Tourberichte, Festivalreportagen, kompetente Plattenkritiken, dazu kamen die exzellenten, großzügig aufgemachten Fotografien. Viele der besten amerikanischen Musikjournalisten haben bei Rolling Stone gearbeitet, bis sie sich - unweigerlich - mit dem Chef verkrachten.

Das Buch handelt sehr viel von Sex

Er selber dachte von Anfang an über die Musik hinaus, wollte auf die amerikanische Gesellschaft einwirken. Das Magazin handle nicht nur von Musik, schrieb Wenner schon in seinem ersten Editorial, sondern von den "Haltungen und Themen, die sich in der Musik ausdrücken". Das konnte eine Menge heißen, wie die folgenden Ausgaben zeigten: freie Drogen, freie Liebe, Leben auf dem Campus, in Kommunen, Kritik am Vietnamkrieg, anders gesagt: Rolling Stone feierte das junge Amerika.

Wenner gelang es, den Rolling Stone als liberale Publikation zu etablieren, die auch schwierige Themen recherchierte: Umweltkatastrophen, Betrugsskandale, brutale Armee- und Polizeieinsätze. Das Magazin berichtete über Sekten, Politskandale, Atomunfälle und militärische Vertuschung, interviewte alle demokratischen Präsidentschaftskandidaten und schaffte Enthüllungen mit internationaler Wirkung. Michael Hastings Recherche in Afghanistan führte zum Rücktritt des damaligen General Stanley McChrystal.

Dass Wenner einen Instinkt für die richtigen Themen und Leute hatte, bezeugen alle, mit denen Joe Hagan geredet hat. Wenner hat die unbekannte junge Fotografin Annie Leibovitz weltberühmt gemacht. Er hat Schreiber wie den chaotischen und obsessiven Ich-Autor Hunter S. Thompson oder den Schriftsteller Tom Wolfe lang und breit schreiben lassen.

Die Kehrseite von Wenners Enthusiasmus ist die Distanzlosigkeit. Diese gründe in dessen Erfolgssucht, schreibt Hagan, und sie sei zunehmend mit der journalistischen Integrität seiner Publikation kollidiert. Zuerst war es die Plattenindustrie, die mit drohenden Inseratenboykotten Rezensenten unter Druck setzte, oder Wenner selbst schrieb schon mal einen Artikel um, weil er einem Musiker oder Manager einen Dienst erweisen wollte. Später griff er ein, um eigene Projekte zu bewerben, wie eine Fernsehsendung oder die von ihm mitbegründete Hall of Fame.

Und spätestens seit Wenner 1977 die Büros seines Magazins vom hippen San Francisco ins glitzernde New York ziehen ließ, war die Wende vollzogen: von Schwarz-weiß zu Hochglanz, von Platteninseraten zu Werbeseiten von Big Tobacco, der Automobilindustrie, Parfums und selbst Rekrutierungsinserate der US-Armee. Die Berichterstattung wandte sich den Celebrities in Fernsehen, Filmen und der Pop-Kultur zu. "Das LSD machte die Hippies zu Yuppies", hat Frank Zappa einmal gesagt, aber der hatte von Drogen keine Ahnung. Wer sich dafür interessiert, wie sich eine Gegenkultur im Kapitalismus auflöst, kann das entlang der Geschichte des Rolling Stone nachlesen.

Dass Hagans Biografie so viel von Sex handelt, hat mit Wenners Lebensstil zu tun. Zwar gehört seine ehemalige Frau Jane zu seinen engsten Vertrauten, er hat mehrere Kinder mit ihr, und sie nahm Einfluss auf das Magazin. Trotzdem hatte Wenner ständige Affären mit Männern und Frauen, Kollegen, Musikern, Angestellten, Geschäftspartnern. Obwohl er bald realisierte, dass er mehr auf Männer stand, hielt er seine Homosexualität sehr lange geheim. Auch dass er Jude war, Sohn einer liberalen, zerstritten-neurotischen Familie, empfand er als Hindernis beim Aufstieg. Zudem litt er wegen seiner Figur: Wenner, heute 71, war immer klein und korpulent.

Dass der Rolling Stone immer bunter und seichter wurde, lag auch an der gesellschaftlichen Entwicklung. Wenner hatte nicht nur als Erster erkannt, dass die amerikanische Jugendkultur der Sechziger eine neue, für die Werbung attraktive Kaufkraftklasse bildete. Er registrierte in den Siebzigern früh, dass sich die Gegenkultur aufspalten würde. Eine Minderheit radikalisierte sich politisch oder trat in die Institutionen ein, manche blieben in den Drogen hängen oder in der Esoterik, die Mehrheit feierte den hedonistischen Lebensstil.

Den Niedergang seines Hefts konnte er nicht aufhalten. Man verlor auch im Netz an Anschluss

Für diese Generation schrieb der Rolling Stone seine Artikel über Stile, Moden und Trends. Obwohl Wenner zuletzt alles machte, um seinen Inserenten zu gefallen, ließ sich der Niedergang auch seiner Zeitschrift nicht aufhalten. Der Rolling Stone verlor Millionen Abonnenten und verpasste den Anschluss ans Internet. Zudem blamierte sich die Zeitschrift vor drei Jahren mit einer falschen Enthüllung über eine angebliche Massenvergewaltigung an einer Universität. Im August 2015 übernahm Wenners Sohn Gus die Verlegerstelle seines Vaters, aber nicht dessen Erfolg.

Unlängst wurde bekannt, dass Jann Wenner seine Mehrheitsbeteiligung von 51 Prozent verkaufen möchte - zum 50. Geburtstag seines Magazins. Was aus dem Heft geworden ist und seinem Erfinder - Jann Wenner würde weder das eine noch sich selber wiedererkennen.

Auch in der Biografie von Joe Hagan erkennt er sich nicht wieder. Wenner hat alle gemeinsamen Auftritte mit Hagan abgesagt, er distanziert sich von ihm, wann immer man ihn fragt. So eine Reaktion kann bei einem so narzisstischen Menschen nicht überraschen, aber es gibt manche in den USA, die Wenners Kritik teilen. Einer der wichtigsten, weil unbestechlichen, ist der kalifornische Publizist Greil Marcus. "Das Buch verfolgt die Absicht, seine Hauptperson zu diskreditieren", schreibt er, als man ihn um eine Einschätzung bittet. Hagan habe aus Gesprächen mit ihm und vielen anderen nur das Schlechte übernommen, manchmal sogar außerhalb des Kontextes. "Es ist ein bösartiges Buch."

Aber es ist auch das Buch über einen vielfältigen, innovativen Mann, das sich genauso unterhaltsam liest, wie er selber ist. Außerdem kann Jann Wenner immer wieder überraschen, mit seiner Ehrlichkeit zum Beispiel. Obwohl er die Hippies als Leser brauchte und sich ihnen als Drogenfreak darbot, hielt er nichts von ihren Bongotrommeln. Ihm ging es von Anfang um den Erfolg. "Ich war immer schon ein Bourgeois", sagt er einmal, "und meine Leser waren es auch."

Joe Hagan: Sticky Fingers. The Life and Times of Jann Wenner and Rolling Stone Magazine, New York, Random House, 500 Seiten. Die deutsche Fassung erscheint Ende März bei Rowohlt.

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