Enthüllungsjournalistin Dana Priest im Gespräch:"Es gibt in den USA eine geheime Welt"

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Reporterin Dana Priest über ihr Projekt "Top Secret America", zähe Recherchen bei den Geheimdiensten und Enthüllungsjournalismus.

Werner Bloch

SZ: Frau Priest, was halten Sie von Wikileaks?

Zugeknöpfte Intelligenz: die Lobby der CIA in Langley, Virginia. In den USA arbeiten fast eine Million Menschen im Geheimdienstsektor. (Foto: AFP)

Dana Priest: Nicht besonders viel. Vor allem wegen ihrer Verantwortungslosigkeit. Dort werden Informationen ungeprüft an die Öffentlichkeit gebracht, ohne jeden Filter, obwohl sie den eigenen Truppen oder dem Land eine Menge Schaden zufügen können. Ich war bei meinen Enthüllungen immer sehr vorsichtig. Ich habe zum Beispiel, als ich die Geschichte mit den illegalen CIA-Auslandsgefängnissen entdeckte, die beteiligten Länder nicht mit Namen genannt. Jedenfalls nicht sofort. Erst als andere das taten und klar war, dass das keinen Schaden anrichtet.

SZ: Ist Wikileaks der Enthüllungsjournalismus der Zukunft? Eine Konkurrenz für die Washington Post?

Priest: Sicher nicht. Wikileaks ist kein Medienunternehmen und keine Nachrichtenagentur. Bei der Washington Post herrscht eine andere Kultur. Bevor wir brisante Informationen veröffentlichen, verständigen wir uns mit der Regierung oder diskutieren mit dem Chef der CIA.

SZ: Eine Verständigung mit Regierung und Geheimdienst, welche Details der eigenen Recherche veröffentlicht werden dürfen und welche nicht, wäre aus deutscher Sicht hochproblematisch. Da herrscht in den USA wirklich eine andere Kultur. Sie haben sicherlich viele Feinde. Fühlen Sie sich manchmal bedroht?

Priest: Eigentlich nicht. Als ich meine Geschichte schrieb, fanden viele Amerikaner, ich sei eine vaterlandslose Gesellin und am besten im Gefängnis aufgehoben. Ich bekam E-Mails, Anrufe, Todesdrohungen. Aber das ging vorbei. Manche Freunde meinen, mein Telefon werde abgehört. Aber das glaube ich nicht, so etwas geht einfach nicht in den USA im Umgang mit Journalisten.

SZ: Seit gut zwei Jahren widmen Sie sich intensiv den Geheimdiensten in den USA. Ihr Bericht Top Secret America war auf Seite eins der Washington Post und füllte viele Seiten im Netz. Warum interessiert Sie das Thema so sehr?

Priest: Die Kriege in Afghanistan und im Irak waren Kriege einer ganz neuen Art. Sie waren Kriege der CIA, nicht so sehr der Armee. Seit dem 11. September 2001 explodiert die Zahl der Geheimdienstorganisationen in den USA. Mehr als 3100, viele von ihnen Privatunternehmen, arbeiten derzeit an 10.000 Orten an Programmen zur Terrorismusbekämpfung, zum Heimatschutz und zur Spionage. Das sind fast eine Million Menschen mit Top-Secret-Status.

SZ: Was tun all diese Leute genau?

Priest: Ich weiß es nicht und ich bezweifle, dass es überhaupt jemand auf der Welt weiß. Sogar der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates sagt, er sei nicht überzeugt, ob Amerika durch die Geheimdienste sicherer geworden sei. Jedes Jahr werden 50.000 Berichte verfasst, die schon wegen dieser Menge keiner mehr lesen kann.

SZ: Über Sinn und Unsinn von Geheimdiensten wird schon lange philosophiert. Wie sind Sie bei den Recherchen vorgegangen, welches Ziel hatten Sie?

Priest: Wir wollten die DNS dieser geheimen Welt bloßlegen. Dazu haben wir mit ihren Gebäuden angefangen. Es gibt Orte in den USA, von deren Existenz wir nichts wissen. Diese Orte fallen nicht auf, sie sind nicht von hohen Zäunen abgeschirmt, sie fügen sich unmerklich in unsere Städte ein. Wir haben die Gebäude der geheimen Organisationen auf einer Karte eingetragen - und so ist eine ganz neue Landkarte der USA entstanden. Die Hauptstadt wäre demnach ein Vorort von Baltimore. Denver, der Sitz der National Security Agency (NSA), wäre demnach eine gigantische Metropole. Es gibt in den USA so etwas wie eine parallele Geographie, eine geheime Welt.

SZ: Was für Leute haben Sie in Amerikas neuen Geheimdiensten getroffen?

Priest: Sie bilden eine eigene Kaste innerhalb des amerikanischen Arbeitsmarktes, mit einer eigenen Ethik und strengen Regeln. Eine paradoxe Gruppe, Menschen, die sich abschotten von der Welt, aber andererseits genau diese Welt erklären und erforschen sollen. Letztlich sind sie in ihrer eigenen Welt isoliert - wie Kinder, die sich zum Videospielen in den Keller geschlichen haben und sich jetzt nicht mehr heraustrauen, weil sie Angst vor all den Dingen da oben bekommen haben. Diese Leute sehen überall eine Gefahr.

SZ: Wie kommen Sie in der Geheimdienstwelt an Quellen?

Priest: Es gibt ja das Filmklischee: Informant ruft Journalisten an und sagt: "Triff mich an der Ecke, dann gebe ich dir ein Paket voller Dokumente." Leider warte ich immer noch auf diesen Anruf. Man muss als Journalist natürlich ein paar Leute kennen, die vielleicht unzufrieden sind mit ihrem Job oder der Politik ihrer Behörde, die sich dort aber nicht durchsetzen können. Dazu muss man rausgehen und sie treffen, damit sie deinen Charakter einschätzen können und du den ihren. Viele junge Journalisten bleiben im Büro, schicken Mails oder rufen an. So erfährt man in der Regel nichts. Und die Geheimdienste sind das Zäheste, über das man als Journalist berichten kann. Dagegen ist die Armee fast ein offenes Haus.

SZ: Frau Priest, auch die Zeitungskrise gefährdet in den USA den Enthüllungsjournalismus. Investigativ arbeitende Reporter werden entlassen. Time feuerte kürzlich seine zwei besten investigativen Reporter mit dem Argument, sie seien zu teuer. Und People kaufte die Bilder des Babys von Brad Pitt und Angelina Jolie für 14 Millionen Dollar. Beide Magazine erscheinen im selben Verlag, Time Inc.

Priest: So etwas passiert überall. Wir sind ja nur noch eine Handvoll Enthüllungsjournalisten auf nationaler Ebene. Ich hoffe, nach der Finanzkrise wird sich das wieder ändern. Die Verlage müssen bemerken, dass die Leser Enthüllungsgeschichten lieben und dass sie eine Zeitung schätzen, wenn sie solche Storys bringt. Ein gutes Marktargument.

SZ: Sie gehören zu den wenigen Journalisten, die eine eigene Fan-Website haben: www.danapriestfansite.com.

Priest: Ich habe keine Ahnung, wer diese Website eingerichtet hat. Aber es ist schon sehr bizarr.

SZ: Was halten Sie von Bloggern und Enthüllungsjournalismus im Internet?

Priest: Nicht viel. Ich hoffe, das Niveau wird sich steigern. Wenn es so weitergeht wie bisher, wird das Internet im Journalismus keine große Zukunft haben. Es gibt zu viele Typen im Schlafanzug, die in ihrer Küche Verschwörungstheorien verbreiten. Andererseits kann das Netz eine gute Ergänzung zur Zeitung sein. Wir haben bei Top Secret America viele Grafiken und Fakten ins Netz gestellt. Elf Millionen Menschen haben unsere Seite benutzt. Wir sollten die Macht des Netzes nutzen, um die investigative Natur des Journalismus zu stärken. Wir sind auch auf Facebook - und hatten plötzlich 5000 Freunde.

SZ: Enthüllungsjournalismus auf Facebook?

Priest: Das war ein Problem für mich, und ich habe es schnell beendet. Denn plötzlich tauchten auf meiner Facebook-Seite Leute auf, die vor Jahren mal meine Quellen waren. Ich rollte mit den Augen und fragte mich: Soll das ein Scherz sein? Ich wollte nicht, dass andere Journalisten oder Mitglieder der Regierung da reingucken und sagen: Aha, das sind also ihre Quellen.

SZ: Wie ist das Verhältnis einer Washington-Post-Reporterin zum Konkurrenten New York Times?

Priest: Wir haben in etwa ähnliche Geschichten, unsere könnten auch bei der Times erscheinen und umgekehrt. Aber ich hasse es, wenn sie auf uns einschlagen.

© SZ vom 03.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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