Wozu wir heiraten:Idioten oder Helden?

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Wird schon gutgehen: Hochzeit mit allem Pipapo. (Foto: REUTERS)

Jede dritte Ehe wird geschieden. Egal, wir heiraten trotzdem - und wenn es uns die letzten Kröten und Nerven kostet. Macht das Sinn? Und ob.

Von Violetta Simon

Wir sind eine durch und durch mutige Nation. Glaubt man den Statistiken, sind Paare nach ihrer Hochzeit bereits zu 33,3 Prozent geschiedene Leute. Laut einer Untersuchung des Statistischen Bundesamtes geht jede dritte Ehe in die Binsen. Doch statt vor so viel Aussichtslosigkeit zu kapitulieren, heiraten die Bundesbürger weiterhin unverdrossen. Weil sie an die große Liebe glauben.

Seit mehr als zehn Jahren ist die Zahl der Hochzeiten konstant geblieben, mehr als 350 000 heiratswütige Paare treten jährlich vor den Traualtar - und verleihen diesem Wort damit einen ganz neuen Sinn. Wer würde in einer vergleichbaren Situation so viel wagen?

Stellen wir uns vor, wir sitzen in unserem Traumwagen - rassige Formen, komfortable Innenausstattung, höllischer Motor. Wir dürfen ihn auch gleich mitnehmen, wenn wir uns mit einer Unterschrift zum Kauf verpflichten. Natürlich sind wir nicht naiv und bestehen auf einer Probefahrt. Nach dem Start erscheint auf dem Display jedoch folgende Information: "Wir weisen freundlich darauf hin, dass die Bremsen dieses Fahrzeuges zu 50 Prozent versagen werden. Viel Glück!"

Trauen wir uns und fahren trotzdem los? Nein, das tun wir nicht. Schließlich sind wir nicht lebensmüde.

Aber wir heiraten, manche gleich mehrmals. Und das, obwohl niemand müsste: Die Zeiten, in denen man sich durch Schwangerschaft oder Familie zur Ehe genötigt sah, sind vorbei. Die Zeiten, in denen man gezwungen war, eine unglückliche Ehe bis zum bitteren Ende durchzuhalten, ebenso. Wir alle wissen, dass mit den Jahren nicht nur das Vertrauen wächst, sondern auch die Vertrautheit - Abende vor dem Fernseher, Frühstück hinter der Zeitung, Schweigen im Auto. Ist die Versuchung so groß, darauf ein Abo abzuschließen? Sind die Aussichten so verlockend, dass wir dafür unseren Verstand über Bord werfen - und außer Acht lassen, dass das Abo jederzeit auslaufen kann?

Rüschen im Hirn

Vernünftige Frauen drücken sich plötzlich an Schaufenstern vor Satinroben und Spitzenschleiern die Nasen platt und entern sämtliche Hochzeitsgeschäfte der Stadt, nur um auszusehen wie jene biederen Schaufensterpuppen, bei deren Anblick sie früher spöttisch das Gesicht verzogen.

Wie kann es sein, dass selbst hartgesottene, emanzipierte, ganz und gar nicht romantisch veranlagte Frauen beim Anblick weißer Rüschen in vollkommene Verzückung verfallen? Dass selbstbewusste, vernünftige weibliche Wesen vor einer Brautmoden-Verkäuferin strammstehen ("Nur mit Handschuhen berühren!", "Dafür sind Sie zu kräftig!", "Bleiben Sie mit den Brautschuhen auf dem Leintuch!") und ohne mit der Wimper zu zucken, für ein Einweg-Kleid mehr bezahlen, als die ganze Hochzeitsreise kostet.

Hochzeits-Pannen
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Natürlich schwört die Braut Stein und Bein, dass sie ihr Kleid später umfärben und zu anderen Anlässen nochmal tragen wird - auch wenn sie dazu einen Motto-Ball mit dem Titel "Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin" organisieren muss. Passieren wird es nie.

Beim Anblick weißer Tauben klatscht genau diese Braut begeistert in die Hände, obwohl sie noch eine Woche zuvor mit dem Gedanken gespielt hat, deren Artgenossen, "diese elenden Drecksviecher, die den ganzen Balkon verkacken", mit einem Luftgewehr zu erledigen. Eine weiße Kutsche, gezogen von vier Schimmeln? Wunderbar! Fehlen nur noch André Rieu und Helene Fischer - der Albtraum wäre perfekt.

Eine Hochzeit darf alles sein, nur nicht durchschnittlich. Deshalb kann sie auf einem Schiffswrack, in einem rumänischen Schloss, einer entweihten Kirche in der Toskana, halb verschütteten Katakomben, einer leerstehenden Schule, keinesfalls aber in einer normalen Location stattfinden. Die Kosten für den ganzen Spaß sind mitunter so immens, dass man davon die Hochzeitsreise in die Karibik auf ein Sabbatical erweitern könnte. Oder ein Jahresabo beim Paartherapeuten abschließen.

Und das alles für 33,3 Prozent? Sind wir noch zu retten?

Aber ja! Wenn überhaupt, dann so. Natürlich müssen Menschen nicht heiraten. Doch sie setzen damit ein Zeichen. Wenn wir Heißhunger auf einen Hamburger verspüren, fragen wir auch nicht unseren Verstand. Wir müssten uns auch nicht die elfte Wiederholung von "Notting Hill" ansehen, da wir den Film bereits in- und auswendig kennen. Dennoch tun wir es.

Jenseits von Steuervergünstigung und Ehegattensplitting gibt es noch immer Menschen, die einfach nur aus Liebe heiraten. Und die Statistik keines Blickes würdigen. Würden wir den Arbeitsmarkt, die Politik und das Gesundheitswesen als Index für unsere Zukunft nehmen, dürften wir uns auch nicht vermehren. Dennoch tun wir es. Weil wir daran glauben, dass alles gut wird.

Und um ganz sicher zu gehen, schadet es sicher nicht, auf die Tauben zu verzichten - und ein bisschen Geld für einen guten Paartherapeuten auf die Seite zu legen.

Die Originalfassung des Textes, der anlässlich unseres Hochzeitsspecials aktualisiert veröffentlicht wurde, ist erstmals als Teil der Kolumne "Luft und Liebe" erschienen.

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