Weihnachtsbaum im Internet:Schau, was bringt die Post denn da

Lesezeit: 2 min

Ein Weihnachtsbaum im Fenster des Logistikzentrums von Amazon. (Foto: dpa)

Bücher und Brauseschläuche kauft unser Autor längst im Internet. Bald wahrscheinlich auch Butterbrezen und Leihgiraffen. Nur ein Produkt, findet unser Autor, sollte man sich bitte schön niemals online kaufen: den Weihnachtsbaum.

Von Max Scharnigg 

Es gibt eine wachsende Zahl von Menschen, denen Amazon nicht geheuer ist, vielen ist schon verdächtig, dass es so groß ist. Zu dieser Neigungsgruppe gehöre ich nicht. Ich kaufe zwar keine Bücher dort, aber gelegentlich andere Sachen: komplizierte Kurzwaren, billige Brauseschläuche, leichte Lawinenschaufeln und finnische Fahrradklingeln. Für diese Dinge müsste ich sonst tagelang Peripheriebaumärkte und Innenstädte durchwandern, wofür ich leider null Zeit habe, und selbst dann fände ich das meiste nicht.

Nun tauchte unlängst beim Durchwandern des endlosen Amazon-Registers ein Weihnachtsbaum auf. Nicht aus Plastik, nicht aus der Dose, nein, echte Nordmanntanne, Premiumqualität, Lieferung bis zum Fest garantiert, statt 24,99 nur 24,98 Euro und Spitzenschoner inklusive. Das Bäumchen kommt artungerecht in einem der Kartons, die mittlerweile zum Stadtbild gehören.

Amazon, das geht zu weit. Ich kann mir mit etwas Phantasie vorstellen, mir irgendwann Autos und Obstbaumgrundstücke, Butterbrezen und Leihgiraffen schicken zu lassen, aber einen Christbaum? Niemals, das muss der letzte analoge Kauf der alten Welt bleiben! Es ist ja eben kein schnöder merkantiler Akt, kein Kauf, um zu besitzen, nein, Christbaumkauf ist vielmehr eine wichtige Jahresend-Performance, die man selbständig zu durchstehen hat. Das Ritual vor den Ritualen, sozusagen.

Nix North Face, Nordmann!

Es ist immer gleich: zum letztmöglichen Zeitpunkt losgehen, mit der klammen Sorge, dieses Jahr wäre es doch wirklich zu spät. Von dem Baumverkäufer, der stets noch unseriöser, noch wilder aussieht als jeder Fähnchen-Autohändler, etwas empfohlen bekommen, was auf den ersten Blick wirkt wie eine zwei Meter Fichten-Klobürste. Dann auf eigene Faust rumschnüffeln und tatsächlich kurz vor der Kapitulation noch einen akzeptablen Baum finden, ihn triumphierend vor den Zerberus zerren, der ihn ungerührt durch das letzte Gerät zieht, das noch kein Touchpad hat, diese Netzreuse.

Die Freude, den dergestalt eigenhändig erlegten Baum dann durch die Straßen zu schleppen, etwas Echtes auf der Schulter, nix North Face, Nordmann! Die Dolchstiche der Tannenadeln im Handrücken beim Wuchten durchs Treppenhaus. Die leichte Enttäuschung, wenn der Baum im Zimmer doch einen recht deutlichen Fehlwuchs offenbart, eine regelrechte Lichtung auf mittlerer Höhe, die mit einer Astprothese notdürftig kaschiert wird. Das Zurechtsägen des Stumpfes mit dem Brotmesser. Der stille Kummer über die bereits beim Aufbau verlorenen Nadeln. Das alles sind analoge Erlebnisse, die man nicht gegen einen bemitleidenswerten Paketboten und einen Pappsarg eintauschen sollte. Und was, wenn der Baum wieder im Nachbarhaus abgegeben wird, pünktlich zum Fest?

Der eigene Christbaumkauf ist vielleicht auch die Handlung, die am besten deutlich macht: erwachsen, angekommen. Eigene Wohnung, eigenes Weihnachten, eigene Baumschlepperei. Per Mausklick wäre das zu einfach.

© SZ vom 20.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: