Umgang mit Alzheimer:"Wenn mich das trifft, dann ist das Leben zu Ende"

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Alte Freunde werden zu Unbekannten, der Einkauf im Supermarkt zur Herausforderung und das eigene Ich löst sich immer mehr in der Krankheit auf: Die Angst vor Alzheimer ist gegenwärtig - und doch weichen ihr die meisten Menschen aus. Rudi Assauer geht einen anderen Weg. Er hat seine Alzheimer-Erkrankung öffentlich gemacht. Professor Lutz Frölich vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim erklärt, was das für die Gesellschaft bedeuten könnte.

Violetta Simon

Im Mai 2011 hat Gunter Sachs seinem Leben ein Ende gesetzt - weil er an der "ausweglosen Krankheit 'A' leide", wie er in seinem Abschiedsbrief offenbarte. Er wolle auf diesem Weg dem "Verlust der geistigen Kontrolle" entgegentreten. Auch Rudi Assauer leidet an Alzheimer - und geht einen anderen Weg: Der Ex-Fußballprofi und langjährige Sportmanager spricht öffentlich über seine Krankheit, dokumentiert sein Leben mit der Krankheit in einem Buch und ließ sich ein Jahr lang von einem Fernsehteam begleiten. Süddeutsche.de hat mit dem Psychologen Lutz Frölich, Leiter der Abteilung für Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, über den Umgang der Gesellschaft mit der Krankheit gesprochen

Zwei Jahre hat er sein Leiden geheim gehalten - nun ging Rudi Assauer mit seiner Alzheimer-Diagnose an die Öffentlichkeit. (Foto: dapd)

Süddeutsche.de: Als die Auswirkungen der Krankheit nicht mehr zu übersehen waren, ging Rudi Assauer mit seiner Alzheimer-Diagnose an die Öffentlichkeit. Welche Signalwirkung könnte dieser Schritt auf die Gesellschaft haben?

Lutz Frölich: Ich glaube, dass der Auftritt von Assauer sehr mutig und sehr hilfreich war - ein Dienst an der Gesellschaft, wenn man so sagen will. Man denke an Ronald Reagan (1994, fünf Jahre nach Ende seiner Amtszeit, wurde bei dem 2004 verstorbenen ehemaligen US-Präsidenten Alzheimer diagnostiziert; Anm. d. Red.), der sich damals in einem etwas pathetischen Brief an sein Volk gewandt hat. Das hat in den USA eine Welle an Geldspenden, medizinischer Förderung und Gründung von Instituten ausgelöst - und die Krankheit wurde als Bestandteil der Gesellschaft wahrgenommen. So etwas ist sehr, sehr wichtig.

Süddeutsche.de: Denken Sie, dass Assauer mit seinem Auftritt etwas Ähnliches bewirken kann?

Frölich: Durchaus. Gerade weil er als Sportler ein positives Image hat und vielen als leuchtendes Beispiel gilt. Er wirkt emotional positiv, die kraftvolle Art, mit seiner Situation umzugehen, kommt bei den Menschen gut an.

Süddeutsche.de: Assauer hat sich für die Offensive entschieden. Dennoch ist es eine ungewohnte Position für den ehemaligen Fußballprofi: die Gewissheit, dass er diesmal nicht gewinnen kann. Welchen Eindruck hat er bei seinem Auftritt in der heute-Sendung auf Sie gemacht, wie schätzen Sie seine Einstellung ein?

Frölich: Als Herr Assauer in der heute-Sendung über seine Krankheit sprach, zeigte er eine typische Reaktion vieler Patienten auf die Frühdiagnose einer Alzheimer-Erkrankung: dieses Schwanken zwischen Wut und Angst, das Bedürfnis, dagegen aufzubegehren und zugleich der Versuch, sich mit dem Zustand zu versöhnen.

Süddeutsche.de: Das Wissen um die Krankheit und dabei noch klar im Kopf zu sein - was bedeutet das für den Betroffenen?

Frölich: Demenzpatienten im Frühstadium nehmen ihre Defizite durchaus wahr, sie können selbstbestimmt handeln und sind nicht einfach ausgeschaltet. Es sind Menschen wie wir - nur das Gedächtnis funktioniert eben nicht mehr so. Sicher ist das Gedächtnis ein wichtiger Bestandteil unseres Denkvermögens. Doch unser logisches Denken und Planen hängt nicht ausschließlich davon ab. Den Betroffenen helfen externe Gedächtnisstützen oder Angehörige. Daher sollte man diese Menschen als kompetente, autonome Personen mit einer eigenen Steuerungsfähigkeit anerkennen.

Süddeutsche.de: Warum fällt das vielen Menschen schwer?

Frölich: Außenstehende und nicht Betroffene glauben oft: "Der kann eh nichts mehr." Wir haben in der sogenannten "Impact"-Untersuchung in der Bevölkerung, aber auch unter Ärzten, die Einstellung zur Demenz geprüft. Da sind noch immer große Vorurteile vorhanden - auch wenn der Zustand inzwischen häufiger als früher als eine Erkrankung anerkannt wird, die behandelt werden muss.

Süddeutsche.de: Welche Vorurteile sind das?

Frölich: Zum Beispiel "das ist eine Alterserscheinung, das ist Schicksal, dagegen kann man ohnehin nichts tun, das muss man passiv erleiden, die Patienten sind keine kompetenten Menschen mehr, denen fehlt der Kopf". Hier überlappen sich zwei Vorurteile: Alte Leuten haben "ohnehin nichts mehr zu melden". Und dann sind die Betroffenen auch noch "psychisch auffällig".

Süddeutsche.de: Wie nimmt die Gesellschaft diese Krankheit wahr?

Frölich: Da muss man unterscheiden: Die Angst davor ist immens - Alzheimer wird neben Krebs als die große Bedrohung empfunden. Das Bewusstsein, dass die Krankheit häufig auftritt, ist also da. Auf der anderen Seite steht der Umgang mit dem Thema: Dieses schicksalhafte Ausgeliefertsein und die damit einhergehende Tabuisierung sind noch stärker als bei Aids. Es ist in etwa vergleichbar mit der Einstellung zu Krebs vor 30 Jahren, als man der Meinung war: "Oh Gott, wenn mich das trifft, dann ist das Leben zu Ende".

Süddeutsche.de: So hat offenbar auch Gunter Sachs gedacht. Ihre Einschätzung zu seinem Suizid im vergangenen Jahr?

Frölich: Für eine Reihe von Spezialisten in der Demenzforschung gilt die Frage, ob er wirklich eine Alzheimer-Erkrankung hatte, noch immer nicht als beantwortet. Zwar waren zuvor Veränderungen bei Sachs festgestellt worden, aber er litt phasenweise auch immer wieder an Depressionen. Es war wohl eher die Angst vor der Krankheit, die sein Handeln bestimmt hat, die kann typisch für einen Depressionsverlauf sein. Wir haben die Suizidhäufigkeit bei Demenzkranken untersucht - wie sich herausstellte, gibt es bei Betroffenen keinen Anstieg. Selbstmord ist nur eine von vielen Möglichkeiten, auf bedrohliche Ereignisse zu reagieren - unabhängig davon ob es sich dabei um eine Demenzerkrankung oder eine andere Bedrohung handelt.

Süddeutsche.de: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Demenz und Alzheimer?

Frölich: "Demenz" bezeichnet das Phänomen der geistigen Leistungsstörung und den im Alter auftretenden Gedächtnisverlust. "Alzheimer" nennt man die am häufigsten auftretende biologische Erkrankung des Gehirns, die diesen Zustand verursacht.

Süddeutsche.de: Wie gehen andere Prominente mit der Krankheit um?

Frölich: Der Gelehrte Walter Jens (leidet seit 2004 an Demenz, Anm. d. Red.) hat sich zurückgezogen und versteckt. Seine Frau hat sich öffentlich mit der Krankheit ihres Mannes auseinandergesetzt, sein Sohn Tilman hat in einem Buch ( Demenz: Abschied von meinem Vater) über seinen Vater reflektiert - beide haben sich mehr engagiert als der Betroffene selbst. Als der Fußballtrainer Helmut Schön (verstarb im Februar 1996, Anm. d. Red.) an Alzheimer erkrankte, schottete seine Familie ihn von der Öffentlichkeit ab - das zeigt, wie sich der Umgang mit dem Thema verändert hat.

Süddeutsche.de: Was bedeutet das Zusammenleben mit einem Erkrankten für die Familie?

Frölich: Die Bedeutung der - meist einzigen - Bezugsperson intensiviert sich erheblich, der Angehörige oder Partner wird zum Anker. Auch Leute, die sonst ein autonomes Leben geführt haben, werden so unsicher, dass sie die Bezugsperson nicht mehr loslassen. Diese kann sich in der realen Welt nicht mehr frei bewegen, sich nicht mit Freunden treffen, nicht einmal mehr alleine ohne schlechtes Gewissen zum Supermarkt. Nach einigen Jahren kommen wahnhafte Symptome hinzu - von Angehörigen meist als Persönlichkeitsveränderung gewertet. Sie geht einher mit der Verkennung oder Umdeutung der Realität, dem Gefühl, dass der andere gar ein Betrüger ist. Wenn ein Mensch, mit dem man 30 Jahre verheiratet war, plötzlich sagt: "Du bist ein Fremder, wer bist du eigentlich?" - das ist furchtbar.

Süddeutsche.de: Wie kann man das Leben mit Alzheimer - für Betroffene und Angehörige - erleichtern?

Frölich: Das erfordert viel Aufklärung und Veränderung seitens der Angehörigen. Sie müssen die krankheitsbedingten seelischen Veränderungen beim Kranken annehmen und lernen, ihm diese nicht "ausreden" zu wollen. In manchen Zuständen sind auch Medikamente gegen Wahn und Halluzinationen sinnvoll, um das Zusammenleben zu erleichtern. Wichtig ist deshalb auch, dass Medizin und Politik eine Aufklärung ohne Panikmache betreiben und differenziertere Information bieten. Zum Beispiel erklären, dass sich die Krankheit allmählich, im Laufe von sieben bis zehn Jahren entwickelt, sich die Symptome und deren Dimensionen wandeln und nicht gleich in vollem Umfang eintreten.

Süddeutsche.de: Was braucht ein Alzheimer-Patient wie Rudi Assauer am dringendsten?

Frölich: Zuwendung, Vertrautheit, Verständnis. Eine konstante Bezugsperson, die nicht weggeht. Die Sicherheit, nicht in Frage gestellt zu werden. Die Wahrnehmung, dass man noch immer eine respektable Person ist. Und die Anerkennung seines Mutes.

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