Trend Trailrunning:Neben der Spur

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Laufen in der Stadt war gestern: Trailrunner erleben ihr Runner's High beim Überqueren der Alpen - die Outdoor-Industrie freut sich.

Jochen Temsch

Am vierten Tag des Transalpine-Runs, irgendwo in den Bergen zwischen Galtür und Scuol, hatten Nicole Dörr und Till Gottbrath ihr intensivstes Erlebnis. Sie schlossen zu einem vor ihnen laufenden Paar auf und sahen, dass die beiden weinten. Der Mann konnte nicht mehr. Da wurden auch Till Gottbraths Augen feucht. "Als ich mir vorstellte, wie bitter es für mich wäre, aufzugeben und Nicole alleine weitermachen zu lassen, hat mich das Gefühl übermannt", sagt er, "dieser Lauf schweißt alle zu einer Familie zusammen."

Beim Transalpine Run kann man nur zu zweit starten - und es geht um mehr als den Sieg. (Foto: Foto: oh)

Gottbrath - PR-Berater und mit allen denkbaren Sportarten im Freien vertraut - hat schon viele Läufe mitgemacht. "Anderswo rennt man gegeneinander", sagt er, "beim Transalpine rennt man miteinander und misst sich daran, ob man es am Ende schafft."

Der Weg ins Ziel ist weit und steinig, aber landschaftlich ein Traum. Er führt von Oberstdorf im Allgäu über die Lechtaler Alpen und die Silvretta bis nach Latsch im Südtiroler Vinschgau. Das sind acht Tagesetappen durch vier Länder, insgesamt 240 Kilometer Distanz und fast 14.000 Höhenmeter - die größte physische und mentale Herausforderung, die es hierzulande in Sachen Geländelauf, neudeutsch Trailrunning, gibt.

Die Teilnehmer dürfen nur in Zweierteams laufen, das heißt, sie müssen sich untereinander absprechen und sich gemeinsam an das Tempo des Schwächeren halten, was den tendenziell einzelgängerischen Läufern im Grunde gar nicht liegt. "Im ersten Jahr wurden wir mit Protest-Mails bombardiert", sagt Uta Albrecht von der Agentur "Plan B", die den Lauf im Herbst dieses Jahres zum fünften Mal veranstaltet, "aber inzwischen ist das Zu-zweit-Laufen kein Thema mehr."

Statt des Wettkampfs steht der Landschaftsgenuss im Vordergrund, diese Haltung, um die es bei einem Geländelauf vor allem geht: Die ewig gleichen Runden auf dem Asphalt der Städte kann man mit der Zeit auch mit verbundenen Augen abtrotten - in der Natur aber muss man extrem aufmerksam sein, sein Tempo den wechselnden Bedingungen anpassen und die Schritte mit Bedacht setzen.

Der Untergrund ist rutschig, steinig, feucht, mit Wurzeln und Gräsern überwachsen, und manchmal weiß man überhaupt nicht, was einen erwartet. Da ist weniger der asketisch ausgemergelte Läufer vom Typ stoischer Kilometerfresser gefragt als einer, der auch mal gerne stehenbleibt und staunt und überhaupt ein geerdetes Gefühl für seinen Körper und die Umwelt mitbringt. Dann ist Trailrunning, wie Till Gottbrath formuliert, "ein großer Psychostaubsauger, der alle Probleme aus dem Kopf zieht und mich nur noch ich sein lässt".

Aufgeblasener Anglizismus

Wobei der Anglizismus selbst so aufgeblasen wie schwammig ist. Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Für die einen ist Trailrunning alles, was abseits befestigter Weg stattfindet. Bergbewohner wie Gottbrath finden allerdings nicht, dass jemand, der im Stadtpark vom Kiesweg auf die Grasnarbe wechselt, ein Trailrunner ist. Eingefleischte Bergläufer wiederum verwahren sich dagegen, mit Crossläufern gleichgestellt zu werden, die teils mit Kompass querfeldein, aber eben nicht zwingend von einem Tal auf einen Gipfel laufen, was vor allem in Großbritannien und Skandinavien sehr beliebt ist.

Die Sportartikelindustrie schließlich propagiert Trailrunning selbst im Flachland, und es sind vor allem ihre Werbekampagnen, die den Begriff in einer breiteren Öffentlichkeit etabliert haben. So findet zum Beispiel im November dieses Jahres ein mehrtägiges, Trailrun Worldmasters genanntes Rennen durch Hügel- und Parklandschaften statt - rund um ein stillgelegtes Zechengelände in Dortmund.

Vor allem die Unternehmen Salomon und Gore engagieren sich sei längerem fürs Trailrunning. Unter anderem sponsern sie Veranstaltungen wie den Transalpine-Run oder den Trailrunning-Cup, eine Laufserie mit einem Dutzend Rennen zwischen Karwendelgebirge und Harz.

Seit ein, zwei Jahren ist das Reklamewort Trailrunning ziemlich in Mode, und manche Fitnesszeitschrift entblödet sich inzwischen nicht einmal mehr, einen profanen Feierabendlauf im großstädtischen Büroviertel ("Treppen, Bänke und Grünstreifen sind ein optimales Terrain") als "Urban Trailrunning" zu bezeichnen.

Hinter dem Trail-Trend stecken Verkaufshoffnungen der Schuh- und Funktionskleidungshersteller, die einen speziellen, noch kleinen Markt ausbauen wollen. Laufen ganz allgemein macht fast ein Viertel der Umsätze der Sportsparte aus und gilt somit als "die treibende Kraft der Branche im Sommer", wie es bei der Messe München, der Organisatorin der weltgrößten Fachmesse für Sportartikel und Sportmode, Ispo, heißt.

Ungehemmter Konsumgenuss

Demnach bringen allein die Laufschuhe einen jährlichen Umsatz von rund 165 Millionen Euro - mehr als die anderen Segmente des deutschen Schuhmarktes. Die Tendenz war bis zuletzt steigend. "Der Konsumgenuss ist in diesem Bereich trotz Wirtschaftskrise noch relativ ungehemmt", sagt eine Sprecherin der Messe München, "größere Anschaffungen überlegen sich die Verbraucher viel eher als zum Beispiel den Kauf neuer Schuhe."

Und die sind beim Geländelauf natürlich besonders wichtig. Man braucht robuste Treter aus strapazierfähigem Material, mit tiefem Stand, griffigen Sohlen und einer gut geschützten Zehenbox, damit man bei den teils abrupten Bewegungen nicht strauchelt, umknickt, irgendwo dagegenstößt oder hängenbleibt.

Zur Ausrüstung gehört aber auch eine wind- und wasserfeste Funktionsbekleidung, die vor alpinen Witterungsbedingungen schützt, beim Stehenbleiben allerdings schnell trocknet, damit der Läufer nicht auskühlt.

Laut dem Ispo-Trendbarometer 2009, das auf einer Umfrage basiert, sieht der Outdoor-Fachhandel Wachstumschancen beim Trailrunning, aber von einer kleinen Basis aus, die man im Verhältnis zu den weit umsatzstärkeren Bereichen wie Wandern oder Sportklettern sehen muss. Es steht schon allein aufgrund der gebotenen Fitness etwa nicht zu befürchten, dass plötzlich alle Nordic Walker ihre Stecken wegwerfen und auf die Gipfel keuchen.

Till Gottbrath jedenfalls, der viel im Chiemgau unterwegs ist, sagt: "Ich habe beim Trainieren noch nie einen anderen Läufer in den Bergen getroffen." Das findet er auch gut so, sonst könnte er ja gleich ganz urban über Parkbänke hüpfen.

© SZ vom 18.05.2009/bilu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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