Prozess gegen John Galliano:"Ich kenne diesen Mann nicht"

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Der gefallene Modeschöpfer kann sich seine antisemitischen Tiraden vor Gericht selbst nicht erklären und stellt sich als Opfer seiner Lebensumstände dar.

Michael Kläsgen

Natürlich wird auch dieses Video gezeigt, das im Internet Furore machte. Da dauert der Prozess schon zweieinhalb Stunden. Niemand weiß, wer es wann aufgenommen hat, aber das ist auch unwichtig. Es dient vielmehr dazu, John Gallianos Gedächtnis aufzufrischen. Der ehemalige Stardesigner von Dior ist im Video mit schwarzem Käppi zu sehen. Er redet mit schwerer Zunge. Jedes Mal wenn er ein Schimpfwort benutzt, ertönt ein Piep. Es sind viele Pieps in den 45 Sekunden. Ein Satz ist allerdings ganz gut zu verstehen: "Ich liebe Hitler."

Trauer um den toten Partner, Stress, Tabletten, Alkohol -  so begründet John Galliano seine antisemitischen Anfeindungen vor Gericht. (Foto: AFP)

Die erhoffte Wirkung bleibt jedoch aus. "Ich habe keinerlei Erinnerung an diesen Vorfall", sagt Galliano vor Gericht. Er spricht auf Englisch, leise und mit kehliger Stimme. Die Übersetzerin gibt bald auf. Sie versteht seinen "besonderen Akzent" nicht. Gallianos Anwalt übernimmt ihren Job.

Früh zeigt sich, dass die Total-Amnesie ein Teil von Gallianos Verteidigungsstrategie ist. Der andere Teil besteht darin, das Bild eines hässlichen Doppelgänger zu konstruieren. "In dem Video sehe ich jemanden, der Hilfe braucht und der verletzlich ist", fährt der Künstler fort. "Das ist der Schatten von Galliano, eine leere Hülle von ihm. Ich kenne diesen Mann nicht und kann nicht für ihn antworten." Die Szene wirkt fast ulkig, aber niemand im prall gefüllten Pariser Gerichtssaal lacht.

Der tief gefallene Modeschöpfer trägt die Haare an diesem Mittwochabend offen. Sie reichen ihm fast bis zur Hüfte. Man merkt, wie unangenehm ihm dieser Auftritt ist und wie sehr er sich darauf konzentriert, seine einstudierten Sätze loszuwerden. Der 50-Jährige ist der rassistischen und antisemitischen Beleidigung in zwei Fällen angeklagt. Er soll in seinem Stammlokal La Perle, im Pariser Ausgeh-Viertel Marais, ausfällig geworden sein. Galliano wohnt gleich um die Ecke.

Ein Paar, das der Designer antisemitisch angepöbelt haben soll, beschreibt vor Gericht, wie es sich an einem Abend Ende Februar nicht anders zu helfen gewusst habe, als die Polizei zu rufen. Galliano habe beide eine Stunde lang mit Schimpftiraden traktiert. Gegen die Frau soll er eine Litanei aus Verbalinjurien abgelassen haben, die in der Wiederholung von "dreckiger Judenfresse" und anderen abfälligen Wortkombinationen mit "Jude" gipfelten.

Die Frau sagt, sie habe erst versucht, ihn zu ignorieren. Einmal habe Galliano ihr ans Haar gefasst, später mit dem Glas gedroht. Sie habe erst die Bedienung, dann den Barkeeper gebeten, zu intervenieren. Doch die Antwort habe gelautet: "Das ist John Galliano, da können wir nichts machen." Beide sollten sich doch bitte an einen anderen Tisch setzen. Das hätten sie nicht eingesehen, sagt die Frau. Sie habe stattdessen begonnen, sich mit lauter Stimme zu wehren. Ihr Begleiter gibt zu, einen Stuhl ergriffen und Galliano damit gedroht zu haben. Ihn soll der Designer als "asiatischen Bastard" beschimpft haben.

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Zwei Zeuginnen stellen die Sache etwas anders dar. Es sei kaum zu unterscheiden gewesen wäre, wer den Streit begonnen habe. Galliano sei ganz ruhig, die Frau hingegen aggressiv gewesen. Antisemitische Beschimpfungen hätten sie nicht gehört. Es sind Entlastungszeugen, die sich bei Gallianos Anwalt meldeten, nachdem sie in der Presse vom Rauswurf des Designers erfahren hatten.

Der tiefe Fall: 2010 präsentierte Galliano seine Frühlings/Sommer-Mode noch in Paris. Im März 2011 zeigte das Hause Dior die Herbst/Winter-Kollektion bereits ohne seinen Chefdesigner. (Foto: AP)

Eine Zeugin sagt unumwunden: "Ich fand es lächerlich, dass er deswegen seinen Job verliert." In welchem Bereich sie denn arbeite, hakt ein Anwalt des klagenden Paars nach. In der Modebranche, antwortet die Zeugin. Der Verteidiger gibt sich mit der Antwort sichtlich zufrieden. Offenbar meint er, damit der Glaubwürdigkeit der Zeugin den Rest gegeben zu haben.

Der zweite Fall, um den es geht, ist ähnlich gelagert. Er dreht sich um eine weitere Frau, die Galliano der rassistischen Beleidigung bezichtigt. Sie zeigte ihn an, nachdem sie von dem anderen Vorfall erfahren hatte. Zeitgleich tauchte das Video auf. Galliano muss auch in diesem Fall noch einmal in den Zeugenstand. Er redet nun davon, völlig überarbeitet gewesen zu sein und wird sehr persönlich. Selbst an dem Tag, als er seinen Lebensgefährten bestatten musste, habe er gearbeitet. So sei es auch gewesen, als sein Vater starb.

"Nie habe ich mir Zeit zum Trauern genommen", resümiert Galliano mit zitternder Stimme. Das frühere Enfant terrible der Pariser Modeszene wirbt fast flehentlich um Verständnis. Sein Freund Steven sei es gewesen, der ihn stets beschützt habe: "Nach seinem Tod hatte ich diesen Schutz nicht mehr." Deshalb habe er zu einem "tödlichen Cocktail" aus Schlaftabletten, Beruhigungsmitteln und Alkohol gegriffen.

Diese Hasstiraden, "das sind nicht die Gefühle von John Galliano", sagt Galliano. Sein Leben lang habe er gegen Intoleranz und Vorurteile gekämpft. Man müsse sich doch nur seine Mode anschauen, die von verschiedenen Kulturen inspiriert sei. Der Designer kommt auch auf seine Homosexualität zu sprechen. Schon bald nachdem er mit seinen Eltern im Alter von sechs Jahren nach London gezogen sei, habe er gemerkt, dass er schwul sei. "Und wissen Sie, Kinder können grausam sein", erinnert er sich. Der Modeschöpfer wirkt in diesem Augenblick zerbrechlich. Er scheint in den vergangenen Wochen viel über sich nachgedacht zu haben.

Die Staatsanwältin fordert nach sechsstündigem Prozess eine Geldstrafe von mindestens 10.000 Euro - ein Klacks im Vergleich zum dem Gesichts- und Jobverlust, den John Galliano erlitten hat. Das Urteil soll am 8. September fallen.

© SZ vom 24.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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