Modewoche in Istanbul:Go Ost Mode

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Paris, New York, Mailand - und bald auch Istanbul? Wie die Stadt am Bosporus versucht, zur Modehauptstadt zu werden.

Verena Stehle

Wenn das Flugzeug über dem Marmarameer zum Anflug ansetzt, wirkt der Bosporus von weitem wie ein grün-schwarzer Batikschleier, auf dem die Tanker und Fähren glitzern wie Pailletten. Welch hübscher Willkommensgruß: Istanbul hat zu den "Fashion Days" geladen - der ersten Modewoche, mit der die Millionenmetropole bald zum Synonym für Mode werden will wie New York, Paris, Mailand.

Seit ein paar Jahren öffnet sich Istanbul dem Westen gegenüber immer mehr. Und gleichzeitig wird der Istanbul-Hype im Westen immer größer: Trendberichterstatter kommen in Scharen in die Stadt, von der schon Gustave Flaubert so entzückt war, dass er ihr zutraute, "Hauptstadt der Welt" zu werden.

2007 beschrieb die New York Times die "Style-Offensive" der Stadt; die noch recht junge Kunstmesse "Contemporary Istanbul" etabliert sich gerade; darüber hinaus darf sich Istanbul 2010 offiziell Europäische Kulturhauptstadt nennen. Läuft alles prima. Und jetzt Modemetropole: So schwer kann das nicht sein; das frühere Konstantinopel war schließlich schon Zentrum zweier Weltreiche, da war Paris, pah, noch eine Siedlung.

Eine richtige Modestadt braucht einen Schauplatz, an dem die Zeit stehengeblieben ist - damit dem Zuschauer nicht schwindelig wird von der Mode, die sich ja immer schneller weiterdreht. Paris hat die Tuileries-Gärten, Istanbul die Technische Universität im Stadtteil Maçka. Die Models in einer Moschee auflaufen zu lassen - das wäre originell gewesen. Oder im mondänen Çiragan-Palast am Ufer des Bosporus.

Aber zurzeit ist Ramadan, und im Palast hat sich längst das Kempinski eingenistet. Die Istanbul Teknik Üniversitesi ist auch mondän: ein Prachtbau aus dem 18. Jahrhundert, mit einer Fassade, die ganz früher pink war und seither sich selbst und der Witterung überlassen wurde. In dem rosa blühenden Innenhof trifft sich das ermattete Modevolk in den Pausen, bevor es zur nächsten Schau ausschwärmt.

Herzlich und nicht selbstbewusst

Die Istanbuler Modewoche ist gerade ein paar Tage alt, und noch dementsprechend klein: 18 Labels und ein paar Nachwuchstalente zeigen an vier Tagen ihre Frühjahrs-Kollektionen vor Fachjournalisten, Moderedakteuren und Einkäufern; 250 von ihnen wurden eigens aus Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Russland, Indien eingeflogen. Bei einer Fashionweek wie in New York zeigen zwar viel mehr Designer, aber nie würden so viele Leute auf einmal in einer Show sitzen wie in Istanbul: Bei der Designerin Arzu Kaprol sind die Bänke so vollgestopft, dass zwei auftoupierte ältere Damen sich kurzerhand mit ihren Vuitton-Taschen auf den Boden setzen, und darüber auch noch lachen.

Schon anrührend, wie unaufgesetzt die Istanbul Fashion Days ablaufen: Die türkischen Modehoffnungen hocken eine Show weiter im Publikum; von Nebensitzern wird man in artigem Hochtürkisch gefragt, ob man, wenn möglich, nur ein klein wenig, rutschen könne; und wenn irgendjemand das limitierte Chanel-Shirt trägt, das gerade alle wollen und kaum einer hat, wird er bestaunt, nicht gehasst. Affektiertheit liegt einfach nicht in der Natur der Türken. Dafür sind sie viel zu herzlich - und in Sachen Mode noch zu wenig selbstbewusst: Lange wurde man vom Westen ignoriert; wie dumm wäre es, die Gesandten mit Snobismus gleich wieder zu vertreiben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich die Textilgeschichte der Türkei seit ihren Anfängen gewandelt hat ...

Türkische Mode ist, bislang, ein Kuriosum. Zwar reicht die Textilgeschichte der Türkei zurück bis ins Osmanische Reich, allerdings waren die Türken immer nur Hersteller, nie Designer. Mittlerweile gibt es 7500 Stofffabrikanten und mehr als 11000 Kleiderproduzenten. Die Ware geht vor allem in die EU - allein im letzten Jahr wurde Kleidung im Wert von 15,2 Milliarden US-Dollar exportiert. Seit die billigere Konkurrenz aus Fernost aber noch mehr auf die Preise drückt, will sich die Türkei auch als Modenation positionieren. Einheimische Labels werden dabei von Itkip unterstützt, dem Verband türkischer Textil- und Bekleidungsexporteure, der auch Organisator der Modewoche ist.

Zwei türkische Designer brauchen die Modewoche hier nicht mehr, sie sind im Ausland längst ein Begriff. Der Istanbuler Atil Kutoglu lebt und arbeitet in Wien, durfte seine Mode aber schon auf der New York Fashionweek präsentieren. Und natürlich - da beginnen die Augen der modeaffinen Türken zu glänzen - Hussein Chalayan: Der Sohn einer türkisch-zypriotischen Familie hat es immerhin zum Chefdesigner von Puma gebracht und macht unter eigenem Namen Mode, die aussieht wie Kunst.

In Deutschland kennt man vielleicht noch Sarar. Das Label, das nichts mit Zara zu tun hat und im Berliner Quartier 206 hängt, fährt wie viele türkische Firmen zweigleisig: Neben der eigenen Linie werden noch Teile für andere Marken produziert; Sarar etwa macht die Hemden von Burberry.

Aber zurück in die Universität, die nächste Show fängt gleich an. Und auch bei dieser Modewoche ist die erste Reihe mindestens so beachtenswert wie die Mode auf dem Laufsteg: Während in Paris eine Phalanx schwarzgekleideter Damen in gleicher Manier ihre Fohlenbeine verknotet, geht es hier ein wenig unkultivierter zu. Türkische TV-Starlets mit gemachten Himmelfahrtsnasen posieren noch rasch für das Aufmacherbild eines türkischen Revolverblatts, nebenan gackern deutsche Einkäufer, und die jungen Moderedakteure aus Paris denken nicht daran, ihre Sonnenbrillen abzusetzen.

Modetrend: Haremshose

Und die Show, ach ja: Manche Designer sind so auf dem Westtrip, dass sie ihre Entwürfe zuhängen mit allerlei vermeintlich westlichen Details, Bändern, Reißverschlüssen, Fransen, Bauklötzchen. Das Kleid wäre hübsch, bestimmt, man sieht es vor lauter Basteleien bloß nicht mehr. Es kommt hin, was ein Gast während der Schau sagt: "Je mehr sie machen wollen, desto schlimmer wird es."

Nicht alle sind im Verwestlichungsrausch. Die Labels, bei denen der Beifall am längsten währt - Gamze Saraçoglu, BNG, Idil Tarzi, Arzu Kaprol - haben erkannt, dass ihre Chance der Serail-Look ist, der auch international stark gefragt ist, seit Prêt-à-Porter-Labels wie Chloé Haremshosen herausbrachten und seit Kate Moss Turban trug. Und wer könnte Sarouelhosen, römische Togen und Turbane besser verkaufen als die Nachfahren jener, die all das schon vor Jahrtausenden trugen?

Überhaupt ist die Haremshose, die mit ihrem tiefen Schritt aussieht, als trage man drei Pampers übereinander, für türkische Modemädchen, was die Moonwashed-Röhre für Europäerinnen: Zeichen, dass man die Mode durchschaut hat. Man sieht die Haremshose in diesen Tagen nicht nur auf, neben und hinter den Laufstegen, sondern auch auf den Straßen rund um den Taksim-Platz, kombiniert mit Römersandalen und braunen Wellenhaaren.

Mit ein bisschen Glück finden sich diese Mädchen irgendwann auf der Website Istanbulstreetstyle wieder. Jaja, auch Istanbul führt einen Blog über den Stil auf seinen Straßen. Und der dokumentiert vor allem, dass Istanbuls Jugend den Parisern und New Yorkern leidlich hinterherhinkt. Rock über Hose, das ist hier gerade angesagt.

Als das Flugzeug wieder abhebt nach Westen, und der Bosporus glitzert wie ein Schleier, ist klar: Istanbul wird nie wie Paris sein. Nie wie New York. Wenn es das kapiert, könnte es was werden.

© SZ vom 05.09.2009/aro - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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