Medizin und Wahnsinn (86):In der Schwedengruppe

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Patienten wollen keine gleichberechtigten Partner sein, wenn sie zum Arzt gehen. Der "mündige Patient" bleibt eine Illusion und macht vielen Angst.

Werner Bartens

Wenn man zum Arzt geht, will man kein gleichberechtigter Partner sein, der auf Augenhöhe mitredet. Es sei denn, man ist Pharma-Referent, Zeitschriften-Werber oder Steuerberater. Als Patient will man sich fallenlassen und von seinem Doktor fachlich ausgewogen aber individuell und einfühlsam beraten werden.

Welchen Wirbel darf ich Ihnen denn entnehmen? - Der Patient erwartet beim Arzt keine Fragen, sondern Ansagen. (Foto: Foto: iStockphotos)

Das Schlagwort vom "mündigen Patienten" ist eine schöne Illusion oder eine Parole für Menschen, die auch sonst immer das letzte Wort haben müssen. Wer Schmerzen hat, kann nicht Vor- und Nachteile einer Therapie diskutieren. Nicht mal ein Arzt wüsste, was das Beste für ihn ist, wenn er gerade selbst leidet.

Eine Kollegin erzählte kürzlich auf meinem gelben Sofa von ihrem letzten Arztbesuch. Sie wollte sich ein paar Stellen entfernen lassen. Eigentlich war es nur eine einzige Stelle am Bein, die ein bisschen drückte.

Die Hautärztin hatte aber wohl ihre Spendierhosen an und unverhofft einen großzügigen Tag. Jedenfalls bot sie der Patientin an: "Überlegen Sie sich, wie viele Stellen ich Ihnen wegmachen soll." Um die Entscheidung zu beschleunigen, gab sie sogar ein bisschen an: "Letzte Woche war ein Patient da, bei dem habe ich 14 Stellen auf einmal entfernt." Im Wartezimmer lag eine Ansichtsmappe mit ihren anderen ärztlichen Großtaten aus.

Darmsanierung - ein großer Unfug

Darf es ein bisschen mehr sein? Die Kollegin wusste zunächst nicht genau, wie sie auf die dermatologische Offensive reagieren sollte. Eigentlich störte sie ja nur die eine Stelle am Bein. Sie war überfordert von dem Angebot und medizinisch war es offenbar egal, wie viele Stellen ihr weggeschnitten wurden. Lieber wäre ihr gewesen, die Ärztin hätte gesagt: Die zwei Flecken hier an der Wade, die sollten wir unbedingt entfernen. Die übrigen sind harmlos, man kann sie lassen, es sei denn sie stören.

Ein anderer Kollege ging zum Arzt, weil er permanent müde war und oft etwas schwermütig. Der Arzt ließ alle Laborwerte bestimmen, die ihm einfielen, fand aber nichts. "Wir könnten es mit einer Darmsanierung probieren", sagte er unschlüssig. Seit so viele Ärzte auf Bauherrenmodelle im Osten hereingefallen sind, haben sie Begriffe der Immobilienbranche auf ihre Disziplin übertragen, zumeist für Therapien oder Untersuchungen, die nichts taugen.

Wahrscheinlich hat ein um seinen Gewinn an einem todsicheren Renditeobjekt in Görlitz betrogener Internist nach einer misslungenen Dachsanierung das Geschäftsmodell Darmsanierung entwickelt.

Hier in der Redaktion entstehen viele Ideen so. Gibt man "Schweinegrippe" in das Korrekturprogramm ein, schlägt es vor, das Wort durch "Schwedengruppe" zu ersetzen. Seitdem warnen wir auch vor Schwedengruppen.

Die Darmsanierung ist ein großer Unfug. Angeblich soll die Flora auf Vordermann gebracht werden. Dabei entzieht man dem Organ aber Bakterien, die es zur Verdauung braucht, um sie hinterher mühsam wieder aufzufüllen. Viele Patienten fallen darauf rein, vermutlich, weil Darmsanierung so schön nach Kanalsanierung klingt. Unser Korrektursystem schlägt stattdessen Dammsanierung oder Dachsanierung vor, was als Reflex auf die Regenfälle zu verstehen ist, die in den letzten Wochen über Bayern niedergegangen sind.

Natürlich gibt es auch Ärzte, die Klartext reden und Patienten nicht mit ihren Entscheidungen alleinlassen. Vorbildlich in dieser Hinsicht ist David Greening von einer Fruchtbarkeitsklinik in Sydney. Der australische Arzt berät Paare, die sich Nachwuchs wünschen, aber bisher keinen bekommen haben, darunter auch Schwedengruppen.

Einer Nachrichtenagentur teilte der Mediziner nun seine wichtigste Empfehlung mit: Kommen Paare mit Fruchtbarkeitsproblemen zu ihm, gibt er ihnen den Rat, "es zunächst mit mehr Sex zu versuchen". Das ist Medizin ohne Wenn und Aber. Klare Ansagen, das verstehen die Patienten.

© SZ vom 04.07.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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