Medizin und Wahnsinn (107):Die Süßkram-Gefahr

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Das Leben ist kein Ponyhof: Wohl dem, der an ein entsagungsreiches Dasein voller Nackenschläge gewöhnt ist. Auch die Gesellschaft profitiert davon.

Werner Bartens

Bei manchen Kollegen fragt man sich, was da grundsätzlich schiefgelaufen ist. Jähe Wutausbrüche wechseln mit übertriebenen Nähebekundungen ab. Manchmal ist nur ein Winseln zu hören wie bei einem Welpen, der vor lauter Seelenschmerz seinen Korb zerkaut. Stumpfer Stupor oder Logorrhoe - man weiß nie, wie der Kollege als Nächstes reagieren wird.

Wer in der Kindheit viel Süßes bekam, so die These der Forscher, hat früh gelernt, seinen Willen zu bekommen. (Foto: Foto: ddp)

Er weiß oft selbst nicht, wohin er mit sich soll. Das deviante Verhalten wird von Beobachtern darauf zurückgeführt, dass der Kollege als Kind zu früh auf den Topf gesetzt wurde. Zwanghafte Züge und eine Phobie vor allem Lebendigen kann er in der Tat nicht verhehlen. Verfrühte Erziehung zur Reinlichkeit kann viel kaputtmachen. Bei ihm ist die emotionale Schwingungsfähigkeit jedenfalls total verkümmert.

Vielleicht wurde er aber auch zu spät auf den Topf gesetzt. Man sollte diese Dinge ihrem natürlichen Lauf überlassen. Schließlich gibt es genug äußere Ursachen, die es Kindern schwermachen, ein natürliches Verhältnis zu ihrem Körper zu bekommen.

Eine "baubiologische Standortexpertin" stellt beispielsweise in einer aktuellen PR-Meldung die gewagte Behauptung auf, dass Bettnässen häufig im Bett vorkommt und daher wohl mit dem Bett zu tun haben müsse. Sie wäre keine gewiefte Standortexpertin, wenn sie nicht den Standort des Bettes in Verdacht hätte. Dann folgt die übliche Verschwörungstheorie von Elektrosmog und Erdstrahlen. Demnach sind Handys daran schuld, wenn Erstklässler noch ins Bett pieseln.

Neue Spielart der Sozialphobie

Bis zu einer Million Männer in Deutschland können angeblich nicht in Gesellschaft pinkeln, was im Standort Bett zweckdienlich, in Theaterpausen oder bei anderen Großereignissen hingegen lästig ist. Wahrscheinlich ist das eine neue Spielart der Sozialphobie.

Manchmal ist es in der Tat ein entwürdigendes Schauspiel, mit wildfremden Männern die Rinne teilen zu müssen. Vermutlich sind es die Handystrahlen des Nebenpinklers, die bei Betroffenen den unbeschwerten Fluss hemmen. Gegen Erdstrahlen sind Pissoirs wahrscheinlich auch nicht abgeschirmt.

Standortexperten sollten mal darauf achten, wie viele Männer sich unverrichteter Dinge wieder trollen und wie gut der Mobilfunkempfang dort ist. Manche Leute telefonieren ja sogar auf dem Klo, obwohl das eindeutig als stiller Ort gedacht ist.

Aggressiv durch zu viele Süßigkeiten

Sozial auffälliges Verhalten kann allerdings auch andere Ursachen haben. Britische Wissenschaftler verfolgen einen neuartigen Erklärungsansatz. Es hat nichts mit dem Ende, sondern dem Anfang aller Stoffwechselwege zu tun. Demnach werden Jungen im Mannesalter besonders häufig aggressiv und straffällig, wenn sie in ihrer Kindheit zu viele Süßigkeiten bekommen haben. Das ist gerade in der Adventszeit eine äußerst beunruhigende Nachricht.

So ganz trauen die britischen Forscher ihren Untersuchungsergebnissen aber offenbar selbst nicht. Immerhin haben sie entdeckt, dass die jungen Männer, die in britischen Gefängnissen einsitzen, in ihrer Kindheit überdurchschnittlich viel Süßes gegessen hatten. Während die Wissenschaftler anfangs über Dickmacher und Gewaltmacher in den Leckereien spekuliert haben, gehen sie mittlerweile einer ganz anderen Fährte nach. Sie vermuten, dass der Konsum von Süßigkeiten nur Symptom und Chiffre für weitaus Schlimmeres ist.

Wer in der Kindheit viel Süßes bekam, so die These der Forscher, hat früh gelernt, seinen Willen zu bekommen. Das Leben ist aber kein Ponyhof. Den meisten Erwachsenen mangelt es nicht nur an Süßigkeiten, sondern auch an Anerkennung und Gehaltserhöhungen. Wer hingegen als Kind schon nie Bonbons lutschen und Nutella nur sonntags essen durfte, war an ein entsagungsreiches Dasein voller Nackenschläge gewöhnt. Die anderen telefonieren trotz Harnstau weiter mit dem Handy oder werden delinquent.

© SZ vom 05.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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