Little Britain:Die geheime Achse London-Berlin

In der Bar Italia in Soho wacht der unvergleichliche Rocky Marciano über die Espresso-Trinker, und die kleinwagengroße Kaffeemaschine faucht und kreischt und spuckt. In der Bar Italia in Kreuzberg gibt es dafür eine wahrhaft exklusive Zeitungsauswahl.

Christian Zaschke

Die Bar Italia liegt in Soho. Sie wurde 1949 von Lou und Caterina Polledri gegründet und preist sich recht unbescheiden als "freundlichste Kaffeebar Londons". Noch immer ist sie im Besitz der Familie Polledri, und die Menschen in der Bar sind wirklich sehr nett. Es gibt dort italienische Zeitungen, die von Italienern gelesen werden, zudem von Nicht-Italienern, die aus irgendwelchen Gründen Italienisch können, und natürlich von Menschen, die so tun, als könnten sie Italienisch, und die zudem finden, dass das rosafarbene Papier der Gazzetta dello Sport gut zu ihrem Hemd passt. Die Baristi machen einen feinen Espresso, sie benutzen dazu eine kleinwagengroße Gaggia-Maschine, die den Kaffee unter Fauchen, Kreischen und Brummen in die kleinen Tassen spuckt.

In Berlin gibt es ebenfalls eine Bar Italia, sie liegt in Kreuzberg. Mein Bekannter S. hat mir geschrieben, dass es dort auch Zeitungen gibt, und zwar genau drei Stück. Es seien dies die SZ, die SZ und die SZ. Für jeden Zeitung lesenden Menschen ist diese Bar natürlich das Paradies. Außer für meinen alten Freund B., der sich hartnäckig weigert, die SZ zu lesen. Wenn ich bei ihm zu Besuch bin, liest er mir demonstrativ Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vor, die er als seine "Lieblingszeitung" bezeichnet. "Die SZ ist mir zu langweilig", sagt er, wenn ich anbiete, ihm ein Abo zu Weihnachten zu schenken. "Und die FAS nicht?", frage ich dann leicht gereizt. "Nein", sagt er genüsslich, "die FAS nicht." Man kann sich seine Freunde nicht aussuchen.

Mein Bekannter S. hingegen schreibt, dass in der Berliner Bar Italia die SZ mit gelassenem Eifer und munterem Ernst studiert werde. Wenn ich ihn richtig verstehe, sitzt er samstags beim Espresso in der Bar und liest die komplette SZ von vorne bis hinten durch. Besser kann man einen Berliner Samstag wohl kaum verbringen. Um 18 Uhr macht die Bar zu, und man muss sehen, wo man bleibt.

In der Londoner Bar Italia hängt hinter dem Tresen ein Poster des Boxers Rocky Marciano. Der war zwar Amerikaner, aber Kind italienischer Einwanderer, weshalb die Gazzetta dello Sport über ihn schreibt: Rocky Marciano è nato nel Massachusetts ma il suo Dna è italiano, abruzzese. Marciano hat in 49 Schwergewichts-Kämpfen 49 Mal gewonnen. Nicht die SZ und auch nicht die FAS, sondern das Magazin Life hat über ihn den schönen Satz geschrieben: "Vor einem großen Kampf war Marciano ungefähr so nervös wie ein Hydrant." Wenn es in Soho dunkel wird, steigt man in der Bar Italia von Espresso auf Bier der Marke Peroni um. Besser kann man einen Londoner Samstag nicht verbringen. Um fünf Uhr morgens macht die Bar Italia zu, dann muss man sehen, wo man bleibt.

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