Interview am Morgen:"Weil der Mensch glaubt, dass er es nächstes Mal schafft"

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Mehr Sport, jetzt aber dann wirklich - spätestens im neuen Jahr. (Foto: Ben o'Sullivan / Unsplash)

Obwohl es nur selten gelingt, gute Silvester-Vorsätze länger durchzuhalten, versuchen viele es alle Jahre wieder. Ein Psychologe erklärt im Interview am Morgen, woran sie wirklich scheitern.

Von Violetta Simon

Regelmäßig Sport, mehr Zeit für die Familie, weniger rauchen, eine neue Sprache lernen: so viele gute Vorsätze - und alles nur, weil der 1. Januar ist. Dabei gelingt es nicht einmal der Hälfte der Deutschen, länger als drei Monate durchzuhalten. Der Psychologe Marco Schneider hat aus dieser menschlichen Schwäche eine Geschäftsidee entwickelt: die Motivationsplattform Ansporner.

SZ: Herr Schneider, haben Sie schon ein paar Vorsätze fürs neue Jahr?

Marco Schneider: Ich versuche nach wie vor, nicht wieder mit dem Rauchen anzufangen. Das gelingt mir immerhin seit zehn Jahren.

Die meisten Menschen erreichen ihr Ziel nicht, obwohl es ihnen ernst ist mit den guten Vorsätzen. Woran scheitern sie?

Marco Schneider (Foto: privat)

Die Messlatte wird häufig zu hoch angelegt. Der eine will von heute auf morgen 15 Kilo abnehmen, der nächste sportlich werden, obwohl er es nie war. Dabei wird das Ziel recht unkonkret formuliert, statt sich genau zu überlegen: Was müsste am Ende rauskommen, damit ich sagen kann, ich habe mein Ziel erreicht. Oft ist auch der Zeitpunkt unpassend. Wenn ich jetzt schon weiß, dass mir eine stressige Phase bevorsteht, sollte ich mir eingestehen: Die Chance, mit dem Rauchen aufzuhören, ist danach größer.

Wäre es nicht sinnvoller, zu handeln, sobald die Waage zu viel anzeigt, der Raucherhusten uns quält, die Beziehung den Bach runtergeht? Warum binden viele ihre Vorsätze an den Termin an Neujahr?

Der Jahreswechsel steht für einen Neubeginn. Dass Handlungsbedarf besteht, weiß man möglicherweise schon länger, doch aufraffen kann - oder muss - man sich erst zu diesem Datum. Bis dahin kann man das Vorhaben noch ein bisschen aufschieben. Und sich einreden, dass man voller Tatendrang sein wird, wenn es erst einmal so weit ist. Dabei wird die Herausforderung und der damit verbundene Aufwand unterschätzt. Denn genau da wird es unangenehm: Man müsste sich die Hürden vergegenwärtigen. Das ist menschlich, zugleich aber auch der Grund, warum es letzten Endes nicht klappen wird.

Als würde ich mir im Oktober eine neue Hose eine Nummer zu klein kaufen, weil ich davon ausgehe, dass ich Ende Januar weniger wiegen werde ...

Genau. Die Verdrängung beginnt bereits in dem Moment, in dem ich mir das Ziel vornehme. Das ist typisch für die Prokrastination (Anm. d. Red.: Aufschieben). Manche untermauern ihre Vorsätze mit Aktionismus, kaufen sich etwa neue Joggingschuhe, damit sie mehr Lust auf Sport bekommen. Doch das schafft nur ein gutes Gefühl, nicht mehr. Denn was es wirklich für sie bedeutet, rauszugehen und das Vorhaben umzusetzen - egal, ob bei schlechtem Wetter oder wenn es wieder mal spät wurde - daran haben sie nicht gedacht.

Dennoch lernen viele nicht aus ihrem Scheitern - jedes Jahr nehmen sie sich wieder neue Vorsätze vor.

Weil der Mensch daran glaubt, dass er es beim nächsten Mal schafft. Das ist Selbstbetrug. Gelingen kann es erst, wenn er sich klar macht, ob und warum das Erreichte ihn glücklicher macht. Ein Instrument kann man zum Beispiel erlernen, um künftig gemeinsam mit Freunden zu musizieren - und nicht einfach nur, um Gitarre zu spielen.

Ein beliebter Vorsatz lautet: nicht jede Verpflichtung annehmen, sondern öfter Nein sagen. Wie wäre es damit, auch mal zu guten Vorsätzen Nein zu sagen - im Sinne von: Ich muss gar nix!

Das halte ich für einen guten Ansatz: sich selbst so anzunehmen, wie man ist. Und zu prüfen, ob es wirklich die eigenen Wünsche sind. Oder man lediglich getrieben ist von gesellschaftlichen Vorstellungen oder Normen. Nur dann hat man die Stärke, seine Vorsätze auch zu realisieren.

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