Gleitschirm-Meisterschaft:Halsbrecherischer Trip

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Bei den X-Alps kämpfen sich Athleten zu Fuß und mit dem Gleitschirm von Salzburg bis nach Monaco an der Côte d'Azur.

Thomas Becker

Für 50 Cent ist man dem Watzmann mit einem Schlag ganz nahe, fühlt sich mittendrin in den frisch gezuckerten Schneefeldern des gewaltigen Massivs. Doch dann macht es klick, der Blick durchs Aussichtsfernrohr ist wieder schwarz und der Watzmann doch knapp 40 Kilometer entfernt.

Kein Spazierflug: Je nach Wetterlage kann der Flug und Lauf nach Monaco zum zweiwöchigen Höllentrip werden. (Foto: Foto: oh)

Die Sportler, die hier oben am Gaisberg, gut 800 Meter über Salzburg, den berüchtigten Berg ins Visier nehmen, haben keine Zeit für den Blick durchs Fernrohr. Der am Horizont thronende Watzmann ist für sie nur eine Durchgangsstation auf einem verdammt langen Weg.

Ihr Ziel ist Monaco, mehr als 800 Kilometer entfernt. Ihr Fortbewegungsmittel: ein Paraglidingschirm - und die eigenen Beine. Sonst nichts.

Klingt schräg, irgendwie nach Selbsterfahrung, ist aber ein sportlicher Wettstreit namens X-Alps, initiiert - natürlich - vom Extremsport-Chefsponsor Red Bull. Alle zwei Jahre machen sich 30 Athleten aus aller Herren Länder auf den je nach Witterung gut zweiwöchigen Höllentrip.

Nur fünf kamen an

Die Regeln sind übersichtlich: fliegen, wenn man fliegen kann, ansonsten muss man laufen. Wer will und kann, gerne auch in der Nacht, mit Stirnlampe. Fliegen ist erst von sechs Uhr morgens an erlaubt. Ein Begleiter sorgt vom Auto aus für Verpflegung und für ein paar Stunden Nachtquartier.

Es herrscht freie Routenwahl, bis auf die sogenannten Turnpoints an Watzmann, Großglockner, Marmolada, Matterhorn, Mont Blanc und Mont Gros kurz vor Monaco. Tunnels dürfen nicht genutzt werden. 48 Stunden, nachdem der erste Athlet das Ziel erreicht hat, ist das Rennen zu Ende - egal, wo sich die Konkurrenz gerade befindet. Bei der letzten von mittlerweile vier Veranstaltungen schafften es nur fünf Athleten bis ans Meer.

Michael Gebert, der 28-jährige Fluglehrer aus Oberstdorf, gehörte noch nie dazu. Vor vier Jahren war er Fünfter, einen halben Tag vom Ziel entfernt; beim letzten Mal musste er nach sechs Tagen aufgeben, kurz vor Bozen: eine Entzündung im Knie.

"Überlastung, ich hab vorher zu viel gemacht", erklärt das 70-Kilo-Leichtgewicht. Das soll nicht noch einmal passieren. Von einem Sportarzt hat er sich beraten lassen, wie er besser trainieren und mehr auf seinen Puls achten kann. Im richtigen Leben organisiert Gebert neben seinem Fluglehrer-Job Flugreisen nach Brasilien, Venezuela, Portugal, Island und Norwegen.

X-Alps
:Mit dem Schirm durch die Alpen

Ein Höllentrip zu Fuß und durch die Luft: Bei den X-Alps laufen und segeln Gleitschirmflieger von Salzburg nach Monaco.

Grenzen austesten

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Ein Höllentrip zu Fuß und durch die Luft: Bei den X-Alps laufen und segeln Gleitschirmflieger von Salzburg nach Monaco.

Sein Hausberg ist das Nebelhorn. Eineinhalb Stunden braucht er für die 1400 Höhenmeter hinauf. Die X-Alps sind für ihn "das Rennen schlechthin in der Szene, tausend Mal spannender als die Weltmeisterschaft". Man kann sich auch nicht qualifizieren, sondern wird vom Veranstalter eingeladen. Geberts Empfehlung war 2004 der Sieg bei einen ähnlichen Wettbewerb: mit dem Paraglider von Oberstaufen bis Bad Reichenhall.

Die X-Alps-Distanz ist natürlich viel größer - was Gebert nur noch mehr anspornt. Wenn er vom "Grenzen austesten" und dem Naturerlebnis Alpen redet, nimmt man ihm gern ab, dass er nicht wegen der 10.000 Euro Preisgeld antritt. Mit 15 hatte er im Allgäu mit Drachenfliegen begonnen - obwohl das erst mit 16 erlaubt ist.

Eine Kollision mit einer alten Scheune konnte ihn auch nicht von der Fliegerei abbringen. Bald flog er Meisterschaften, gewann Medaillen, wurde aber nach einer Weile der Fliegerei in Dreieckskursen überdrüssig und stieg auf den mehr Freiheit versprechenden Paraglider um: Erlebnis statt Medaillen. Abenteuer wird er auf der wahnwitzigen X-Alps-Route wohl genügend erleben. Schon der Start mitten in der Salzburger Altstadt zu Füßen einer Mozart-Statue war eine Erfahrung der anderen Art:

Basejumper fallen vom Himmel, Paraglider landen direkt neben dem Springbrunnen zwischen Dom, Residenz und Café Demel. Ein paar versprengte Touristen bleiben stehen und starren die Sportler mit ihren strahlend blauen Trikots, schwarzen Leggins und den gewaltigen Rucksäcken auf dem Buckel verständnislos an. Aus Lautsprechern wird ein Countdown runtergezählt, auf Englisch. Und dann laufen sie los, hinauf zum knapp 1300 Meter hohen Gaisberg.

Dort kommt Gebert im Nieselregen als Zweiter an, hebt sogar als Erster ab, nimmt Kurs Richtung Watzmann - muss aber nach nur drei Kilometer Gleitflug schon wieder landen: keine Thermik, nirgends. Die Wettervorhersagen verheißen auch nichts Gutes, klingen eher nach viel Laufen und wenig Fliegen. "Es wird hart", hatte Gebert kurz vor dem Start gesagt. Da hat er definitiv recht.

© SZ vom 27.07.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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