Expertentipps zur Erziehung:So werden Nesthocker selbständig

Expertentipps zur Erziehung: Der Auszug von zuhause braucht eine gute Vorbereitung - auch in der Erziehung.

Der Auszug von zuhause braucht eine gute Vorbereitung - auch in der Erziehung.

(Foto: Imago)

Pädagogin Heidemarie Arnhold erklärt im Interview, wie Eltern ihre Kinder schon lange vor dem 18. Geburtstag auf den Auszug von zu Hause vorbereiten können. Und warum es an den Eltern liegen kann, wenn das Kind im "Hotel Mama" bleibt.

Von Katja Schnitzler

Manche Jugendliche verlassen das Elternhaus, weil sie sich auf die Selbständigkeit freuen oder ihr Ausbildungs- oder Studienplatz in einer anderen Stadt ist. Andere junge Erwachsene würden am liebsten noch jahrelang in ihrer vertrauten Umgebung bleiben - freiwillig oder aus finanziellen Gründen. Von den 18- bis 24-Jährigen teilen laut Statistischem Bundesamt knapp 60 Prozent der Frauen und mehr als 70 Prozent der Männer den Haushalt mit den Eltern. Bei den unter 30-Jährigen sind es anderen Studien zufolge noch ein Drittel. Pädagogin Heidemarie Arnhold gibt Tipps, wie Eltern sowohl Nestflüchter als auch Nesthocker auf die Unabhängigkeit vorbereiten.

SZ.de: Wann ist der richtige Zeitpunkt für Kinder gekommen, auszuziehen?

Heidemarie Arnhold: Spätestens mit dem 18. Geburtstag stellt sich die Frage, ob ein Auszug gerade biografisch sinnvoll ist: Wenn ein Jugendlicher erst mit 19 Jahren Abitur macht oder gerade seine Gesellenprüfung, ist es besser, er bereitet sich in Ruhe daheim statt in einer Wohngemeinschaft darauf vor.

Doch wenn das geschafft ist, sollten Eltern das Thema Auszug ansprechen?

Natürlich nicht im Streit, sondern klar und sachlich: Welche Möglichkeiten gibt es, was leistest du dafür und wann soll es so weit sein? Ein erster konkreter Schritt wäre, Unterhalt oder das Kindergeld als kleine Einnahme aufs Konto zu zahlen. Aber der Ablöseprozess sollte schon viel früher anfangen. Eltern machen spätestens ihren 16-jährigen Kindern klar, dass Ausziehen ein normaler Entwicklungsschritt in die Selbständigkeit ist. So wie ein Kind alleine zu essen lernt und keine Windeln mehr braucht, verlässt es später eben auch das Elternhaus.

Fühlt es sich weniger geliebt, wenn Mutter und Vater es sozusagen aus dem Nest drängen?

Das ist eher eine Furcht der Eltern, während die meisten Jugendlichen nicht das Gefühl haben, ihre Eltern wollten sie loswerden. Sie möchten gerne auf eigenen Beinen stehen. Es ist die Aufgabe von Müttern und Vätern, sie dabei zu begleiten. Dazu gehört, lange vorher zu besprechen, welche beruflichen Perspektiven es gibt, was der Auszug für alle bedeutet und wie das finanziell zu stemmen ist. So bieten zum Beispiel Wohngemeinschaften günstige Zimmer auch in teureren Städten. Noch wichtiger aber ist, sein Kind von vornherein zur Selbständigkeit zu erziehen.

Das heißt, es könnte an den Eltern liegen, wenn ein Kind nicht ausziehen will?

Für Nesthocker ist das Leben zu Hause bequem. Manche Eltern senden da eine doppelte Botschaft aus, indem sie sagen: Wir wollen, dass du ausziehst - aber gleichzeitig nehmen sie dem Jugendlichen alles ab und sorgen so dafür, dass er bleibt. Eigentlich lassen sie ihn nicht erwachsen werden.

Die Ablösung beginnt viel früher

Woran liegt das?

Das machen unbewusst eher Mütter, die das Kind in den Mittelpunkt ihres Lebens gestellt und darüber Partnerschaft und eigene Interessen vernachlässigt haben. Sie fragen sich, ob sie überhaupt noch gebraucht werden, wenn das Kind aus dem Haus ist. Also klagen sie darüber, immer noch die Wäsche machen zu müssen - und waschen trotzdem weiter.

Und halten damit das Kind klein?

Ja, dabei haben die Kinder ein Recht auf Selbständigkeit. Sie können immer mehr Pflichten im Haushalt übernehmen und sich durchaus mit 16 Jahren selbst um ihre Kleidung kümmern. Dann kommt das nicht mit 18 Jahren auf einen Schlag, sondern die Kinder wachsen in die Aufgaben hinein. Und so sollte es sein - auch wenn man in Deutschland oft als Rabenmutter gilt, wenn das Kind nicht immer im Zentrum steht und stattdessen auch noch bügeln soll. Aber ein Zwölfjähriger, der jeden Tag zur Schule gefahren wird, kennt sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht aus. Wie könnte man von ihm erwarten, dass er mit 18 Jahren erfolgreich auf eigenen Füßen steht? Lieber bleibt er im "Hotel Mama".

Eltern müssen also lernen, loszulassen?

Genau, kleine Abschiede gehören zur Entwicklung: Wenn das Kind nicht mehr gestillt werden muss, wenn es eingeschult wird und wenn es anfängt, abends wegzugehen und allein in den Urlaub zu fahren. Das stimmt Eltern mitunter wehmütig, weil eine Phase unwiederbringlich vorbei ist. Aber die Beziehung zwischen Eltern und Kind verändert sich ja nur, sie ist mit dem Auszug nicht beendet. Sie dauert ein Leben lang.

Die Pädagogin Dr. Heidemarie Arnhold ist Vorsitzende des Arbeitskreises Neue Erziehung und engagiert sich seit 1979 in dem Verein, der unter anderem für seine Elternbriefe für die jeweiligen Entwicklungsschritte des Kindes bekannt ist und kostenlos bei Erziehungsproblemen berät.

Eltern lieben ihre Kinder, auch die erwachsenen. Doch das heißt noch lange nicht, dass sie auf ewig im selben Haus mit ihnen wohnen wollen. Oder dass sie das auch nur ansatzweise nervlich durchstehen würden. Die Erziehungs-Kolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn"

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