Familientrio:Muss ich mein Kind beschützen?

Lesezeit: 2 min

Ist es sinnvoll, sein Kind auf dem Spielplatz vor anderen Kindern zu beschützen? (Foto: imago stock&people)

Die Tochter ist sehr schüchtern und lässt sich von anderen Kindern das Spielzeug wegnehmen. Die Mutter hilft ihr oft. Ist das sinnvoll? Experten antworten.

Eine Leserin fragt:

Meine Tochter Mia (2,5 Jahre) ist sehr schüchtern. Sie hatte bisher wenig Kontakt zu anderen Kindern, die ihr dann auf dem Spielplatz Sachen wegnehmen. Ich beschütze sie oft, weiß aber nicht, wie sinnvoll das ist. Bisher habe ich mich auch nicht getraut, sie in eine Krippe zu geben - aus Angst, sie würde dort untergehen. Haben Sie einen Rat? Isa M., Passau

Experten antworten

Kirsten Boie: Geben Sie Mia in eine (gute) Kinderkrippe

Nichts macht Eltern so unglücklich, wie ihr Kind weinen und leiden zu sehen, aber gerade deshalb: Geben Sie Mia in eine (gute) Kinderkrippe, und das so schnell wie möglich! Die Erfahrung, dass das Zusammensein mit anderen Kindern schrecklich ist und sie immer Mamas Unterstützung braucht, ist für sie mit Blick auf ihr Selbstbewusstsein und ihr zukünftiges Leben mit Gleichaltrigen nicht sehr hilfreich. Natürlich, wenn sie bisher wenig Kontakt zu Kindern hatte, ängstigt sie deren Verhalten ihr gegenüber, und diese Angst wird mit der Zeit nicht ab-, sondern zunehmen. Sie muss lernen, das Verhalten von Kindern zu deuten und sich selbst so zu verhalten, dass sie für andere Kinder berechenbar ist. Dass nirgendwo so hemmungslos geklaut wird wie auf Spielplätzen - Backförmchen, Müllautos, Laufräder - hat damit zu tun, dass das Konzept von "mein" und "dein" noch nicht verstanden wird, aber das kommt erstaunlich schnell. (Vorher dürfen Erwachsene gerne helfen und ab und zu freundlich eingreifen, wenn der Sozialdarwinismus sonst zu heftig wird.) Übrigens können Sie bei der Eingewöhnung in die Krippe lange dabei sein. So wird Mia bald viel Spaß haben!

Jesper Juul: Ein Mentor könnte helfen

Ich glaube, dass Ihre Tochter bald eine Kinderkrippe besuchen sollte und dass Sie und die Pädagogen vor Ort eng zusammenarbeiten müssen, damit sie dort auch gute Erfahrungen machen kann. Oft ist es hilfreich, ein älteres Kind zu finden (drei bis vier Jahre alt) und sie oder ihn zu einer Art Mentor zu berufen, der eine enge Beziehung zu dem unsicheren Kind aufbaut und ihm zeigen kann, wie man Kontakte mit anderen knüpft. Gleichzeitig empfehle ich, dass Sie sich Hilfe holen oder Bücher dazu lesen, wie Sie das Selbstgefühl Ihrer Tochter stärken können.

Katia Saalfrank: Geben Sie ihrer Tochter Raum für solche Erfahrungen

Sie sind als Mutter die eigentliche Expertin für Ihre Tochter. Also möchte ich Sie darin bestärken, in sich selbst hineinzuhören: Sie beschreiben, dass Mia wenig Kontakt und somit auch kaum Erfahrung mit anderen Kindern hat. Ist das vielleicht ein Grund dafür, dass sie Ihnen unsicher erscheint, wenn sie auf andere Kinder trifft? Wie könnte sie denn an mehr Erfahrungen kommen und wie können Sie Ihre Tochter dabei unterstützen? Dass andere Kinder sich grenzüberschreitend Mia gegenüber verhalten, ist übrigens entwicklungsgerecht. Kinder machen in dieser Zeit wichtige Erfahrungen mit starken Emotionen. Sie streiten sich, werden wütend und zeigen ihre Aggressionen.

Langjährige Entwicklungsforschungen und Praxiserfahrungen haben gezeigt, wie wesentlich es für uns Menschen ist, dass wir unsere Gefühle kennenlernen und einen Zugang zu ihnen entwickeln können, sie verbalisieren und ausdrücken können. Dabei geht es nicht nur um positive Gefühle, sondern um die gesamte Bandbreite. Wir brauchen also auch Erfahrungen mit sogenannten negativen Gefühlen wie Trauer, Enttäuschung, Schmerz, Wut, Aggression. Dafür brauchen Kinder die Begleitung von Erwachsenen. Mit diesem Wissen im Hinterkopf können Sie vielleicht Ihrer Tochter noch bewusster Raum für diese Erfahrungen geben und auf sie und ihre Entwicklung vertrauen.

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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