Zum Tod von David Bowie:Held in tausend Gestalten

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Astronaut, Alien, Ausgebrannter: David Bowie erschuf sich immer wieder neu. Und war dann am größten, als er ganz unten war.

Von Julian Dörr

Major Tom

1969, der Astronaut Neil Armstrong spaziert auf dem Mond. Und auf der Erde erhebt sich aus dem unschlüssigen Folk-Prog-Gemisch von David Bowies Frühwerk der Astronaut Major Tom. "Ground Control to Major Tom", heißt es in den berühmten ersten Zeilen des Songs "Space Oddity" von Bowies zweitem Studioalbum. Der Charakter Major Tom, der in seiner Blechbüchse hoch über der Erde schwebt, setzt viele Themen, die zu Konstanten in Bowies Werk werden sollten: Entfremdung, Außenseitertum, Außerirdisches.

"Space Oddity" (1969) (Foto: Warner Music)

1980 schlüpft David Bowie wieder in die Rolle des Astronauten - und gibt ihm eine neue Geschichte. Im Song "Ashes to Ashes" ist Major Tom nun ein drogenabhängiger Junkie, der durch den Himmel segelt. Bowies erste große Kunstfigur im Pantheon der Popkultur entwickelt bald ein Eigenleben - in Peter Schillings Neue-Deutsche-Welle-Hit "Völlig losgelöst".

Ziggy Stardust

David Bowie verkörpert in seiner Karriere viele Außerirdische, aber Ziggy Stardust ist der außerirdischste von allen. Auf "Space Oddity" und Major Tom folgt der hippiesk-dekadente "Man Who Sold the World". Doch schon auf "Hunky Dory", seiner vierten Platte, fragt Bowie nach Leben auf dem Mars. Das landet dann 1972 in Form von Ziggy Stardust auf der Erde. Ein androgyner Rotschopf, der Geschlechterrollen und die Regeln des Pop über den Haufen wirft. In flamboyanten Kostümen performt Bowie ein neues Männerbild. "The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars" ist ein Glam-Rock-Konzeptalbum voll sexueller Mehrdeutigkeit und Sozialkommentar.

"The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars" (1972) (Foto: EMI Music)

Ziggy Stardust war ein Monster aus Glitzer und Make-Up. Das Album, die Tour, der Konzertfilm von D.A. Pennebaker. Bowie hat eine Figur erschaffen, die als Galionsfigur des Glam größer wird als er selbst. Also muss er ihr entfliehen: Am 3. Juli 1973 verkündet er im Londoner Hammersmith Odeon: "This is the last show we'll ever do." Die nächste künstlerische Häutung steht an. Wie es sich für eine Kunstfigur gehört, beerdigt Bowie sein Alter Ego auf der Bühne. Und mit "Rock'n'Roll Suicide" hat er Ziggy auch schon den passenden Abschiedssong geschrieben.

Als Glitzer-Zombie lebt Ziggy Stardust noch ein paar Alben weiter, während Bowie nach einer neuen künstlerischen und musikalischen Identität sucht. Bis heute bleibt der "Starman" Bowies berühmteste Inkarnation. Eine Inspiration für Künstler auf der ganzen Welt.

Der Thin White Duke

Die rotblonden Haare nach hinten gekämmt, schneeweißes Hemd, schwarze Weste. Nach den abgespacten Mode-Exzessen der Ziggy-Ära wirkt der reduziert-elegante Stil des Thin White Duke bodenständig. Doch unter der geschniegelten Oberfläche wütet die zerstörerischste aller Bowie-Figuren. Mitte der Siebziger lebt der Thin White Duke, benannt nach einer Figur aus dem Song "Station to Station", angeblich von nichts außer Koks, Milch und roter Paprika. Während eines Interviews mit dem Rolling Stone sieht Bowie Menschen vom Himmel fallen, entzündet eine schwarze Kerze (nur um sie wieder auszupusten) und fantasiert über Hitler.

"Young Americans" (1975) (Foto: EMI Music)

David Bowie ist zu dieser Zeit eine schicke, aber leere Hülle, ein Mann ohne Herz. Auf "Young Americans" erfindet er den Plastic-Soul. Gefühlige Musik ohne Gefühle. Die Drogen zerstören seine physische und psychische Gesundheit. Bowie zieht von Los Angeles zuerst nach Paris, dann weiter nach Berlin, wo ihn eine weitere künstlerische Wiedergeburt erwartet.

Die Berlin-Trilogie

Berlin ist für David Bowie ein Neuanfang: "A New Career in a New Town" wie ein Song eines Albums "Low" heißt, dem ersten Teil der berühmten Berlin-Trilogie. Er will weg von den Drogen, weg von der Paranoia. "Always Crashing in the Same Car" erzählt davon, wie Bowie einmal das Auto seines Drogendealers mit seinem eigenen Wagen gerammt hat. Jetzt ist er clean, lebt in Berlin, zieht mit Iggy Pop um die Häuser und nimmt in den Hansa-Studios an der Berliner Mauer einige seiner größten Songs auf.

"Heroes" (1977) (Foto: Warner Music)

In Berlin betritt David Bowie musikalisches Neuland. Inspiriert von der neuen synthetischen Musik deutscher Bands wie Can, Neu! und Kraftwerk und der Arbeit von Brian Eno, schneidert sich Bowie ein gänzlich neues Klanggewand. Frei schwebende Musik, losgelöst aus dem zeitlichen Kontext und doch so gegenwärtig. Allen voran: "Heroes", die Geschichte zweier Liebender im Schatten der Berliner Mauer.

David Bowie hegt eine besondere Affinität für das Berlin der wilden Zwanziger. Auf der abgeschotteten Insel Westberlin verabschiedet sich Bowie aus der Gegenwart und lässt seine Dämonen hinter sich. Mit der Berlin-Trilogie beendet er die Siebziger und greift gleichzeitig weit in die Zukunft. Er wird noch einige große Alben veröffentlichen, aber solch scharfkantige Inkarnationen wird er nicht mehr bewohnen.

In seiner Karriere schlüpfte David Bowie in viele Kunstfiguren. Pioniere waren sie alle.

Lesen Sie dazu auch den Nachruf "Ground Control" - mit SZ Plus:

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