Zukunft des Öffentlichen Raumes:Je schöner, desto langweiliger

Ein "Syntopischer Salon" in Potsdam zeigt: Die Zukunft der Stadt entscheidet sich im öffentlichen Raum. Und der ist nur der Idee nach allen zugänglich. Das belegen viele graue Kärtchen.

Jens Bisky

Wer einen zentralen Ort sucht, der doch im Windschatten liegt, einen gut erreichbaren, aber beschaulichen Platz, urban und mit kleinstädtischer Anmutung zugleich, der ist mit dem Neuen Markt in Potsdam bestens bedient. Dort steht seit einigen Tagen ein Kasten aus Stahlrahmen, Holz und Plexiglas - der "Syntopische Salon" des interdisziplinären Teams Roland Essl (Architektur), Ildiko Meny (Medizin) und Michaela Rotsch (Bildende Kunst). Etwas Ähnliches gibt es seit 2009 auch in München, dort freilich in belebterer Umgebung, auf dem Bürgersteig der Goethestraße, südliches Bahnhofsviertel. "Syntopisch" meint das Zusammenbringen zweier Orte in der Absicht, versteht sich, dass etwas Neues dabei entsteht: ein "besonderes Milieu", eine "urbane Schnittstelle".

Die Installation auf dem Neuen Markt bietet Potsdamern und ihren Gästen die Möglichkeit, Stimmungen zum Ausdruck zu bringen. Sie dürfen zwischen weißen und schwarzen Kärtchen und solchen in verschiedenen Graustufen wählen, um die Frage zu beantworten: "Wie schwarz sehen Sie?" Auf der Rückseite ist Raum für kurze Begründungen. Jedes beschriftete Kärtchen findet seinen Platz an den Plexiglaswänden. Da kann man dann lesen "Kommt alles auf einmal", "Kapitalismus + Politik und Gesetz machen uns arm" oder "weil heute die Sonne nicht scheint". Das Wetter spielt überhaupt ein große Rolle, und wenn das momentane Stimmungsbild, das Grau in Grau der Kärtchen, durchsetzt mit wenig schwarz und weiß, überhaupt eine Deutung zulässt, dann nur diese, dass privates Glück jede Krisennachricht zu überstrahlen vermag. Wer gesund ist oder verliebt oder gerade eine Prüfung bestanden hat, der wählt weiß. Zu schwarz greift, wer seine Laune von der Nachrichtenlage abhängig macht. So weit, so erwartbar.

Das "partizipative, demonstrative Kunstwerk" scheint behaupten zu wollen, dass mitten in der digitalen Revolution, die Ansprüche auf Wahrnehmung und Sichtbarkeit im städtischen Raum nicht geringer geworden sind. Zumindest in Potsdam und Berlin, die immer noch dabei sind, sich nach den Verheerungen von Krieg, Wiederaufbau und Teilung als Städte neu zu erfinden, leuchtet die Behauptung unmittelbar ein. Hart gestritten wird hier vor allem um Städtebaufragen.

Es geht um den "öffentlichen Raum": Wie viel soll rekonstruiert werden? Was tun bei steigenden Mieten? Wer darf wie das Spreeufer bebauen oder Tempelhof? Sperrstunde, Lärmschutz, Rauchverbot, Videoüberwachung, Sanierungsrichtlinien - im Streit darüber wird am deutlichsten und wirksamsten verhandelt, wie man miteinander leben will.

Vorstellung vom prallen Leben

Der Salon steht auf dem Neuen Markt, weil dieser eine Art geisteswissenschaftlicher Campus ist - mit Einstein-Forum, dem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, mit dem Moses-Mendelssohn-Zentrum und einigen Akademievorhaben. Dank der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wird der "Syntopische Salon" für drei Monate auf dem hübschen Platz stehen und stattfinden. Nachdem das Guggenheim Lab in Berlin zwar für ein bisschen Aufregung gesorgt, die Diskussion über die Stadt aber nicht vorangebracht hat, freut man sich über jedes urbanistische Engagement öffentlicher Einrichtungen.

Potsdam ist dafür ein großartiger Schauplatz: es boomt, bezahlbare Wohnungen sind rar, die Milieus der Stadt sind nicht nur äußerst heterogen, sie haben sich auch daran gewöhnt, wenig miteinander zu reden und im Streit vor allem die Abgrenzung zu suchen. Daher konnte es nicht überraschen, dass von den Potsdamer Bürgern kaum einer gekommen war, als am Freitag Soziologen, Künstler, Architekten über den "öffentlichen Raum" sprachen. Sie taten es kurz und dank der wendigen Moderation des Bauhaus-Direktors Philipp Oswalt so meinungsfreudig wie konsensfeindlich. Man ging davon, gerührt über ein Land, in dem solche Veranstaltungen selbstverständlich sind und überzeugt, dass die Idee des "öffentlichen Raums" normativ viel zu aufgeladen ist, dass man das Konzept verändern muss, wenn man mehr will als an- und beklagen. Es aufzugeben wäre schade, hängt es doch eng mit der Idee des Bürgers, Vorstellungen vom prallen Leben und von Selbstverwirklichung, dem Streben nach Glück, zusammen.

Wie schwarz sieht es aus für den "öffentlichen Raum"? Der Kulturwissenschaftler Hermann Voesgen sah mit Sorge auf das hübsche Potsdam, das immer schöner werde, aber "früher" interessanter gewesen sei: "je schöner, desto langweiliger", das Unfertige, die Komplexität gingen verloren. Philipp Oswalt warf ein, dass im gewiss entstellten, nicht so schönen Zentrum Dessaus das öffentliche Zusammenleben keineswegs intensiver sei. Die Kunsttheoretikerin Cornelia Oßwald-Hoffmann warnte vor "versiegelten Räumen", vor Stadtraumverwertung unter der Herrschaft großer Firmen. Dagegen müsse der Staat helfen, der aber, so der Hochschulforscher Michael Daxner, gleichwohl zu viel reguliere und im Namen der Sicherheit die Bürger vorsorglich belagere. Oswalt fand, dass staatliche Präsenz so schlecht nicht sei, "wenn die Glatzen um die Ecke stehen". Es müssen nicht einmal "Glatzen" sein. Nach den Prügelattacken in Berliner U-Bahnhöfen sieht der Nahverkehrsbenutzer nicht jede Kamera als Hölleninstrument an.

"Urbaner Raum" werde gemacht, so die Soziologin Saskia Sassen. Er hat ein Modell im städtischen Platz, in der Piazza. Gegen alle, die über Zugangsbeschränkungen, Undurchlässigkeit heute klagen, wäre daran zu erinnern, dass der öffentliche Raum des bürgerlichen Zeitalters nur der Idee nach inklusiv und allen zugänglich war. Um in den Theatern, Cafés und Vereinen an der Formation des bürgerlichen Publikums mitzuwirken, benötigte der Einzelne nicht nur Zeit und Mittel, er musste auch die kulturellen Codes beherrschen, ohne die Beteiligung unmöglich war. Diese sind nicht mehr verbindlich. Saskia Sassen hofft heute auf die "global street", als Raum, um politische Forderungen zu artikulieren. Man denkt an den Tahrir-Platz und Occupy.

Irgendwie steht der "öffentliche Raum" zwischen Privatem, Kommerz und Staat. Sind diese, seine Feinde? Es wäre an der Zeit, ihn nicht gegen diese zu definieren. Er entfaltet sich nur in Interaktion zwischen ihnen, und er entsteht im nie zu beendenden Konflikt zwischen den verschiedenen Interessen der Städtebewohner. Er ist gewiss kein Raum des Wohlgefallens und der Harmonie, sondern einer des Zanks, des Genervtseins, der Überforderung, ohne die es Urbanität nicht gibt. Und der "öffentliche Raum" ist seit langem mobil. Wesentliche Gemeinschaft haben Stadtbürger im Straßenverkehr, auf Bahnhöfen. Der unverzichtbare normative Gehalt der Idee vom "öffentlichen Raum" hängt kaum an einer bestimmten Gestalt, sondern vielmehr Möglichkeiten, der Frechheit, diese zu nutzen und der Gewohnheit, zivile Umgangsformen dabei zu wahren. Um das zu veranschaulichen werden immer wieder gläserne Kästen oder andere Gebilde aufgestellt - wie jetzt in Potsdam.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung haben wir berichtet, dass der "Syntopische Salon" von der Münchner Künstlergruppe "Department für Öffentliche Erscheinungen" errichtet worden sei. Diese Feststellung enspricht nicht den Tatsachen - Urheber des "Syntopischen Salons" ist vielmehr das interdisziplinäre Team Roland Essl (Architektur), Ildiko Meny (Medizin) und Michaela Rotsch (Bildende Kunst). Das "Department für öffentliche Erscheinungen" war lediglich in den "Syntopischen Salon" eingeladen.

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